Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

99.

Es will des Morgenwindes Hauch
Nur Moschusduft verstreuen;

Es will die Welt, die alte, sich
Nun abermals erneuen.

Es will der Erg'wan dem Jasmin
Den Onixbecher spenden

Und die Narzisse ihren Blick
Nach Anemonen wenden.

Die Tyrannei des Trennungsgram's,
Die lang den Sprosser quälte,

Will dringen unter Wehgeschrei
Bis zu der Rose Zelte.

Lass ungeschmäht aus der Moschee
Mich nach der Schenke ziehen:

Die Predigt währt ja gar zu lang,
Auch will die Zeit entfliehen.

 O Herz, wenn du die heut'ge Lust
Auf morgen übertragen,

Wer will des Lebens Capital
Dir zu verbürgen wagen?

Lass dir im Monate Schaban1
Den Becher nicht entwinden,

Denn diese Sonne2 will dem Blick
Für einen Mond entschwinden.3

Die Rose ist ein theures Gut:
Benütze ihr Verweilen:

Sie kam auf diesem Weg' und will
Auf jenem bald enteilen.

O Sänger, hier im trauten Kreis
Lass tönen deine Lieder!

Sagst du noch lang: »So war es einst,
Und so will's werden wieder?«4

Hafis ist deinetwegen nur
In's Land des Sein's gekommen;

 Bald will er weiter zieh'n: d'rum komm
Und - Abschied schnell genommen!
 

1 Scha'ban, der achte arabische Monat, der dem Fastenmonate Ramasan unmittelbar vorausgeht.

2 Der Becher nämlich, der mit der Sonne verglichen wird.

3 Wörtlich: Will dem Blicke bis zur Nacht des Festes des Ramasan's entschwinden. Diese Nacht des Festes ist nämlich jene, auf welche das Idi fithr genannte Fest des Fastenbruches fällt, d.i. die erste Nacht des dem Fastenmonde Ramasan folgenden Monates Schewwal.

4 D.h.: Geniesse die Gegenwart; was sprichst du immer von der Vergangenheit und Zukunft?

 

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