Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Te

16.

Pinjen und Zipressen brauchet
Nimmer meines Gartens Raum:

Denn, wem wiche wohl an Höhe
Meines Buchses1 zarter Baum?

Sage mir, du holder Knabe,
Welchen Glauben nennst du dein?

Denn mein Blut scheint dir erlaubter
Als die Muttermilch zu sein.

Siehst von fern du düst're Bilder,
O dann hurtig Wein begehrt!

Den Erfolg erprobt' ich selber,
Und das Mittel ist bewährt.

Zieh' ich von des Wirthes Schwelle
Jemals wohl das Haupt zurück?

Wohnt in diesem Haus und Hofe
Immer doch nur Sieg und Glück.

Nichts als nur gebroch'ne Herzen
Kauft man ein auf meiner Bahn;

Auf dem Markt des Selbstverkaufens2
Langt auf ander'm Weg man an.

Gestern liess Genuss Er hoffen.
Und im Kopfe spukt' ihm Wein:

Doch was spukt Ihm heut im Kopfe.
Und was wird Sein Ausspruch sein?

Stets dasselbe ist das Mährchen3
»Liebesgram«; doch sonderbar,

Dass bei Keinem, der's erzählte.
Es ein wiederholtes war.

Kehre wieder, denn das Auge
Hofft auf dich in Trennungsnoth,

Wie das Ohr des Fastenhälters
Auf die Worte: »Gross ist Gott!«4

Schilt nicht auf Schiras und Rokna,5
Noch auf jenen Abendwind,

 Sie, die Wasser auf der Wange6
Aller sieben Länder7 sind.

Welch ein Abstand! Chiser's Wasser8
Fliesset in des Dunkels Schoos,

Und der Urquell meines Wassers
Sind die Worte: »Gott ist gross!«9

Von dem Ruhm zufried'ner Armuth
Zieh' ich nimmer mich zurück;

Sprich zum Kaiser: »Für die Nahrung
Sorgt ein gütiges Geschick.«

Welch ein frisches Kandelbäumchen
Ist dein Schreibrohr, o Hafis!

Ist doch Honig selbst und Zucker
Nicht wie seine Früchte süss.
 

1 Der Buchs erhebt sich in den Wäldern Arabiens in den schönsten Verhältnissen, ganz entgegengesetzt dem niedrigen, verkrüppelten Gesträuche in den englischen Gärten.

2 Sehr bezeichnend heisst im Persischen der Eigendünkel das Selbstverkaufen.

3 Die Bulaker Augabe hat hier irrig Gusse, Trauer, statt Kisse, Mährchen.

4 Die mit Sonnenaufgang beginnende Faste des Monats Ramasan währt bis Sonnenuntergang, wo der von den Minarets der Moscheen ertönende Ruf: "Gott ist gross!" das Zeichen zum Abendgebete und zum sehnlichst erharrten Genusse von Speise und Trank gibt.

5 Rokna, abgekürzt aus Roknabad, der Name einer von Seid Rokneddin angelegten, reizend gelegenen Vorstadt von Schiras und einer Quelle daselbst.

6 Das Wasser der Wange heisst, wie bereits erwähnt wurde, der Ruhm, der Glanz, die Zierde.

7 Unter den sieben Ländern oder Erdstrichen, Heft Kischwer, verstehen die Orientalen die ganze Erde.

8 Chiser's Wasser ist der vom Propheten Chiser, dem überirdischen Leiter auf dem Wege des beschaulichen Lebens, im Lande der Finsternis aufgefundene Quell des ewigen Lebens.

9 Allah ekber, Gott ist gross, ist der Name einer vor Schiras gelegenen und die herrlichste Aussicht auf die Stadt gewährenden quellenreichen Anhöhe; sie hat ihren Namen wahrscheinlich der Bewunderung zu danken, mit welcher der Fremde, von ihr aus das herrliche Schiras erblickend, ausruft: Gott ist gross!

 

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