Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Te

32.

Wer die Einsamkeit erkoren,
Braucht der noch herum zu schau'n?

Wer des Freundes Dorf bewohnet,
Braucht der Felder oder Au'n?

Seele, bei dem hohen Gotte,
Dessen du bedürftig bist,

Frag' am Ende doch ein wenig
Was denn mir Bedürfniss ist?1

Zwar ich lebe stets in Nöthen,
Doch es bettelt nicht der Mund;

Thut es Noth, dass man dem Edlen
Seine Wünsche thue kund?

Was bedarf es erst der Gründe,
Sinnest du auf meinen Tod?

Dein ist alles was ich habe,
Thut da noch das Plündern Noth?

 Jenem Glas, das Welten zeiget,2
Gleicht des Freundes lichtes Herz:

Thut es Noth, ihm erst zu künden
Eig'ne Noth und eig'nen Schmerz?

Jene Zeit, wo mich des Schiffers
Vorwurf drückte, sie entschwand:

Braucht man wohl in's Meer zu tauchen,
Wenn man schon die Perle fand?

Freundes Lippe, die beseelet,
Kennt ja ihre Pflichten, doch

Gegen dich, verliebter Bettler,
Braucht es da des Drängens noch?

Schönheitskaiser! Es verbrannte
Liebe mich; ich schwor's zu Gott!

Darum frage doch am Ende,
Was dem Bettler thue Noth.

Gegner, wandle deine Wege!
Nichts zu thun hab' ich mit dir;

 Meine Freunde sind zugegen,
Braucht es wohl der Feinde hier?

Siegle, o Hafis, die Rede!3
Tugend tritt von selbst an's Licht

Und des Streitens und des Rechtens
Mit dem Gegner braucht es nicht.
 

1 Dieser Vers enthält einen Doppelsinn, denn er kann auch heissen: Frage doch im letzten Augenblicke (bei meinem letzten Athemzuge), was mir Bedürfnis sei.

2 Das Glas, das Welten zeiget (Dschami dschihannuma), ist jener siebenfach getheilte Becher Dschemschid's, worin diesem Könige gegönnt war, alle sinnlichen und übersinnlichen Geheimnisse der sieben Erdgürtel d.i. der ganzen Welt, zu schauen. In diesem Becher, dem persischen Beitrag zur Gralsfrage, trank Dschemschid die unter ihm erst kund gewordene Kraft des Weines.

3 D.h.: Schliesse sie.

 

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