Aus: Buchstabe Te
62.
Ich möchte gern mein Herz vor dir entfalten
Und von dem deinen Kunde gern erhalten.
O eitler Wunsch! Was alle Welt erfahren,
Vor Nebenbuhlern möcht' ich's gern bewahren.
Die Nacht der Kraft, geweiht so frommen Dingen,
Möcht' gern bei dir ich, bis es tagt, verbringen.
Ach, diese Perle, zart und auserkoren,
In finst'rer Nacht möcht' ich sie gern durchbohren.1
Erhöre, Ost, in dieser Nacht mein Flehen!
Gern möcht' ich Morgens mich erblühen2 sehen.
Mit meinen Wimpern, bloss der Ehre wegen,
Möcht' ich dir gern den Staub vom Wege fegen.
Hafisen gleich, und trotz der Gegner Menge
Möcht' gern ich singen frohe Zechgesänge.
1 D.h.: Ich möchte gern
noch ein so schönes Lied wie dieses bei Nacht dichten. Siehe die 9
Anmerkung zum 8 Ghasel aus dem Buchstaben Elif.
[9 Die Worte des morgenländischen Dichters sind ihm Perlen, die er
durchbohrt, um sie an den Faden des Gesanges zu reihen.]
Sudi bemerkt hier, dass die Nacht für dichterische Schöpfungen am
günstigsten sei. Das nämliche Bild dieser Stelle brauchen Dichter auch
zur Bezeichnung des höchsten Liebesgenusses.
2 D.h.: Mich glücklich fühlen und lächelnd schauen, wie die Rose, die
der Hauch des Ostes über Nacht erblühen machte.
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