Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Je

46.

Voll von Schmerz ist meine Brust:
Gebt, ach, was sie heile mir!

Einsamkeit entseelt mein Herz:
Wär', o Gott, ein Trauter hier!

Hofft vom schnellen Himmelsrad
Irgend wer der Ruhe Glück?

Schenke, bring' ein Glas; ich will
Ruhen einen Augenblick.

Auf! Dem Türken Samarkand's
Weihe ich mein Herz fortan,

Denn es bringt sein sanfter Wind
Düfte mir vom Mulian.1

Einem Klugen sagt' ich einst:
»Sieh, so ist es hier bestellt!«

Lachend sprach er: »Schwierig ist's:
Wirr und seltsam ist die Welt.«

Hab' im Brunnen der Geduld
Für das Licht Tschigil's gebrannt;

Doch der Schah der Türken schläft:
Ist denn kein Rustem zur Hand?2

Misslich auf der Liebe Pfad
Ist die Ruh' und Sicherheit:

Darum blute jedes Herz
Das zu heilen sucht dein Leid.

Kein Verwöhnter schlägt die Bahn
Zu dem Gau der Zecher ein:

Wer d'rauf wandelt muss verbrannt,
Darf nicht roh3 und schmerzlos sein.

Trifft man auf der ird'schen Welt
Doch nicht Einen Menschen an!

Eine neue Welt thut Noth,
Und ein neuer Adam dann.

Stolze Liebe kümmert's nicht,
Weint Hafis auch noch so sehr:

 Dieser Sündfluth4, ach, erscheint
Nur als Thau das Siebenmeer.5
 

1 Mulian, einer der Namen des Flusses Oxus, heisst zugleich Räuber, Verheerer; so dass hier beide Bedeutungen mit dem Geliebten, dem samarcandischen Türken, in Beziehung gebracht werden.

2 Das Licht Tschigils ist der Geliebte. - Über den Schah der Türken unter dem hier auch der Geliebte gemeint ist, und über Rustem siehe die 3. Anmerkung zum 11. Ghasel aus dem Buchstaben Mim.

[
3 Eine Anspielung auf ein in Firdussi's Schahname enthaltenes Abenteuer des Helden Rustem, der den Beinamen Tehemten, d.i. der Tapfere, führte. Dieser befreite nämlich seinen Neffen, den Prinzen Bischen, Sohn Kiw's, aus einem Brunnen, in welchen ihn der Türkenkönig Efrasiab hatte werfen lassen, weil er sich mit dessen Tochter Menidsche-Banu heimlich vermählt hatte.]

3 Roh, hier im Sinne von unerfahren in der Liebe und in ihren Leiden.

4 D.i. Der stolzen Liebe, die die Thränen der Verliebten bis zur Höhe der Sündfluth bringt.

5 D.h. Alle Meere der Welt, deren die Orientalen sieben zählen.

 

zurück