Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

121.

Um dem alten Weinverkäufer
Glück zu wünschen, kam der Ost:

Denn es kam die Zeit der Freude,
Wo man schwelgt und trinkt und kos't,

Und die Luft ward zum Messias;
Ganz zu Moschus ward der Staub,

Alle Bäume grünen wieder,
Und der Vogel singt im Laub;

Auch den Herd der Tulpen brachte
So in Gluth der Frühlingswind,

Dass in Schweiss sich Knospen baden,
Rosen wie gesotten sind.

Horche nur mit klugem Ohre
Und geniesse fort und fort!

Rief in's Ohr doch eine Stimme
Mir des Morgens dieses Wort.

 Nimmer weiss ich, was der Sprosser
Mit der freien Lilie sprach,

Die, hat sie auch zehn der Zungen,
Nimmer doch ihr Schweigen brach.1

Darf sich je ein Ungeweihter
Einem trauten Kreise nah'n?

Gib den Deckel auf den Becher,
Denn es kam der Kuttenmann!

Komm zurück von der Zerstreuung,
Dass du magst versammelt sein:

Denn, wenn Ahriman verschwindet,
Tritt der holde Engel ein.

Will ein schönes Wort dir sagen,
Doch bring' reinen Wein erst mir:

»Schon entfernte sich der Frömmler
Und der Weinwirth ist nun hier.«

Aus dem Kloster in die Schenke
Lenkt Hafis die Schritte. Ei!

 Kam vielleicht er zur Besinnung
Aus dem Rausch der Gleissnerei?
 

1 Wie die Zipresse unter den Bäumen, so ist die zehnblättrige Lilie unter den Blumen dem Orientalen das Sinnbild der Freiheit und nebstbei der Dollmetsch der Blumen, weil sie zehn Blätter, d.i. zehn Zungen hat.

 

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