Aus: Buchstabe Dal
112.
Entwirft man jemals zarte Verse,
Wenn Trauer das Gemüth befällt?
Dies hier ist ein's der feinen Worte,
Die meiner Lieder Buch enthält.
Wenn einen Freiheitsring1 ich fände,
Geformt aus deines Mund's Rubin,
Wie einst dem Salomon, gehorchten
Mir hundert Reiche wohl durch ihn.
Nicht ziemt es dir dich zu betrüben
Ob deiner Neider Spott, o Herz!
Es liegt vielleicht bei näh'rer Prüfung
Dein eig'nes Wohl in diesem Scherz.
Wem's an Verstand gebricht, zu fassen
Die Bilder meiner Phantasie,
- Wär' selbst der Maler er aus China2 -
Ich kaufte seine Werke nie.
Dem Einen gab man Weinpocale,
Dem Ander'n gab man Herzensblut:
Denn so verfährt man in dem Kreise,
Wo man vertheilt das ird'sche Gut.
Das Rosenwasser und die Rose
Gehorchen ew'gem Schicksalsschluss:
Frei auf dem Markte zeigt sich Jenes,
Indess sich diese bergen muss.
Ganz unwahr ist es, dass an's Zechen
Hafis nicht fürder denken mag:
Denn jene früheste Bestimmung
Hat Geltung bis zum spät'sten Tag.
1 Freiheitsring oder Freilassungsring,
Engüschterii sinhar, nennt man jenen Ring, den ehemals der Herr seinem
freigelassenen Sklaven gab, wie man ihm jetzt einen Freibrief ausstellt.
2 Unter dem Maler aus China wird der auf Befehl des Königs Behram
(Varanes) im J. 277 n.Ch. hingerichtete, berühmte Maler und Stifter der
Secte der Manichäer, Mani verstanden. Seine Kunst trug viel bei, ihm
Anhänger zu verschaffen, da sein Pinsel mit China's Gemälden
wetteiferte, die bis zum Aufblühen persischer Kunst die berühmtesten im
Oriente waren; daher hiess auch seine Werkstatt das chinesische
Bilderhaus, d.i. wetteifernd mit chinesischen Gebilden.
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