Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Je

30.

Ein paar witzbegabte Freunde,
Ein paar Men1 voll alten Wein's,

Ungestörte Musse, Bücher,
Und der Winkel eines Hain's;

Nicht um beider Welten Güter
Tauscht' ich einen solchen Ort,

Wenn auch schaarenweis die Menschen
Mich verhöhnten immerfort.

Wer den Winkel des Genügens
Hingab um den Schatz der Welt,

Der verkauft' Egyptens Joseph
Um ein gar geringes Geld.

Komm, denn es verengen nimmer
Dieser Werkstatt Räume sich,

Lebt ein Frömmler d'rin, dir ähnlich,
Lebt ein Sünder d'rin, wie ich.2

 Naht der Tod, soll seinen Kummer
Man dem Weine anvertrau'n,

Ist ja doch in solchen Zeiten
Gar auf Niemand mehr zu bau'n.

Setze dich in eine Ecke
Ruhig hin, und blick' um dich:

Denn kein Sterblicher erinnert
Solcher selt'nen Bosheit sich:3

Seh' ich doch mein Bild4 beständig
In gar nied'rer Menschen Hand:

Hat auf solche Art der Himmel
Meine Dienste anerkannt?

Doch Geduld nur sei dein Streben,
Herz, da Gott nicht wollen kann,

Dass ein solcher Ring den Finger
Schmücke eines Ahriman.

Des Geschickes rauhe Winde
Hindern jedes Aug' zu schau'n

Wo die Rosen und Jasmine
Hingekommen dieser Au'n.

Doch, o Wunder, dass der Giftwind
Der vorbei am Garten blies,

Dennoch Rosen ihre Farbe,
Ihren Duft Narcissen liess.5

O Hafis, die Zeit erkrankte,
Bei so unglücksvoller That:

Doch wo ist des Arztes Meinung,
Oder des Brahmanen Rath?6
 

1 Men, ein Gefäss, das 600 Drachmen an Gewicht hält. Im Oriente werden die Flüssigkeiten gewogen.

2 D.h. Weder deine Frömmelei noch meine Sündhaftigkeit werden den Lauf der Welt ändern, irgendwie auf sie einwirken. Die Welt ist hier einer Werkstatt verglichen.

3 Dieses Ghasel ward zu einer Zeit gedichtet, wo die Turkomanen in Schiras eingefallen waren und daselbst gräuliche Verwüstungen verübt hatten.

4 D.i. Den Gegenstand meiner Liebe; hier scheint Schiras darunter gemeint.

5 Unter Rosen und Narzissen sind hier die Schönen von Schiras verstanden.

6 Anspielung auf die berühmten Fabeln Bidpai's, worin ein Brahman und ein indischer König (Rai oder Rei) wechselweis sprechend angeführt werden, indem dasselbe Wort, was indischer König heisst, auch Rath bedeutet.

 

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