Aus: Buchstabe Re
8.
Festtag ist, die Rosen enden
Und die Freunde harren dein;
Schenke! Im Gesicht des Königs
Sieh den Mond1 und bringe Wein!
Auf die Rosentage hatte
Ich bereits verzichtet; doch
Fastender Bezechter Streben
Änderte die Sache noch.2
Nie dein Herz an Ird'sches bindend.
Frage Trunk'ne um Bescheid
Über des Pocales Segen
Und Dschemschidens Herrlichkeit.
Nur der Seele Baarschaft halt' ich
Noch in Händen; wo ist Wein?
Einem holden Blick des Schenken
Mög' auch der geopfert sein!
Zwar das Frühmahl3 ist vorüber,
Doch was thut's? der Frühwein nicht,
Da, wer nach dem Freund begehret,
Nur mit Wein die Faste bricht.
An dem Tage des Gerichtes
Wandelt - fürcht' ich - Hand in Hand
Mit dem Rosenkranz des Scheïches
Des Berauschten Mönchsgewand.
Dieses Reich ist herrlich blühend,
Und sein Herrscher mild und gut:
Vor des Schicksals bösem Auge
Nimm ihn, Herr, in sich're Hut!
Trinke, Fürst, bei meinem Liede,
Denn ein Schmuck ist's eig'ner Art,
Wenn sich deinem Gemmenglase
Diese Königsperle4 paart.
And'rer Fehler zu verhüllen
Hält dein edler Sinn für Pflicht:
Drum verzeihe meinem Herzen,
Dem es an Gehalt gebricht!
Schwand, Hafis, die Zeit der Faste,
Schwindet auch die Rose nun:
Darum musst du Wein geniessen,
Bleibt nichts And'res doch zu thun.
1 D.h. Willst du Gewissheit haben, dass
der Mond des Bairamfestes, bei dessen Eintritt Genüsse wieder erlaubt
sind, erschienen sei, so blicke auf den Mond des Gesichtes des Königs,
d.i. meines Geliebten.
2 D.h. Als der Fastenmonat Ramasan eintrat, war die Zeit der Rosen schon
vorüber; doch eine Wirkung des moralischen Beistandes derjenigen
Bezechten, die die Faste gehalten hatten, war es, dass noch am
Beiramfeste Rosen blühten und dass daher noch beim Anblick derselben
Wein getrunken werden konnte.
3 Das Frühmahl, Sahur, ist dasjenige Mahl, das die Mohammedaner im
Fastenmonde Ramasan, wo sie bekanntlich von Sonnenaufgang bis
Sonnenuntergang sich von Speise und Trank enthalten müssen, unmittelbar
vor Anbruch des Morgens einnehmen.
4 Gegenwärtiges Ghasel nämlich.
|