Aus: Buchstabe Mim
29.
Gestern Nachts lenkt' ich den Strom der Thränen
In des Schlummers Weg und hemmte ihn,
Und, des Flaum's gedenkend deiner Lippe,
Malt' auf Wasser ein Gemäld' ich hin;1
Und, des Freundes Braue vor dem Blicke,
Und mit angebranntem Mönchsgewand,2
Trank ich auf das Wohl der Altarnische3
Einen Becher aus, der vor mir stand;
Und das Antlitz des Geliebten zeigte
Meinem Blicke sich im Strahlenlicht,
Und ich sandte Küsse aus der Ferne
Nach des Mondes hellem Angesicht;
Auf des Schenken Antlitz lag mein Auge,
An dem Klang der Harfe hing mein Ohr,
Und dem Auge sagt' ich und dem Ohre
Künftig noch ein gröss'res Glück bevor.
Deines Angesichtes Traumgemälde
Malt' ich Nachts bis hin zur Morgenzeit
Auf die Künstlerwerkstatt meines Auges,
Das sich leider nie des Schlaf's erfreut.
Bei den Worten dieses schönen Liedes
Griff der holde Schenke nach dem Glas;
Er begann dies Lied mir nachzusingen,
Und ich trank vom reinsten Rebennass;
Und ein jedes Vöglein der Gedanken,
Das vom Lustzweig aufgeflattert war.
Fing ich wieder, da ich sanft es lockte
Mit dem Saitenschwinger, deinem Haar.
Fröhlich ging Hafisen's Zeit vorüber,
Und ein wunscherfüllendes Geschick
Hab' ich d'rum den Freunden auch verkündet
In Bezug auf Leben und auf Glück.
1 D.h. Dein Bild stellte sich meinem
nassen Auge dar. Da der Ausdruck: Ein Bild auf Wasser malen, im
Persischen auch etwas Wunderbares vollbringen heisst, so kann
dieser Vers auch bedeuten: Ich schaute, deines Flaums gedenkend, die
Wunderreize desselben.
2 Eine Anspielung auf die schwarze Decke des Grabmales des Propheten,
die man aus Andacht auf die Altäre zu hängen pflegt.
3 D.i. Der Augenbrauen, die häufig den Altarnischen in Moscheen
verglichen werden. Solche Nischen, die nach Mekka gerichtet sind und
worin der Koran liegt, vertreten ungefähr die Stelle unserer Hochaltäre.
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