Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Te

52.

Ohne deiner Wangen Sonne
Blieb mein Tag beraubt des Licht's

Und mir blieb vom ganzen Leben
Nur die längste Nacht, sonst nichts.

Als ich Lebewohl dir sagte,
Weinte ich, ach, gar so sehr,

Und, entfernt von deiner Wange,
Blieb mein Aug' vom Lichte leer.

Schnell vorbei an meinem Auge
Zog dein Traumbild und es sprach:

»Schade, ach, dass dieser Winkel
Unbebauet blieb und brach!«1

Stets den Tod von meinem Haupte
Scheuchte der Verein mit dir;

Doch durch deine Trennung blieb er
Nimmermehr entfernt von mir.

Nahe rückt jetzt schon die Stunde,
Wo der Nebenbuhler spricht:

»Fern von dir blieb der getrennte
Arme Mann am Leben nicht.«

Wenn der Freund zu mir sich mühet,2
Ist's von nun an fruchtlos nur,

Denn mir blieb im wunden Leibe
Nicht die kleinste Lebensspur.

Wenn, getrennt von dir, mein Auge
Ohne Wasser blieb, wohlan!

Mag es Herzensblut vergiessen,
Blieb ihm doch nichts And'res dann.

Die Geduld nur heilt die Leiden,
Die mir deine Trennung schafft;

Doch wie kann Geduld man üben,
Blieb' dazu uns keine Kraft?

Gram nur kennt Hafis und Thränen,
Wird zum Lachen nie bewegt:

 Blieb doch keine Lust zu Festen
Dem, der Trauerkleider trägt.
 

1 D.h.: Schade, dass der Augenwinkel, d.i. das Auge, durch das Nichtverweilen des geliebten Traumbildes, das es bebaut, d.i. beglückt und belebt haben würde, so unbebaut, d.i. so wüst und öde bleib. - Das arabische Ausrufungswort Heihat, Schade! ach! weh! heisst auch die Wüste, die Öde und ist hier absichtlich angewendet, wo von dem unbebauten wüsten, öden Augenwinkel die Rede ist.

2 Wörtlich: Wenn der Freund (durch die Mühe, die er sich nimmt zu mir zu kommen) sich den Fuss wund macht. Auch dieser Ausdruck ist absichtlich gewählt, da gleich darauf der wunde Leib erwähnt wird.

 

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