Aus: Buchstabe Mim
53.
Wenn ich als Diener auch
Des Kaisers mich bekunde,
So bin ich Kaiser doch
Im Reich der Morgenstunde.1
Im Ärmel einen Schatz,
Den Beutel leer gelassen,
Bin ich das Wunderglas
Und bin der Staub der Strassen2
Von Ruhe nüchtern zwar,
Allein von Hochmuth trunken,
Bin ich der Einheit Meer
Und bin in Schuld versunken;3
Und lässt das Liebchen »Glück«
Den Blick hold auf mir hangen,
Bin ich, dem Monde gleich:
Der Spiegel seiner Wangen.4
Bei'm König wachen Glück's5
Bin ich durch alle Nächte
Als Wächter aufgestellt
Für seine Kronenrechte.
Sag' ihm: »Zu Nutze mög'st
Mein Streben du dir machen,
Denn ruhig schlummerst du,
Und meine Augen wachen.«
Manssur, der König, ist
Vom Orte unterrichtet
Nach dem ich das Gesicht
Des Strebens hingerichtet.
Aus Blut ein Leichentuch
Bestimme ich den Feinden;
Doch der Erob'rung Kleid
Bereite ich den Freunden.
Die Farbe des Betrug's
Befleckt nicht meine Wange:
Ich bin der rothe Leu
Und bin die schwarze Schlange.6
Sprich: »Was Ihr ausgeborgt
Das gebt zurück Hafisen!«7
Du selbst gestand'st es ja
Und ich, ich hab's bewiesen.
1 D.h. Im Reiche des Gebetes, das
vorzugsweise in den Morgenstunden Erhörung findet.
2 D.h. Obwohl ich einen Schatz des Wissens in mir berge und kein Geld
habe, bin ich doch hochgeehrt wie Dschemschid's Wunderglas, und demüthig
dabei wie Strassenstaub.
3 D.h. Ich bekenne den einigen Gott und bin doch sehr sündhaft dabei.
4 Erwiedere ich ihm nämlich die holden Blicke, wie es ein Spiegel thut.
5 Bei'm bereits erwähnten Könige Manssur, dessen Glück nie schlummert.
6 D.h. Ich habe nur Eine Farbe an mir, wie der rothe Leu und die
schwarze Schlange, was so viel heisst, als: ich bin lauter, wahr, nicht
buntfärbig wie Gleissner.
7 Hafis bittet in diesen Zeilen den König Manssur, ihm zur Eintreibung
des ihm von seinen Gläubigen Schuldigen zu verhelfen, oder vielleicht
die Dichter, die ein Plagiat an ihm begingen zum Geständnisse desselben
zu vermögen.
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