Aus: Buchstabe Te
7.
Die Nacht der Kraft1, von der die Frommen sprechen,
Ist sicher diese Nacht;
O Herr, was ist es für ein Stern gewesen,
Der dieses Glück gebracht?
Auf dass die Hand Unwürdiger stets bleibe
Von deiner Locke fern,
Schickt jedes Herz aus einem Lockenringe
Ein Stossgebet zum Herrn.2
Todt lieg' ich in dem Brunnen deines Kinnes,
Denn überall umfing
Wohl Hunderttausende von Seelen-Nacken
Das Doppelkinn als Ring.
Der Mond hält meinem königlichen Reiter3
Den Spiegel vor's Gesicht;
Es ist der Hufstaub seines Schlachtenrosses
Der Sonnenkrone Licht;
Sieh, hell erglänzt sein Wangenschweiss; die Sonne,
Die sich so heiss bewegt,
Fühlt täglich sich, aus Lust nach diesem Schweisse,
Von Fiebergluth erregt.
Ich leiste nimmer auf des Freund's Rubine
Und auf das Glas Verzicht,
Ich halte dies - entschuldigt mich, Ihr Frommen! -
Für meine Glaubenspflicht.
Dort wo den Rücken man des Ostwind's sattelt
Bei jenem Lagertross,
Wie kann ich dort mit Salomon mich messen?
Die Ämse ist mein Ross.4
Es träuft ihm aus dem Schnabel der Beredtheit
Stets Lebenswasser nur
Dem Raben meines Rohrs; er ist, beim Himmel!
Von herrlicher Natur.
Er, der mit des verstohl'nen Blickes Pfeile
Das Herz mir bluten macht,
Er spendet auch Hafisen Seelennahrung
Wenn er verstohlen lacht.
1 Die Nacht der Kraft,
Schebi Kadr, heisst jene Wundernacht, in welcher der Koran vom Himmel
gesandt ward.
2 Der Dichter setzt hier voraus, dass in jedem Lockenringe des Geliebten
ein Herz in Gefangenschaft schmachte und eifersüchtig auf seine Bande
sei.
3 Königlicher Reiter oder Königsreiter ist ein oft gebrauchter
Zärtlichkeitsausdruck, um den Anstand und die Hoheit des Geliebten zu
bezeichnen.
4 D.h.: Dort im Lager der Schönen, die auf Windesflügeln zum Siege
eilen, kann ich unbedeutender Mensch, der nur eine Ameise reitet, mich
nicht mit Salomo (dem Geliebten) messen. Die Sage gibt nämlich dem
Könige Salomon den Ostwind zum Leibrosse.
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