Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Te

47.

Weinesstrahl verräth dem Weisen
Der geheimsten Dinge Sinn;

Jedes Menschen Gemme1 deutet
Dieser köstliche Rubin.

Nur dem Sprosser ist verständlich
Was das Buch der Rose spricht:

Mancher liest in einem Blatte
Und versteht den Inhalt nicht.

Dem erfahr'nen Herzen bot ich
Jene Welt und diese hier;

Da erkannt' es, Alles schwinde,
Nur die Liebe nicht zu dir.

Jeden Stein und jede Rose
Macht zu Onix und Rubin,

Wer den Werth jemen'scher Lüfte2
Hat erkannt mit frommem Sinn.

Was der Pöbel von mir sage,
Diese Sorge, sie verschwand:

Solche heimliche Genüsse
Sind ja auch dem Vogt bekannt.

Der du aus der Weisheit Buche
Lernen willst was Liebe heisst!

Ich befürchte, du begreifest
Nimmer ihren wahren Geist.

Bringe Wein! Wer prahlt mit Rosen
In dem Garten dieser Welt,

Wenn er weiss, dass sie verheerend
Bald der Herbstwind überfällt?

Mir die Ruhe zu gewähren
Schien dem Freund nicht an der Zeit.

Und doch kennt er meines Herzens
Sehnsuchtsvolle Zärtlichkeit.

Riss aus dem Gemüth Hafisen's
Los sich diese Perlenschnur,

 Dankt er es Assaf's des Zweiten
Segenreicher Bildung nur.3
 

1 D.i.: Wesenheit, Natur.

2 Unter den jemen'schen Lüften versteht der Dichter den Segen Gottes. Diese Stelle bezieht sich auf folgende, von Oweis aufbewahrte Überlieferung des Propheten: Fürwahr, der köstlichste Hauch des Allerbarmers kommt von Jemen (dem glücklichen Arabien) her.

3 D.h.: Wenn diese Lieder dem Gemüthe Hafisens entsprangen, so dankt er es der Bildung, die ihm der Wesir Kawameddin Hassan angedeihen liess, den er hier einen zweiten Assaf (dies ist der Name des weisen Wesir's Salomon's) nennt.

 

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