Aus: Buchstabe Te
43.
Wo, Ostwind, ist der Ruheplatz,
Den sich der Freund erwählt,
Wo ist der Wohnort jenes Mond's,
Der Liebende entseelt?
Schwarz ist die Nacht; das sel'ge Thal1
Zeigt sich dem Blicke dort;
Wo ist das Feuer Sinaï's,
Wo der verheiss'ne Ort?
Die Spuren der Zerstörung trägt
Wer auf der Welt erschien:
Wo weilt der Nüchterne? O fragt
In Schenken nur um ihn!
Wer gut auf Zeichen sich versteht,
Ist ein willkomm'ner Mann:
Viel Zartes gibt's: wo ist der Freund
Dem man's vertrauen kann?
Wohl jedem meiner Härchen gibst
Du tausendfach zu thun:
Ich und der müssig Tadelnde,
Wo sind wir Beide nun?2
Die Weisheit ras't; man lasse sie
Die Moschuskette schau'n;3
Im stillen Winkel weilt das Herz:
Wo sind des Holden Brau'n?4
Bereit sind Sänger, Rosen, Wein;
Doch fehlt der Freund; drum scheint
Die Freude nicht bereit zu sein:
Wo aber ist der Freund?
Des Scheïches Zellen-Einsamkeit
Presst mir nur Unmuth aus:
Wo ist der Freund, das Christenkind,
Und wo des Rausches Haus?
Hafis, der Herbstwind des Geschick's
Verstimme ja dich nicht!
Wo blüht - dies überlege dir -
Die Rose die nicht sticht?
1 Das Thal, wo der
Geliebte wohnt. - Wadii eimen, das selige Thal ist eigentlich jenes an
der Grenze Arabiens und Ägyptens gelegene Thal, wo der Herr dem Moses
erschien, und wo Muhammed sein Prophetenkleid und seinen Prophetenstab
gefunden haben soll.
2 D.h.: Wo bestände eine Ähnlichkeit zwischen mir, von dem jedes Härchen
sich an dich zu knüpfen sucht und der daher immer nur mit dir
beschäftigt ist und dem müssigen Tadler, den nichts an dich
bindet?
3 Das kettengleiche Moschushaar des Geliebten, um die rasend gewordene
Weisheit zu fesseln.
4 Bei welchen mein mir entflohenes Herz zu finden sein wird.
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