Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

124.

Welch' ein Lärm, o Herr, brach Morgens
In dem Gau der Schenke aus?

Liebchen, Schenke, Licht und Fackel,
Alles war in Saus und Braus;

Man besprach sich über Liebe,
Die nicht Zeichen braucht noch Schall.

Bei der Flöte sanften Klage
Und der Pauke lautem Hall.

Was in jenem tollen Kreise
Man Erwähnungswerthes fand,

War erhaben über Schulen
Und gelehrter Fragen Tand.

Dankbar ist mein Herz dem Schenken
Für die Freundlichkeit des Blick's:

Doch beklagt es sich ein wenig
Über Ungunst des Geschick's.

 Jenes kühne Gauklerauge
- Analogisch schliesse ich -

Führte Tausende von Zaub'rern,
So wie einst Samir1 mit sich.

»Weise - sprach ich - meiner Lippe
Nur ein einz'ges Küsschen an!«

Lächelnd sprach Er: »Hast du jemals
Ähnliches mit mir gethan?«

Glück lässt mein Gestirn mich hoffen,
Weil ich gestern Abends fand,

Dass dem Monde gegenüber
Meines Freundes Wange stand.2

Freundesmund heilt alle Schmerzen,
Meinte stets Hafis; allein

Als dies Mittel ich versuchte,
War's, o Jammer, gar so klein!
 

1 Siehe die 3. Anmerkung zum 9. Ghasel aus dem Buchstaben Dal.

[
3 Samir, der im Koran erwähnte ägyptische Zauberer, der Anführer des israelitischen Volkes zu Moses Zeit, der Alchimist der Kinder Israel's, der das goldene Kalb aus dem Geschmeide der Juden verfertigte, das diese dann mit ihm anbeteten. Pharao hatte dessen Künste den Wundern, die Moses durch seinen Stab und seine Hand gewirkt hatte, entgegensetzen wollen, aber beschämt musste er zurücktreten und die Macht des wahren Gottes anerkennen.]

2 Als Sonne nämlich. - Das Gegenüberstehen zweier Gestirne gilt für ein Zeichen des Glücks.

 

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