Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Te

21.

Es ist die Lippe meines Freundes
Ein feuchter, blutiger Rubin,

Und freudig gebe ich die Seele,
Bloss um ihn zu erblicken hin.

Vor jenem schwarzen Auge schäme
Und vor den langen Wimpern sich,

Wer schaute, wie er Herzen raubet
Und es gewagt, zu schmähen mich.

O Führer der Kameele, schaffe
Nicht mein Gepäck zum Thor hinaus!

Am Königswege1 liegt ein Dörfchen,
Und dort steht meines Liebsten Haus.

Ich bin des eig'nen Schicksals Sclave,2
Denn jetzt, wo Noth an Treue ist,

Ist's jenes trunk'nen Luli's Liebe
Die mich zu kaufen sich entschliesst.

Die würz'ge Scheibe einer Rose,
So wie ihr Kelch, der Ambra streut,

Enthalten Theilchen nur des Duftes,
Den mein Gewürzverkäufer3 beut.

O Gärtner, treibe gleich dem Weste
Nicht aus dem Gartenthore mich!

Denn deinen Rosenhain bewäss're
Mit Thränen, gleich Granaten4, ich.

Nur Kandelsaft und Rosenwasser,
Die meines Freundes Lipp' enthält,

Ward mir von seinem Aug' verschrieben,
Das sich mein Herz zum Arzt bestellt.

In lieblicher Ghaselen - Dichtung
Genoss Hafis den Unterricht

Des Freund's, der süsse Reden führet,
Und wunderselt'ne Dinge spricht.
 

1 Der Königsweg heisst im Persischen so viel als die Heerstrasse. Durch diese Benennung spielt Hafis auf seinen Freund, den König seines Herzens an.

2 D.h.: Ich füge mich willig wie ein Sclave in mein Schicksal.

3 D.i.: Mein Geliebter.

4 D.i.: Mit Thränen, blutroth wie die Frucht des Granatenbaumes.

 

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