Aus: Buchstabe Mim
72.
Du blick'st auf mich, und meine Leiden
Vermehr'st du augenblicklich mir.
Ich blick' auf dich, und augenblicklich
Vermehrt sich meine Lust nach dir.
Du frägst nicht nach, wie es mir gehe?
Was hast du denn im Sinne? sprich!
Du müh'st dich nicht um meine Heilung:
Wie? weisst du denn nicht leidend mich?
Ist's Recht, mich in den Staub zu schleudern?
Und dann vorbei zu geh'n an mir?
O komm' und frage wie's mir gehe!
Dann werde ich zum Wegstaub dir.
Ich lasse deinen Saum nicht fahren
Als nur im Grabe, und auch dann
Hängt - kömmst am Grabe du vorüber -
Mein Staub sich deinem Saume an.
Dein Liebesgram hemmt mir den Athem:
Sprich, bis wie lang bethörst du mich?
Du liessest mich zu Grunde gehen
Und sagest nicht: »Erhole dich!«
Ich forderte von deiner Locke
Zur Nachtzeit einst mein Herz zurück,
Da sah ich dein Gesicht1, und schlürfte
Aus deines Mundes Glas das Glück;
Flugs zog ich dich an meinen Busen:
Da kräuselte sich hold dein Haar,
Und, meine Lippe an der deinen,
Bracht' ich dir Herz und Seele dar;
Und als du auf die grünen Felder
Lustwandeln gingest ohne mich,2
Da löste eine rothe Thräne
Von meiner gelben Wange sich.
Sei du nur freundlich mit Hafisen,
Mag dann der Feind erblassen auch:
Wenn nur bei dir ich Wärme finde,
Was liegt am kalten Feindeshauch?
1 Bei dem hellen Glanze nämlich, den
deine Locke verbreitet.
2 Bi ma, ohne mich, ohne uns, kann aber auch heissen:
ohne Wasser, eine Wortspielerei, in der sich der Dichter hier um so
besser gefiel, als bei Erwähnung der grünen Felder, der rothen
Thräne und der gelben Wange ihm auch die zwar nicht
ausgesprochene, aber doch darunter gemeinte weisse Farbe des
Wassers nicht fehlen zu dürfen schien.
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