Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Te

69.

Was des Lebens Werkstatt liefert,
Ist als Nichts nur zu betrachten;

Bringe Wein! denn was die Erde
Bietet, ist für Nichts zu achten.

Des Geliebten edlen Umgang
Suchen Herzen, suchen Seelen:

Denn sonst wäre ja die Seele
Und das Herz für Nichts zu zählen.

Glück ist das nur, was an's Ufer
Ohne Herzensblut wir bringen:

Nichts sind selbst die Himmelsgärten,
Muss man mühsam sie erringen.

Lass den Sidra und den Thuba
Ob des Schattens dich verachten:

Nichts ja ist er, o Zipresse,
Wirst du ihn erst gut betrachten.1

 Nur fünf flücht'ge Tage wurden
Dir auf dieser Post gegeben:2

Nütze sie zur kurzen Ruhe,
Denn ein Nichts sind Zeit und Leben!

An dem Seestrand des Verderbens,
Schenke! harren wir der Stunde;

D'rum geniesse! Nichts ist Alles,
Wie von Lippe hin zum Munde.3

Niemals an's Entblättern denkend,
Blicke heiter wie die Rose,

Denn ein Nichts ist ird'sche Grösse,
Trägt Vergänglichkeit im Schoosse.

Frömmler, sei nicht allzu sicher
Vor des Eifers Spiel und denke,

Dass ein Nichts die Strasse scheide
Von der Zelle zu der Schenke.

Viel hab' ich, der gramverbrannte
Abgehärmte Mann ertragen,

 Und, in Wahrheit, nichts erheischet
Dies vernehmlich erst zu sagen.

Zwar es hat Hafisens Name
Einen guten Klang bekommen;

Aber nichts kann bei den Zechern
Gutes oder Böses frommen.
 

1 D.h.: Lass die Himmelsbäume Sidra und Thuba dir immerhin vorwerfen, du habest keinen mächtigen Schatten, wie sie, denn dieser Schatten ist Nichts oder beide Himmelsbäume sind Nichts, wenn Du, Zipresse, ihn oder sie näher in's Auge fassest.

2 Nur wenige Tage währt das Leben.

3 D.h.: Alles (hienieden) ist eben so ein Nichts, wie der Raum von der Lippe zum Munde, der gar keiner ist, weil Lippe und Mund dasselbe sind.

 

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