Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Je

2.

Herz, sobald du wüst geworden
Durch den rosenfarben Wein,

Wirst du ohne Geld und Schätze
Hundertfach ein Chores1 sein.

Dort, wo man nur arme Leute
Für den Ehrensitz erkohr,

Rag'st an Würde - wie ich hoffe -
Über Alle du empor.

Auf dem Weg nach Leïla's Wohnung,
Der gefährlich sich erweist,

Ist des ersten Schritt's Bedingung,
Dass du ein Medschnun2 nur sei'st.

Irre nicht; den Punkt der Liebe
Zeigt' ich dir, d'rum habe Acht,

Denn sonst wirst du, um dich blickend,
Aus dem Zirkelrund gebracht!

 Weiter zog die Karavane,3
Und du schläfst wenn Wüsten nah'n?

Wohin gehst du, wen befrägst du
Um den Weg? Was fängst du an?

Leer' ein Gläschen Wein und schleud're
Seine Hefe himmelwärts:4

Soll im Grame des Geschickes
Länger bluten noch dein Herz?

Reizt dich eine Königskrone,
Zeig' die inn're Perle uns,

Mögst du aus Dschemschid's Geschlechte
Stammen oder Feridun's.5

Klag', Hafis, nicht über Armuth,
Denn, sind diese Lieder dein,

Billigt es kein Frohgestimmter
Dass du traurig solltest sein.
 

1 Chores, nach den Orientalen, Carun, der bereits genannte reiche Mann der Bibel, den die Erde samt seinen unermesslichen Schätzen verschlang.

2 Medschnun heisst der Rasende, der Liebetolle, und ist der Beiname des Kais, des Geliebten der Leila, deren Liebesgeschichte von morgenländischen Dichtern so häufig besungen ward.

3 D.h. Die Karawane der Lebenden zog in das Reich des Todes.

4 Wo dereinst dein Wohnort sein wird.

5 Feridun, ein persischer König aus der Dynastie der Pischdadier und Nachkomme Dschemschid's. Er ist dadurch berühmt, dass er den persischen Thronräuber Sohak besiegte und gefangen nahm.

 

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