Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Te

30.

Nun auf der flachen Hand die Rose
Den Becher klaren Weines schwingt,

Und laut, mit hunderttausend Zungen,
Der Sprosser ihre Reize singt,

Nun ford're du das Buch der Lieder,
Und schlag' des Feldes Strasse ein;

Ist's keine Zeit doch für die Schule
Und für gelehrte Zänkerei'n.

Entsag' dem Umgang mit den Menschen
Und am Anka nur spiegle dich:

Denn Ruf und Name, frommer Klausner,
Erstreckt vom Kaf bis zum Kafe1 sich.

Der Schulregent war gestern trunken,
Und hat den Richterspruch gefällt:

Wein sei verboten zwar, doch besser
Als ungerechtes Stiftungsgeld.

Dir ziemt es nimmer, zu entscheiden,
Ob trüb sei oder klar der Wein:

Denn was der Schenke uns credenzte,
Entquoll ja seiner Huld allein.

Es sind die Männer, die da streiten
Mit mir um gleichen Ehrensold,

Dem Flechter gleich, der seine Matten
Für ein Gewebe hielt aus Gold.

Hafis, verstumme und bewahre
Dein Lied, wie Gold, weil in der Stadt

Falschmünzer wohnen, deren Jeder
Gar eine Wechselstube hat.2
 

1 Da den Morgenländern zufolge das Gebirge Kaf, der Bergrücken Asiens, die ganze Erde gleich einem Gürtel umgibt, so heisst der Ausdruck: vom Kafe zum Kafe so viel als: von einem Ende der Erde zum anderen.

2 D.i.: Plagiare, Gedankendiebe, die verfälschte Gedichte ausgeben und ihre schlechten Lieder mit deinen guten verwechseln und cursiren lassen.

 

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