Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Je

58.

Lustwandelst du, gleich der Cipresse,
Ein Weilchen nur im Rosenhain,

So drückt, aus Neid auf deine Wange,
Sich jede Rose Dorne ein.

Ein jeder Ring ist in Verwirrung
Durch deiner Locke Ketzerei;1

In jedem Winkel weilt ein Kranker,
Durch deines Auges Zauberei.2

Entschlumm're, trunk'nes Aug' des Freundes,
Gleich meinem Glücke nicht; denn ach,

Es folget dir von jeder Seite
Der Seufzer eines Wachen nach.

Die Baarschaft meiner Seele werde
Auf deines Weges Staub gestreut,

Obwohl der Seele Baarschaft3 nimmer
Sich eines Werth's bei dir erfreut.

 Mein Herz, o denke nicht beständig
An holder Schönen Lockenhaar,

Denn bei so finsteren Gedanken
Stellt sich nichts Heiteres dir dar.

Mein Haupt verlor ich, und zu Ende
Ging diese Sache4 nimmer doch:

Ergriffen ist mein Herz, doch kümmert
Dich der Ergriff'ne nimmer noch!

»Begib dich in des Kreises Mitte,
Gleich einem Punct!« rief ich Ihm zu;

Doch: »O Hafis, - sprach Er mit Lachen -
In welchem Zirkel lebest du?«5
 

1 D.h. Jeder gesellige Kreis, jede Versammlung wird durch dein schönes Haar in staunende Verwirrung gebracht. - Das Wort Halka, Ring, hat aber, nebst der gedachten Bedeutung von geselligem Kreis, noch jene von Lockenring und ist daher absichtlich gebraucht hier wo von der Locke die Rede ist. - Die Ketzerei der (schwarzen) Locke deutet auf die moralische Schwärze der Ketzer.

2 Der zweite Sinn dieser Stelle ist: In jedem deiner Augenwinkel weilt ein Kranker, d.i. dein schmachtendes Auge, das die Orientalen ein krankes nennen.

3 Der Seele Barschaft; nakdi rewan kann auch heissen: cursirende Barschaft.

4 D.i. Die Liebe.

5 D.h. Wie bist du doch so unstät und herumschweifend wie ein Zirkel!

 

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