Aus: Buchstabe Te
29.
Schwebt mir dein Bild vor Augen,
Was kümmert mich der Wein?
Das Weinfass sei verspündet:
Stürzt' ja der Keller ein.
Fort, selbst mit Eden's Weine,
Da mir, getrennt vom Freund,
Das süsseste Getränke
Ein Marterquell nur scheint!
Weh', es entfloh der Holde!
Im Aug', mit Nass gefüllt,
Blieb, hingemalt auf Wasser,
Nur seines Flaumes Bild.
Erwache, du mein Auge!
Wer ist denn sicher, ach,
Vor diesem Schwall des Stromes,
In diesem Schlafgemach?1
Enthüllt geht die Geliebte
An mir vorbei; allein
Sie sieht die Nebenbuhler,
Und hüllt sich wieder ein.
Die Rose, dich erblickend,
Bedeckt mit zartem Schweiss,
Taucht sich in Rosenwasser;
Denn Neid macht ihr gar heiss.2
Aus meines Hirnes Winkel
Ist guter Rath verpönt,
Da nur von Harf' und Laute
Dies Kämmerlein ertönt.
Was ist doch deine Strasse
Für eine grosse Bahn!
Ein Bläschen3 ist dagegen
Des Himmels Ocean.
Schon grünen Berg' und Thäler:
Komm' an des Wassers Rain!
Ist doch die ganze Erde
Nur eitler Wasserschein.
Du hältst im Herzenssaale
Wohl hundert Lichter wach,
Und doch bist du, o Wunder!
Verschleiert4 hundertfach.
Es tanzt, von dir geschieden,
O du, mein Herzenslicht!
Das Herz am Rand des Feuers,
Wie selbst ein Braten nicht.
Nun ja, Hafis erwählte
Wein, Lieb' und Augenspiel:
Verfolgt ja doch die Jugend
Ein wunderbares Ziel.
1 Im Schlafgemach deiner
Augen.
2 D.h.: Der Neid oder die Eifersucht der Rose auf deinen zarten Schweiss,
der gleichsam ihre Thautropfen zu verdunkeln droht, erhitzt sie
dergestalt, dass er ihr Wasser auspresst, in das sie sich zur Abkühlung
taucht; und dieses Wasser ist Rosenwasser.
3 In der Bulaker Augabe steht: sirab, d.i. Wasserschein (mirage) statt:
habab, d.i. Bläschen; doch ist letztere, in Handschriften vorkommende
Leseart schon deswegen die richtige, weil derselbe Endreim sirab wieder
im folgenden Distichon vorkommt, ohne dass das vorausgehende Wort reimt,
was auch Sudi bemerkt.
4 Für verschleiert und für verschämt sein haben die Perser
einen und denselben Ausdruck. Der zweite Sinn ist daher: Und doch
schämst du dich (deiner strahlenden Reize).
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