Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

100.

Wenn dein Rohr, von Moschus träufend,1
Eines Tages mein gedenkt,

Thut es mehr, als wer zweihundert
Sklaven ihre Freiheit schenkt.

Kann Selma's2 behender Bote
(Mag ihr Heil beschieden sein!)

Nicht mit einem frohen Grusse
Mein betrübtes Herz erfreu'n?

Stimme du, o Herr, zur Milde
Jene süsse Königin,3

Dass sie mit Erbarmen möge
An Ferhad vorüberzieh'n!

Meinen Bau riss mir zur Stunde
Dein so falsches Kosen ein;

Welchen Bau4 beginnt es wieder,
Will es klug und weise sein?

 Meines Lobgesang's benöthigt
Deine reine Perle5 nicht:

Gottgegeb'ne Schönheit leistet
Auf die Kräuslerin6 Verzicht.

Mach' die Probe! Viele Schätze,
Die du wünschtest, gibt man dir,

Wenn du voll von Huld bebauest
Ein so wüstes Feld gleich mir.

Besser, als wenn hundert Jahre
Sich ein Fürst der Andacht weiht,

Ist es, wenn nur Eine Stunde
Er geübt Gerechtigkeit.

Nimmer bei'm ersehnten Wunsche
Langte in Schiras ich an;

O des glückerfüllten Tages,
Tritt Hafis auf Bagdad's Bahn!7
 

1 Dein Schreibrohr nämlich, mit moschusgleicher Dinte gefüllt.

2 Selma, der Name einer Heldin arabischer Liebesromane. Hier der Name der Geliebten.

3 D.i.: Meine Geliebte. Durch die Worte: süsse Königin, Chosrui Schirin, spielt Hafis auf die zwei berühmten Liebenden dieses Namens an: nicht minder berühmt als diese, war der Bildhauer Ferhad, der Nebenbuhler Chosru's in der Liebe zu Schirin, von welcher begeistert er unsterbliche Werke vollendete.

4 D.h.: Den Bau meines Lebens.

5 D.h.: Dein reines Gemüth.

6 Siehe die 1. Anmerkung zum 2. Ghasel aus dem Buchstaben Be.

[1 Eine Anspielung auf den bekannten Spruch: Ja mufettihul - ewab iftatih lana chairal - bah, d.i. O Öffner der Pforten, öffne uns die beste Pforte! - welcher häufig über den Thoren öffentlicher Gebäude steht.]

7 Hafis wünschte aus einem unbekannten Grunde zu den Ilchaniden und seinem Freunde Selman nach Bagdad auszuwandern, gab jedoch sein Vornehmen bald wieder auf. Es ist wahrscheinlich, dass unter dem zu Anfang dieses Ghasels vorgekommenen Mädchennamen Selma, der 769 (1367) verstorbene Lobredner der Ilchaniden und vertraute Freund Hafisens, Selman gemeint sei, wegen dessen er sich nach Bagdad sehnte.

 

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