Aus: Buchstabe Mim
19.
Bewahre Gott! Zur Zeit der Rosen
Leist' auf den Wein ich nicht Verzicht;
Ich, der ich mit Verstande prahle,
Ich thue dies ganz sicher nicht.
Wo weilt der Sänger? Was das Wissen
Mir eintrug und ein frommer Sinn,
Geh' ich der Harfe und der Zither
Und dem Gesang der Flöte hin.
Der Schule nichtiges Geschwätze
Schafft mir zur Stunde nichts als Pein:
Ich will ein Wenig dem Geliebten
Nun gleichfalls dienen und dem Wein.
Wo ist die Treue heut zu finden?
Bring' den gefüllten Becher mir!
Von Dschem, Kjawus und Kej erzähle
Ich alsbald die Geschichte dir.1
Es schreckt das schwarze Buch mich nimmer,
Weil ich, bricht der Gerichtstag an,
Durch Gottes Huld von solchen Büchern
Wohl Hunderte beseit'gen kann.
Wo weilt denn nur des Morgens Bote?
Die Klage ob der Trennung Nacht
Hätt' ich so gern ihm, dem Beglückten,
Dem Freudenbringer, vorgebracht.
Weil schon im Urbeginn der Zeiten
Mein Staub geknetet ward mit Wein,2
So sprich zu meinem Widersacher:
»Warum soll Wein verwehrt mir sein?«
Doch diese Seele, die Hafisen
Der Freund als Darlehn nur vertraut,
Geb' ich an jenem Tag ihm wieder
An dem ich sein Gesicht geschaut.
1 Dass nämlich das Erdenglück auch diesen
drei grossen altpersischen Monarchen nicht treu geblieben. - Kej ist
abgekürzt von Kejkobad.
2 D.h. Weil es von aller Ewigkeit her meine Bestimmung ist, Wein zu
trinken.
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