Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Te

65.

Wolle, Herr, den Freund mir wieder
Wohlbehalten senden;

Mache, dass er mich befreie
Aus des Vorwurf's Händen!1

Bringet vom gereisten Freunde
Mir die Strassenerde,

Dass mein weltenschauend' Auge
Ihr zum Wohnort werde!2

Weh, mir machen von sechs Seiten3
Für den Ausweg bange

Antlitz, Maal und Ringellocken,
Flaum, Gestalt und Wange!

Heut', wo ich noch dir gehöre,
Lass Erbarmen walten:

Morgen nützt der Reue Thräne
Nichts dem Staub', dem kalten.

 Der du willst von Liebe schwätzen
Überklug und weise!

Nichts hab' ich mit dir zu schaffen;
Glück auf deine Reise!

Armer! Über's Schwert der Freunde
Frommt's dir nicht zu klagen:

Blutgeld nehmen sie von Jenen,
Die sie todt geschlagen.

Schleud're Feuer auf die Kutte,
Weil des Schenken Brauen

Des Imâms Altareswinkel
Kühn in Stücke hauen.4

Dich der Grausamkeit zu zeihen
Mag mich Gott bewahren:

Huld und Güte heisst der Holden
Grausames Verfahren.

Spricht Hafis von deinen Haaren,
Ist's nicht kurz; ich wette:

 Bis zum Auferstehungstage
Reichet diese Kette.5
 

1 D.h.: Getrennt vom Freunde, begehe ich unwillkürlich manches Ungeziemende und werde dadurch zum Gegenstande des Vorwurfes. Sende mir daher, o Gott, diesen Freund wohlbehalten wieder, damit die Ursache dieser Vorwürfe und mit ihr diese selbst aufhören.

2 D.h.: Damit ich die Erde der Strasse, die mein Freund durchwandelte, mir (als Augenschminke) in's Auge streiche.

3 D.h.: Von allen Seiten, die Seiten als die sechs Seiten eines Würfels gedacht.

4 D.h.: Weil die, einer gewölbten Altarnische ähnlichen Brauen des Schenken, der wahren Altarnische, an welcher der Imam (Vorsteher beim Gebete) vorzubeten pflegt, den Rang abgelaufen haben und zum eigentlichen Altar geworden sind.

5 D.h.: Hafis kann nur eine lange Beschreibung von der langen Kette deines Haares machen.

 

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