Aus: Buchstabe Mim
26.
O froher Tag an dem ich scheide
Von diesem wüsten Wohngebäu',
Und, Seelenruhe nur verlangend,
Dem Seelenfreunde folge treu!
Wohl weiss ich es, den Fremdling führe
Sein Weg nach keinem Ruhort zwar;
Doch jenes wirren Haares Düfte
Folg' ich voll Hoffnung immerdar.
Dem Oste gleich, mit krankem Herzen,
Mit einem Leibe matt und schwach,
Folg' ich der wandelnden Zipresse
In luftiger Begierde nach.
Der düst're Kerker Alexander's
Erfüllt mein Herz mit Grauen schon;
D'rum reise ich, mein Bündel schnürend,
Bis in das Reich des Salomon.1
Es kümmern nicht sich flinke Reiter
Um den der schwer beladen schleicht:
Kommt mir zu Hilfe, fromme Leute,
Auf dass ich wandle froh und leicht!
Wenn auf dem Haupte, gleich dem Rohre,
Ich wandeln muss auf Seiner Bahn,
So schreite ich mit wundem Herzen
Und thränenvollem Aug' heran,2
Werd' ich einst frei von diesem Grame,
Thu' ich wie ich gelobt zuvor,
Und gehe, frohe Lieder singend,
Gerade bis zum Schenkenthor,
Und tanze, so wie Sonnenstäubchen,
In luft'ger Leidenschaft für Ihn,
Und wandle bis zum Quellenrande
Der strahlenreichen Sonne hin.
Führt mich die Strasse, gleich Hafisen,
Heraus nicht aus dem wüsten Ort,
So ziehe mit dem Heereslager
Des herrschenden Assaf's ich fort.
1 Unter Alexander's Kerker ist hier die
Stadt Isfahan, wohin Hafis aus unbekannter Veranlassung gereist war, und
unter dem Reiche Salomon's Schiras verstanden.
2 Wie das Schreibrohr, das ein wundes Herz hat, weil es erst
angeschnitten werden muss um gebraucht zu werden, und dessen Thränen
die Tropfen der Tinte sind.
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