Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Mim

48.

Vor den Staub den deine Füsse treten
Legt' ich hundertmal das Antlitz hin,

Hielt mich stets in gänzlicher Entfernung
Von des Volkes heuchlerischem Sinn.

Allen Ruhm der tugendhaften Ahnen,
Der hinauf durch viele Jahre reicht,

Weihte ich dem Glase und dem Schenken,
Dessen Antlitz einem Monde gleicht;

Und der Schule Bogengang und Kuppel,
Und was streitend Weisheit dort bespricht,

Weihte ich den Freuden dieses Lebens
Und des Lieblings Rosenangesicht;

Und ich legte keine schwere Bürde
Auf ein Herz das baar an Kräften war,

Und ich knüpfte das Gepäck des Lebens
Jederzeit nur an ein einz'ges Haar;1

Und des Heiles Königreich bezwang ich
Nimmermehr durch einen Kriegerschwarm,

Und den Grund zum Herrschaftsthrone legt' ich
Nimmermehr durch einen starken Arm.2

Jenem Paar bezaubernder Narcissen
Brachte willig ich die Seele dar,

Und das Herz auch legte ich mit Wonne
Hin vor jenes ind'sche Sünbülhaar.

Welch' ein Spiel treibt wohl des Freundes Auge
Das die Macht der Zauberei besitzt,

So dass ich auf seines Blickes Zauber
Meines Lebens ganzen Bau gestützt;

Und, gelagert in der Hoffnung Ecke,
Jenen gleich, die nach dem Neumond schau'n,

Richtete ich des Verlangens Auge
Hin auf jene hold geschweiften Brau'n.3

Fern von Seiner lieblichen Narcisse
Legte ich, mit schwermuthvollem Sinn,

Wie berauscht, mein Haupt, dem Veilchen ähnlich,
Auf die Spitze meines Kniees hin.

Nur Genuss, Hafis, sei dein Bestreben
Denn die Barschaft »Einsicht und Verstand«

Für den Freund mit kettengleicher Locke
Hinterlegte ich als Unterpfand.

Und du sprachst: »Hafis, an welchem Orte
Mag dein Herz, das irrende, nun sein?«

In die Ringe jener zarten Häkchen
Deiner Locken legt' ich es hinein.4
 

1 D.i. Ich bürdete meinem schwachen Herzen nicht die Last der Begierde nach Erdengütern auf, an denen mir so wenig lag, dass ich sie nur gleichsam mit einem einzigen Haare befestigte.

2 D.h. Nicht durch Gewalt errichtete ich den Thron der Liebe.

3 Bekanntlich nimmt das Beiramsfest erst dann seinen Anfang, wenn eigens dazu von der Obrigkeit bestellte Personen vor Gericht bezeugen, dass sie den Neumond, der auf den Fastenmonat Ramasan folgt, am Himmel erblickt. - Die Brauen des Geliebten sind hier der Neumond, nach dem verlangend das Auge des Dichters späht.

4 Dieses Distichon ist eine Variante des vorhergehenden.

 

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