Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

123.

Wohl bekomme es dem Ssofi,
Trinkt mit Maass er seinen Wein,

Und wo nicht, so falle nimmer
Ihm ein solches Treiben ein.

Wessen Hand auch nur ein Schlückchen
Wein's zu geben ist im Stand,

Um das Liebchen seines Wunsches
Schlinge traulich er die Hand!

»Fehlerlos ist - sprach mein Alter1 -
Was dem Schicksalsrohr entquoll.«

Ehre seinem reinen Blicke:
Fehler deckt er nachsichtsvoll.

Willig lieh der Schah der Türken
Einst sein Ohr der Kläger Schaar;

Siawuschens Blut bezeuge
Seine Schande immerdar!2

 Seinem Flaum und Seinem Maale
Hielt mein Aug' den Spiegel hin;3

Immer küsse meine Lippe
Auf die Brust und Schulter Ihn!

Hat aus Stolz er mit mir Armen
Auch kein Wort gesprochen noch,

Seinem süssen stummen Munde4
Opfre ich die Seele doch.

Wenn Sein trunk'nes Schmeichlerauge5
Auch aus vollem Glas das Blut

Der verliebten Männer tränke,
Nun, auch dann bekomm's Ihm gut!

Weltberühmtheit gab's Hafisen,
Dass er dich zum Herrn erkor:

Prange drum ihm deine Locke
Als der Knechtschaft Ring am Ohr!
 

1 Dieser Alte soll der fromme und gelehrte Scheich Isan'an gewesen sein: nach Anderen der Scheich Abdurrazzak aus Jemen.

2 Kieikawus, der zweite persische König aus der Dynastie der Kiejaniden, hatte einen Sohn Siawusch, den Siegfried der persischen Mythe, in den sich dessen Stiefmutter Sendabe verliebte, und den sie, da er ihre Neigung nicht erwiederte, bei seinem Vater verklagte, mit dem Vorgeben er habe ihrer Tugend nachgestellt. Siawusch floh, um sich zu retten, zu Efrasiab, Schah von Türkistan oder, wie Hafis sich ausdrückt, Schah der Türken, der ihm seine Tochter zur Gemahlin gab. Dies weckte den Neid der Grossen Türkistan's, die es dahin brachten, dass er bei seinem Schwiegervater in Ungnade fiel, dessen Bruder ihn mit eigener Hand erlegte, wahrscheinlich auf Efrasiab's Befehl. Diese Stelle spielt auf Sultan Manssur den Ilchaniden an, der, auf Anstiften seiner Wesire, seinen Sohn Essed unschuldiger Weise hinrichten liess. Essed war ein Freund Hafisens gewesen, der den König Manssur mit um so grösserem Rechte einen Schah der Türken nennt, als er von Holagu abstammte.

3 D.h.: Blickt immer auf dieselben.

4 Im Texte steht Pistazie statt Mund, dessen Sinnbild sie ist.

5 Hafis gibt dem Auge hier noch ein drittes Beiwort, nämlich Merdümdar, was: mit einer Pupille begabt und auch: männerfesselnd heissen kann.

 

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