Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Mim

66.

Ich gab den Unterricht des Morgens1
Für Sehnsucht nach dem Weinhaus hin,

Und opferte dem Seelenfreunde
Der Andacht heiligen Gewinn.

Die Garbe hundert weiser Männer
Wird lichterloh in Brand gesetzt

Durch jenes Maal das ich, der Tolle,
Mir in das eig'ne Herz geätzt.

Der ew'ge Herrscher hat die Schätze
Des Liebesgrames mir beschert.

Seit den Ruinen dieses Hauses
Das Angesicht ich zugekehrt.2

Nie wurde noch ein gröss'rer Heuchler
Bedeckt von einem Ordenskleid,

Dem ich als Grundbau unterlegte
Das Mienenspiel der Trunkenheit.

 Ich öffne keiner Götzenliebe
Die Herzensbahn wie einst zuvor,

Denn Seiner Lippe Siegel legte
Ich nun an dieses Hauses Thor;

Und jenen Kuss, um dessentwillen
Der Frömmler mir gereicht die Hand,3

Ich legte ihn mit reinem Sinne
Hin auf des Weinpocales Rand.

Gottlob, des Herzens und des Glaubens
War, wie ich selber, auch beraubt

Der Mann, an dessen Weisheitspflege
Und helle Einsicht ich geglaubt.

Dies Schiff, stets hin und her getrieben,
Wie fördert es den ferner'n Lauf?

Ich opferte ja meine Seele
Für diese selt'ne Perle auf.

Ich war, Hafisen gleich, zufrieden,
Erschienst du mir im Bilde nur;

 O Herr, wie dürftig ist mein Streben
Und wie befremdender Natur!
 

1 D.h. Das Morgengebet.

2 Seitdem wir nämlich das wüste Haus dieser Erde betraten.

3 Um sie nämlich zu küssen.

 

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