Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Te

57.

Ich hört' ein schönes Wort, von Kan'âns Greis1 gesprochen:

»Nicht auszusprechen ist, was Trennungsschmerz vermag«

Die Schrecken des Gerichts, vom Prediger geschildert,

Sind nur ein schwaches Bild von einem Scheidetag.

Wer gibt ein Zeichen mir vom abgereis'ten Freunde?

Der Bote Ost sprach wirr und war nicht zu versteh'n.

Vertreibet alten Gram mit altem Rebensafte,

Um, wie der Bauer sagt, Euch Lust in's Herz zu sä'n!

Weh', dass dem Feindesfreund, dem liebelosen Monde,

Den trauten Kreis zu flieh'n so leicht geworden sei!

Ergeben trag' ich nun den Dank des Nebenbuhlers;

Mein Herz, gewohnt an Leid, entsagt der Arzenei.

»Vertraue nicht dem Wind, wenn er auch günstig bliese;«

Als Gleichniss sprach dies einst der Wind zu Salomon.

Gibt dir der Himmel Frist, so bleib' auf rechtem Pfade;

Glaubst du, das alte Weib2 entsag' dem Truge schon?

Frag' nicht: Warum und wie? Ein trauter Knecht ist jener,

Der sich des Herrschers Wort mit ganzer Seele fügt.

Wer sagte, dass Hafis dein nimmermehr gedenke?

Ich hab' es nicht gesagt, und wer es sagt, der lügt.
 

1 Dem Patriarchen Jakob, Vater des geliebten Joseph, von dem er so lange getrennt leben musste.

2 D.i.: Die Welt, von orientalischen Dichtern häufig als ein schlaues altes Weib personifiziert.

 

zurück