Aus: Buchstabe Te
45.
Hat die Strasse hin zur Schenke
Klar erkannt ein Wandersmann,
Pocht er nicht an and're Thüren,
Denn für Unrecht säh' er's an.
Hat ja doch, wer erst die Strasse
Zu der Schenke Schwelle fand,
Das Geheimniss jeden Klosters
Durch des Weines Gunst erkannt.
Jenem nur verleiht die Krone
Der Berauschtheit das Geschick,
Der da weiss in dieser Mütze1
Liege alles Erdenglück.
Wolle mehr nicht von mir fordern
Als der Narren Frömmelei,
Denn mein Ordens-Scheïch erkannte,
Dass Verstand nur Sünde sei.
Wer das Räthsel beider Welten
In dem Flaum des Schenken las,2
Deutet aus dem Bild' des Staubes
Dschem's geheimnissvolles Glas.3
Gnade von des Schenken Auge
Hat mein Herz wohl nie begehrt:
Weiss es doch, wie jenes Türken
Schwarzes Herz mit ihm verfährt.
Mein Gestirn, das böse, machte
Früh mich weinen, also zwar
Dass es selbst Nahid4 bemerkte
Und der Mond es ward gewahr.
Sel'ger Blick, der in des Schenken
Antlitz und im Becherrand
Einen Mond von vierzehn Tagen
Und von Einer Nacht erkannt!5
Jener Fürst, der die neun Kuppeln
- Das erhab'ne Himmelszelt6 -
Für ein Muster nur des Bogens
Seines Reichspalastes hält.
Mit Hafis und mit dem Becher,
Den er leert im stillen Kreis,
Haben Richter nichts zu schaffen,
Da darum der Kaiser weiss.
1 Unter der
becherförmigen Derwischmütze, Kiulah, ist hier das Weinglas verstanden,
dessen Form jener (umgekehrten) Mütze nicht unähnlich ist.
2 Dasselbe Wort, das Flaum bedeutet, nämlich Chatt, heisst auch Schrift,
Linie.
3 D.i.: Erklärt oder wahrsagt (wie die arabischen Wahrsager aus Sand
oder Staub, die Remmal heissen) aus dem jungen Flaume, den
Dichter häufig mit dem Staube vergleichen, die Lieblichkeit des
Mundes, der bei den Dichtern eben so häufig das Glas Dschem's heisst;
d.i. er schliesst von dem lieblichen Flaume auf den lieblichen Mund.
4 Nahid ist der persische Name der bereits erwähnten Sohre (Venus).
5 Selig Jener - sagt Hafis -, dem des Schenken Antlitz ein
Vollmond und ein Becherrand ein Neumond scheint.
6 Nach der morgenländischen Sphärologie gibt es bald sieben, bald neun
überwölbte Himmel. Die ersten sieben werden von den fünf Planeten
Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn, dann der Sonne und dem Monde
bewohnt, der achte Himmel heisst jener der Himmelszeichen, oder der
Fixsterne, und der neunte höchste: der Atlashimmel, so genannt, weil er
von Sternen frei ist.
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