Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Je

16.

Der du baar bist alles Wissens,
Strebe nach des Wissens Licht:

Bis du nicht die Bahn durchwandelt,
Taugest du zum Führer nicht.

In der Schule hehrer Wahrheit,
Wo die Liebe dich belehrt,

Strebe, Sohn, dich auszubilden,
Bis man dich als Vater ehrt.

Dich entfernte Schlaf und Nahrung
Von der Liebe Stufenbahn:

Doch nur ohne Kost und Schlummer
Kömmst du bei der Liebe an.

Wenn das Licht der Gottesliebe
Dir in Herz und Seele fällt,

Dann, bei Gott! erscheinst du schöner
Als die Sonn' am Himmelszelt.

 Von des Körpers Kupfer wasche,
Gleich den Wanderern, dich rein:1

Durch die Alchimie der Liebe
Wirst dann eitel Gold du sein;

Und vom Fusse bis zum Haupte
Wird dich Gottes Licht umfah'n,

Wenn du haupt- und fusslos wandelst
Auf des Ruhmbegabten Bahn.2

Tauch' in Gottes Meer ein Weilchen,
Und dann zweifle nicht daran,

Dass der sieben Meere3 Wasser
Dir kein Härchen nässen kann.

Wenn als Schauplatz deines Blickes
Gottes Antlitz sich dir weist,

Bleibt fortan kein Zweifel übrig,
Dass du Herr des Blickes4 sei'st.

Wird der Grundbau deines Lebens
Auch dereinst in Trümmer geh'n,

 Soll dein Herz doch nimmer wähnen,
Gleiches werd' auch dir gescheh'n.

Weilt die Hoffnung des Genusses
Dir im Haupt, musst du zuvor,

O Hafis, zum Staube werden
An der Einsichtsvollen5 Thor.
 

1 D.h. Entsage aller Anhänglichkeit an die Welt, wie die Wanderer auf dem Pfade der Gottesliebe.

2 D.h. sagt der Commentator Sudi, wenn du dich wie eine Kugel auf der Bahn des ruhmbegabten Gottes fortrollest.

3 D.i. Alle Meere der Welt, deren, nach den Orientalen, sieben sind.

4 D.h. Wenn du immer Gott vor Augen hast, so ist es unbezweifelt, dass du ein ihn wahrhaft Liebender seiest. - Herr des Blickes, Ssahibi nasar heisst, wie schon früher bemerkt wurde, ein Liebender, ein Verliebter.

5 D.h. Der wahrhaft Gott Liebenden. - Dies Ghasel gehört unter die wenigen des Dichters, deren Inhalt rein mystisch ist.

 

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