Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

117.

Ihr Lustgenossen, löst den Knoten
Vom Lockenhaar des Freundes doch!

Wohl eine schöne Nacht ist diese:
Verlängert durch dies Band1 sie noch!

Ein trauter Kreis hat sich gebildet,
Versammelt sind die Freunde hier;

Drum les't das Sprüchlein: »Wenig fehlte2
Dann aber schliesst des Saales Thür.

Den Liebenden und den Geliebten
Trennt eine Kluft, gar mächtig weit:

Denn wenn der Freund sich spröd erweiset,
So seid zu Bitten Ihr bereit.

Die Cither und die Harfe tragen
Mit lautem Ton die Lehre vor:

»Dem, was ein Eingeweihter kündet,
Dem horcht mit des Verstandes Ohr!«

Für Jeden, den in diesem Hause3
Der Liebe Odem nicht durchweht,

Verrichtet, eh' er noch gestorben,
Auf mein Fetwa4 das Sterbgebet!

Die erste Weisung, die gegeben
Der Vorstand der Versammlung, heisst:

»Seid auf der Hut vor dem Gefährten,
Der sich nicht gleichgesinnt erweist.«

Bei meines Freundes Seele! Nimmer
Zerreisst den Schleier Euch der Gram,

Wenn Euer Herz des Schöpfers Gnaden
Vertrauensvoll entgegen kam;

Und tritt Hafis mit dem Gesuche
Um eine Gnade vor Euch hin,

So weiset an die holde Lippe
Des schmeichlerischen Freundes ihn.
 

1 D.h.: Verlängert die Nacht durch die Erzählung von dem langen Haare des Freundes, das der Nacht gleicht.

2 Dies sind die ersten Worte des 52. Verses der 68. Sure des Korans, der also lautet: "Wenig fehlte, dass die Ungläubigen dich (Muhammed) mit ihren Blicken vom Sitze geschleudert hätten, nachdem sie die Ermahnungen (des Koran's) gehört. Sie sagen, er (Muhammed) sei ein vom Teufel Besessener; er (der Koran) ist aber nichts als eine Ermahnung für Alle." - Dieser Koranvers pflegt zur Hintanhaltung des bösen Blickes (cattiv' occhio) gebetet zu werden.

3 D.i.: In dieser Welt.

4 Fetwa heisst eine Entscheidung des Mufti, d.i. obersten Priesters des Islam's.

 

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