Aus: Buchstabe Dal
131.
Der Ostwind brachte süssen Duft
Vom Freundeshaar zur Morgenzeit;
Er brachte das so volle Herz
Mir neuerdings in Thätigkeit.
Ich riss mir jenen Pinienzweig1
Aus meines Busens Gartenflur:
Denn jeder Blüthe Seines Gram's
Entspross die Frucht der Leiden nur.
Aus Furcht vor Seiner Liebe Raub
Ergriff mein blut'ges Herz die Flucht;
Doch Blut vergoss es auf dem Weg',
Und seine Spur ist's, die Er sucht.
Es hat der Mond - ich sah es klar
Vom Dache, das Sein Lustschloss deckt -
Aus Scham vor jenem Sonnenlicht
Sich hinter eine Wand versteckt.
Des Sängers und des Schenken Wort
Lockt mich zuweilen vor das Thor:
Denn schwer dringt auf der rauhen Bahn
Der Bote einer Nachricht vor.
Geschenke meines Seelenfreund's
Sind laut're Huld und Gnade nur:
Er spende einen Rosenkranz,
Er bringe eine Christenschnur.2
Es lohn' es Seiner Braue Gott!
Denn ob sie gleich mich schwach3 gemacht,
So hat sie doch durch Freundlichkeit
Auch Trost dem kranken Mann gebracht.
O frohe Zeit, in der das Herz
Sich Seines Haares Knotenband
Entzog und so ein Werk vollbracht,
Das selbst des Feindes Beifall fand.
Der Ostwind, weil er Eifersucht
Vor meines Freundes Haar verspürt,
Schlug allen Moschus in den Wind,
Den er der Tatarei entführt.
Ich staunt', als gestern bei Hafis
So Glas als Becher ich gewahrt;
Allein ich stritt darüber nicht:
Bracht' er sie doch auf Ssofiart.4
1 D.i. den Geliebten.
2 D.h.: Jedes Geschenk des Freundes ist mir werth, sei es der Glaube
oder das Christenthum. Der muhammedanische Rosenkranz (tesbih) besteht
aus 99 Körnern, die den 99 Eigenschaften Gottes entsprechen. Der Schnur
oder des Gürtels (Sonnar), des Unterscheidungszeichens der
Nichtmuhammedaner, ist bereits in der 2. Anmerkung zum 50. Ghasel aus
dem Buchstaben Te Erwähnung geschehen.
3 D.i.: Krank.
4 D.i.: Heimlich unter der Kutte versteckt.
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