Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Te

25.

Mit zerwühltem Haar, vom Schweisse triefend,
Freundlich lächelnd und vom Wein entbrannt,

Mit zerriss'nem Hemd, Ghaselen singend
Und die volle Flasche in der Hand;

Mit Narcissen,1 die nach Streit sich sehnen,
Und mit Lippen, reich an Zaubermacht,

Kam und setzte gestern an mein Lager
Er2 sich hin, in stiller Mitternacht;

Und er bog sein Haupt zu meinem Ohre,
Und dann sprach er mit betrübtem Ton:

»Du mein alter, zärtlicher Verehrer!
Übermannte dich der Schlummer schon?«

Reicht man nun, und zwar bei nächt'ger Weile,
Einem Weisen einen solchen Wein,

Wird er zum Verräther an der Liebe,
Wollt' er nicht ein Weinverehrer sein.

 Frömmler, geh' und spotte Jener nimmer,
Die als Hefetrinker sich bewährt:

Ward uns ja am Tag' des Herrschaftsbundes
Diese einz'ge Gabe nur bescheert!

Und was Er3 uns in das Glas gegossen
Sogen wir mit gier'gen Zügen ein,

War's nun edler Wein des Paradieses
Oder war's berauschter Säufer Wein.

Des gefüllten Weinpocales Lächeln
Und der Schönen holdverschlung'nes Haar

Hat so manche Reue schon gebrochen,
Die Hafisens Reue ähnlich war.
 

1 D.i.: Augen.

2 Der Geliebte nämlich

3 Gott.

 

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