Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

111.

Es hat der Wein zum zweiten Mal
Mich meiner Hand entrückt,1

Und durch sein Schmeicheln ist der Sieg
Ihm über mich geglückt.

Gezollt sei tausendfacher Dank
Dem rothen Wein dafür,

Dass er das Gelb aus dem Gesicht
Hinweggenommen mir.

Die Hand verehr' ich, die zuerst
Die Traube hat gepflückt,

Und nimmer gleiten soll der Fuss,
Der sie zuerst zerdrückt!

Es schrieb das Wörtchen: »Liebe« mir
Das Schicksal an das Haupt;

Zu streichen was das Schicksal schrieb,
Ist nimmermehr erlaubt.

 O prahle doch mit Weisheit nicht,
Denn, rückt der Tod heran,

So stirbt ein Aristoteles
So wie der dümmste Mann.2

O Frömmler, geh' und halte mich
Nicht für gering und klein:

Denn, was ein Gott erschaffen hat,
Kann ja gering nicht sein.

Nicht also eingerichtet sei
Dein Lebenswandel hier,

Dass man einst sage wenn du stirbst:
»Er starb gleich einem Thier.«

Berauscht von Einheit aus dem Glas
Des Urvertrag's3 wird sein,

Wer da getrunken, wie Hafis,
Vom lauter'n, reinen Wein.4
 

1 D.h.: Mich ausser mich gebracht.

2 Wörtlich: Wie ein hilfloser Kurde.

3 Siehe die 1. Anmerkung zum 8. Ghasel aus dem Buchstaben Te.

[
1 Rusi elest, der erste Schöpfungstag, an welchem das Loos der Menschen für diese Welt bestimmt wurde. Er heisst so, weil Gott, nach Erschaffung der Geschöpfe, dieselben fragte: Elestu birebbikum, d.i. Bin ich nicht Euer Herr? (Sur. 7. V. 171). William Jones hat Rusi elest sehr richtig mit: Dies aeterni foederis, d.i. Tag des Urvertrages übersetzt, weil an diesem ersten Schöpfungstage nicht allein das irdische Loos der Menschen bestimmt wurde, sondern dieselben durch ihre bejahende Antwort auf obige Frage des Schöpfers gleichsam auch einen Vertrag mit ihm abschlossen, in Folge des sie ihn als ihren Herrn erkannten. - Schon seit diesem Tage, sagt Hafis, ward ich zum Zecher bestimmt, und spielt hier mit den Worten peiman, Bund, und peimanekesch, Becherleerer, Zecher.]

4 D.h.: Wer, wie Hafis, den reinen Wein der Liebe getrunken hat, der wird sich von dem Gedanken seiner Vereinigung oder seines Alleinseins mit dem ewigen Wesen berauscht fühlen, eine Berauschung, zu der er schon am ersten Schöpfungstage bestimmt ward.

 

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