Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Mim

22.

Als der Zeit ganz angemessen
Seh' ich's gegenwärtig an

Nach der Schenke auszuwandern,
Und da froh zu weilen dann.

Nur ein Buch und eine Flasche
Sei dort freundlich mir gesellt,

Dass ich listige Genossen
Nie erblicke auf der Welt.

Nach dem Weinpocale greifend,
Such ich Heuchlern fern zu sein,

Wähle nämlich mir hienieden
Nur ein reines Herz1 allein.

In befleckter Kutte prahlte
Gar zu sehr mit Tugend ich,

Schäme d'rum vor Schenkenwangen
Und vor färb'gem Weine mich.

Alle werd' ich überragen,
Frei wie der Zipressenbaum,

Glückt es mir von Weltgelüsten
Abzuziehen meinen Saum.

Unbild deckt mein Herz mit Staube;2
Doch, o Gott, gestatte nicht

Dass sich je mein Spiegel3 trübe,
Der da glänzt wie Sonnenlicht.

Viel zu eng' ist ja mein Busen
Um zu tragen Seinen Schmerz;

Nicht gewachsen solcher Bürde
Ist mein gramerfülltes Herz.

Sei ich Zecher in der Schenke,
Sei ich in der Stadt Hafis,4

Bin die Waar' ich die du schauest;
Und noch schlechter überdies.

Beim Assaf steh' ich in Diensten:
Mich zu kränken hüte dich!

 Denn, wenn ich ein Wort nur spreche,
Rächt er selbst am Himmel mich.
 

1 Worunter hier das Weinglas verstanden wird.

2 D.i. Mit Kummer.

3 D.i. Mein Herz.

4 D.h. Der Hüter der Stadt, denn Hafis heisst ein Hüter, ein Bewahrer. Der Sinne ist: Sei ich nun ein Trunkelbold oder ein die Stadt vor Unsittlichkeit bewahrender, tugendhafter Mann.

 

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