Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Te

31.

Wenn du freundlich mich berufest,
Üb'st du grosse Huld an mir;

Wenn du zornig mich entlässest,
Grollt mein Herz doch nimmer dir.

Dich in meinem Buch zu schildern,
Liegt gar fern die Möglichkeit:

Liegt doch von der Schild'rungsgrenze
Deine Schild'rung allzu weit.

Schauen kann das Aug' der Liebe
Meines Lieblings Angesicht:

Denn vom Kafe bis zum Kafe
Reicht der schönen Bilder Licht.

Von des holden Wangen-Koran
Lies ein einz'ges Verslein nur:

Schwinden macht's, als Exegese,
Jeder dunkeln Stelle Spur.

Störrig wie Zipressen bist du,
Marmorherz'ger Freund, mit mir,

Und erlaubst so vielen Augen
Ringsherum zu ruh'n auf dir.

Du, der Himmelskost geniesset,
Und dem Keiner gleich sich schätzt,

Fühl'st gewiss in's Fegefeuer
Dich durch dies mein Wort versetzt.

Wenn der Gegner wähnt, im Liede
Habe er Hafis erreicht,

Ist er jener Schwalbe ähnlich,
Die sich dem Huma1 vergleicht.
 

1 Huma, der fabelhafte Königsgeier, dessen Schatten über dem Haupte eines Menschen ihn zum glücklichen, Humajun, d.i. von Huma Beschatteten macht, und dessen Anblick die jedesmalige Gewährung der Wünsche zur Folge hat. Durch den Schutz, welchen dieser Schatten gewährt - daher dem Orientalen die Worte Schutz und Schatten gleichbedeutend sind - war er schon bei den alten Ägyptiern als Sinnbild königlicher Milde verehrt, weil er seine Jungen mit zärtlicher Liebe unter seine Schwingen nimmt, und da er nach der durch die Fabel überlieferten Naturgeschichte des Morgenlandes nie ein noch lebendes Thier, sondern nur die Gebeine der von Anderen getödteten zur Nahrung nimmt, so gilt der Huma dem Orientalen für den edelsten der Raubvögel.

 

zurück