Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Je

22.

Unerreicht ist deine Schönheit,
So wie mein Gefühl für dich;

Freue dich: denn es vermindert
Nimmer diese Schönheit sich.

Mir erscheint es unbegreiflich,
Wie des Denkvermögens Kraft

Sich in irgend einer Weise
Schön'res als dies Schöne schafft.

Weile ich in deiner Nähe,
Wird ein Jahr zum Tage mir,

Und zum Jahr wird die Minute,
Weile ich getrennt von dir.

Was an Lust das Leben bietet
Ernte ich in Fülle ein,

Ist nur Einen Tag des Lebens
Mir vergönnt bei dir zu sein.

 Wie, o Seele, soll ich schlafend
Dein so holdes Bild erspäh'n,

Wenn bisher mein Aug' vom Schlafe
Nichts nur als ein Bild geseh'n?

Hab' Erbarmen, denn aus Liebe
Für dein schönes Angesicht

Ward ich kraftberaubtes Wesen
Schmächtig wie des Neumond's Licht.

Klage nicht, Hafis; begehrst du
Mit dem Freund vereint zu sein,

Musst du noch in höh'rem Grade
Tragen der Entfernung Pein.
 

 

 

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