Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Schin

5.

Greif' zur Tulpenzeit nach Bechern,
Hüte dich vor Heuchelei'n

Und geselle dich dem Oste,
Wenn dich Rosendüfte freu'n!

Trägst du, wie einst Dschem, Verlangen
Das Geheimste zu erspäh'n,

So geselle dich dem Glase,
Das dich lässt das Weltall seh'n!

Nimmer sag' ich dir: »Dein Götze
Sei durch's ganze Jahr der Wein!«

Durch drei Monde1 magst du trinken
Und durch neun enthaltsam sein.

Da die alte Pilg'rin: »Liebe«
An den Rebensaft dich weist,

Nun so trinke Gott vertrauend,
Der Erbarmen dir verheisst!

Wenn auch alle ird'schen Dinge,
Knospen gleich, verschlossen sind,

Magst du deine Knoten2 lösen,
Ähnlich einem Frühlingswind.

Suche ja bei Niemand Treue:
Hörst du aber nicht auf mich,

Mühe fruchtlos um Simurghen3
Und den Stein der Weisen dich!

Sei, Hafis, kein Andachtsjünger
Jener, die du nimmer kennst

Und verkehre nur mit Zechern,
Die du deine Priester nennst.
 

1 Die drei Frühlingsmonde.

2 D.i. Deine Bekümmernisse.

3 Simurgh, der fabelhafte auf dem Berge Kaf in Einsamkeit lebende Vogelgreis.

 

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