Aus: Buchstabe Dal
122.
Endlich kam des Märzes Wolke
Und es weht des Neujahrs Hauch;
Weingeld will ich und den Sänger,
Der »Es kam« mir sage auch.1
Während alle Schönen kosen,
Schäm' ich meines Beutels mich;
Soll dies Schämen lang noch währen?
Frage ich, o Himmel, dich.
Noth an Grossmuth herrscht; verkaufe
Deiner Wange Wasser2 nicht;
Aber Wein und Rosen kaufen
Um die Kutte, sei dir Pflicht.
Es eröffnet meinem Glücke,
Wie es scheint, sich eine Bahn:
Denn, als gestern ich gebetet,
Brach der wahre Morgen3 an.
Hunderttausendfältig lächelnd
Kam die Rose auf die Flur:
Traf sie denn in einem Winkel
Eines Edlen duft'ge Spur?
Riss durch's Zechen auch in Stücke
Mir der Saum; mich kümmert's nicht;
Auch das Kleid durch guten Namen
Zu zerreissen heischt die Pflicht.4
Sprach von deinen holden Lippen
Irgend wer so schön wie ich?
Haben deine Lockenhaare
Irgend wen verfolgt wie mich?
Nimmt sich um verliebte Dulder
Der gerechte Fürst nicht an,
Gibt es keinen stillen Klausner,
Der auf Ruhe hoffen kann.
Wer den Liebespfeil entsandte
Auf Hafis, ich weiss es nicht;
Das nur weiss ich: Blut entträufet
Seinem blühenden Gedicht.
1 D.h.: Der da bestätige das Weingeld
richtig erhalten zu haben (und dafür singen müsse). Hafis bedient sich
hier zum Scherze in naher Zusammenstellung zweier Kanzleiausdrücke,
nämlich der Worte Amed und Resid, die beide: es kam bedeuten, und
womit die Einhebung der Gebühren auf den Anweisungen und die
eingegangenen Actenstücke bezeichnet zu werden pflegen.
2 Dass Wangenwasser Ehre bedeute, ist schon bemerkt worden. Der
Dichter mahnt hier sich und andere Dichter ab, Leute zu besingen, die
sich nicht grossmüthig erweisen. - Die Wange wird hier mit den
Rosen in Verbindung gebracht und das Wasser dem Wein
entgegengesetzt.
3 Der wahre Morgen heisst derjenige, auf den unmittelbar der
Sonnenaufgang folgt, im Gegensatze des lügnerischen, eines
blassen Lichtscheines, der dem wahren Morgen vorausgeht. Die
Morgengebete sind diejenigen, welche von Gott vor allen erhört werden.
4 Unter dem guten Namen versteht der Commentator Sudi die
Liebe, und sagt, der Sinn dieses Distichons sei: Man müsse bald
zechen und bald lieben.
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