Aus: Buchstabe Te
63.
Ost, du Wiedehopf! Ich sende
Dich nach Saba's fernem Land,1
Doch bedenke erst von wannen
Und wohin ich dich gesandt.
Schade, sitzt ein solcher Vogel
In dem Staub des Grames fest:
Darum send' ich dich von hinnen
Nach der Treue hohem Nest.
Keine Nähe, keine Ferne
Kennt der Pfad der Liebe. Mir
Bist du2 d'rum stets klar erschienen,
Und ich sende Grüsse dir.
Karawanen guter Wünsche
Sende ich so früh als spät
Im Geleite dir des Windes,
Der aus Ost und Norden weht.
Du, der meinem Blick entschwunden,
Stets im Herzen weilest mir!
Wünsche zoll' ich dir und sende
In die Ferne Grüsse dir.
Dass des Grames Heer nicht plünd're
Deines Herzens reiches Land,
Send' ich dir die eig'ne Seele
Als der Nahrung Unterpfand.
Dass die Sänger dir verkünden,
Wie mich Sehnsucht zu dir zieht,
Send' ich Worte und Ghasele,
Holde Töne dir und Lied.
Schenke, komm! denn frohe Kunde
Gab ein Himmelsbote mir:
»Trage mit Geduld dein Leiden:
Arzeneien send' ich dir.«
In dem eig'nen Angesichte
Staune Gottes Wunder an;
Send' ich doch dir einen Spiegel,
Wo man Gott erblicken kann.3
Unser Kreis, Hafis, ertönet
Nur von deiner Trefflichkeit;
Darum eile, denn ich sende
Dir ein Pferd und Ehrenkleid.4
1 Der Wiedehopf, Hudhud,
war, so wie der Ostwind, Salomon's Bote an die Königin von Saba, und
Saba nennt hier Hafis den Aufenthaltsort seines Geliebten, dem er
dadurch gleichsam königliche Würde ertheilt.
2 Der Dichter spricht nun zum Geliebten.
3 Mein eigenes Herz.
4 Zum Lohne deiner Verdienste. Pferd und Ehrenkleid sind bekanntlich die
gewöhnlichen Ehrengeschenke eines morgenländischen Herrschers an seine
Vasallen und wurden ehedem auch von Grossen an Niedrige gesendet, wenn
sie diese zu sich luden.
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