Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Te

27.

Als Gott geformet1 deine Augenbrauen
Zur Wonne jeder Brust,

Band er an deine holden Liebesblicke
Auch meine eig'ne Lust.

Es gab das Schicksal mich und die Zipresse
Dem Strassenstaube Preis,

Seit es den Stoff gewebt zu deinem Kleide,
Wie die Narcisse weiss.2

Der Abendwind, nach Rosen duftend, löste
Der Knospe so wie mir

Wohl hundert Knoten3, als mein Herz er knüpfte
An Leidenschaft zu dir.

Wenn auch des Schicksal's Rad in deinen Banden
Zufrieden sein mich lässt,

Doch ach, was frommt's? es band des Fadens Ende
An deinen Willen fest.

Mach' doch mein Herz, dem Moschusnabel ähnlich,
Nicht gar so knotenvoll:

Denn einen Bund mit deiner Locke schloss es,
Die Knoten lösen soll.4

Du warst dereinst, o Westwind des Vereines,
Ein zweites Leben5 mir!

Es hat mein Herz gehofft auf deine Treue,
Sieh, und ward irr an dir!

Ich sprach: »Du bist so hart, dass ich für immer
Die Stadt verlassen muss.«

Und lächelnd sprach Er: »Nun, Hafis, so gehe
Mit fest gebund'nem Fuss!«
 

1 Wörtlich: gebunden; denn die Perser sagen: ein Bild, einen Stoff binden, wo wir formen sagen. - Jedes Distichon dieses Ghaseles endet mit dem Worte: best, gebunden, das nach der Eigenheit der persischen Sprache, verschiedene Bedeutungen annimmt, wie dieses bei mehreren anderen Hilfszeitwörtern der Fall ist und in diesen Gedichten öfters vorkommt.

2 D.h.: Ich und die Zipresse liegen im Staube, um des Glückes theilhaftig zu werden, dein Kleid zu berühren.

3 D.h.: Machte die Knospe aufblühen und befreite mich vom Kummer.

4 D.h.: Die den Kummer, die Schwierigkeiten der Liebe beschwichtigen soll (indem sie sich selbst löst und Wohlgerüche verbreitet).

5 Wörtlich: ein anderes Leben. Doppelsinn, da dieses auch heissen kann: ein Leben für Andere.

 

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