Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Mim

50.

Für den Weltschmerz, dessen Grenzen
Ich stets weiter sehe weichen,

Seh' ich wohl kein and'res Mittel
Als den Wein, den erg'wangleichen.

Ich entsage nicht des Wirthes
Mir so freundlichem Verkehre,

Denn ich seh' in dieser Sache
Nichts was Nutzen mir gewähre.

Niemand gibt bei diesem Rausche
Mir nur Eines Schlückchens Labe;

Sieh, ich seh' hienieden Keinen
Der ein Herz im Busen habe.

Miss an des Pocales Sonne
Deiner Lebensfreuden Höhe,

Weil ich das Gestirn der Zeiten
Nicht beharrlich günstig sehe.

 Für ein Herz zeugt nur die Liebe:
Halte dich an sie für immer;

In der Stadt bei uns'ren Scheïchen
Seh' ich dieses Zeichen nimmer.

Um das Härchen Seiner Mitte,1
D'ran das Herz ich fest gebunden,

Frag' mich nicht: denn selber seh' ich
Aus der Mitte mich verschwunden.

Über die zwei nassen Augen
Ruf' ich tausend Male Wehe!

Weil ich, ach, trotz zweier Spiegel,
Sein Gesicht nicht deutlich sehe.2

Seit dein schlanker Wuchs dem Bache
Meines Auges ward entrissen,

Seh', an der Cypresse Stelle,
Ich nur Wasserströme fliessen.

Mir genügt das Schiff Hafisens:3
Denn auf keinem and'ren Meere

 Seh' ich eine Redewaare
Die so herzerfreuend wäre.
 

1 D.h. Ich sehe, dass ich selbst ausser mir (oder, wie man in der niedern Sprechart sagt: ganz weg) bin; wie sollte ich die haarfeine Lende des Geliebten sehen können?

2 Weil die Thränen nämlich die zwei Spiegel meiner Augen trübend, mir des Geliebten Gesicht nicht deutlich sehen lassen.

3 Schiff, Sefine, heisst auch eine Sammlung von Gedichten.

 

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