Alma Heismann (1885-1943) - Liebesgedichte

 



Alma Heismann
(1885-1943)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 




Sonette einer Liebenden

1.
Von meinen Müttern wurde mir die Gabe,
Um Fernes und um Künftiges zu wissen.
Oft fühl ich's nur. Oft seh ich's klar umrissen,
Als ob ich selbst es hingezeichnet habe.

So las ich wie auf heiligem Runenstabe
In meines Lebens harten Kümmernissen
Den Spruch von nahem Zukunftsflaggenhissen,
Von Osterherrlichkeit nach düsterm Grabe.

Doch als noch Mut und Zagheit in mir stritten,
Geschah es, daß der Blick sich ganz mir klärte;
Und ich erschrak bis in das Mark hinein.

Ich hatte so durch Liebe schon gelitten,
Daß ich aus ihrer Hand nichts mehr begehrte
Und mich in jäher Abwehr straffte: "Nein!"
(S. 39)
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2.
Könnt ich die Stunde noch einmal durchleben,
Die unsre Seelen so zusammenzahnte,
Daß alle Angst, die an Vergangnes mahnte,
Zerrann in scheuen Glückes erstem Beben.

Wir brauchten keine Fremdheit zu beheben.
Als wenn ein Lichtstrahl seinen Weg sich bahnte
Dahin, wo er die junge Erde ahnte,
So fühlten wir uns zueinander streben.

Wir sahn uns an und waren uns vertraut,
Als seien wir so ewig hingegangen
In Unschuld eines an des andern Seite.

Auf unsrer Herzen hellen Jubellaut
Lauschten wir kinderfroh und unbefangen,
Weil unser großer Feiertag uns weihte.
(S. 40)
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3.
Wir waren, wie in stiller Sakristei,
Entrückt nach irdisch wägendem Verstand.
Als wir erkannten, was uns machtvoll band,
War alle Umkehrmöglichkeit vorbei.

Du nahmst es klaren Auges, männlich frei,
Daß unser Ich zu seinem Du sich fand.
Du warst in deines Herzens Heimatland
Nach vieler Jahre schwerem Einerlei.

Ich aber wußte meiner Not nicht Rat:
Es schlug in mir kein Puls, der dich nicht dachte;
Und du warst so unwiderruflich mein,

Daß alles uns gedieh wie Göttersaat.
Doch, was uns Leben erst zum Leben machte,
Griff schwer in andrer Wesen Leben ein.
(S. 41)
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4.
Mich trägt dein tapfres Mannesherz so zart,
Wie eine Mutter ihr geliebtes Kind.
Ob es gehörlos ist, ob blöd und blind,
Es fühlt doch seines Engels Gegenwart.

Ich atme deiner Liebe hohe Art
Mit jeder Pore ein wie Frühlingswind.
Unwiderstehlich froh bist du und lind.
Du triffst durch Krusten, die wie Eisen hart.

Einschläfern läßt sich Vorsatz, Zorn, Wunsch, Reue,
Doch leidgehärterter Erkenntnis Flamme
Wacht gnadenlos vor jedem Paradies.

Du sahst die Hüterin an, leuchtend in Treue,
Furchtlos; gewiß, daß sie dich nicht verdamme.
Da sprang die Pforte auf, wie Gott verhieß.
(S. 42)
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5.
Wie süß klang uns die kleinste Vogelweise,
Wenn wir in großem Glücke schweigend standen.
Kein Platz, an dem wir nicht den Himmel fanden,
War eins nur in des andern Zauberkreise.

Die Brombeerranken streichelten uns leise
Und nickten, wenn wir ihnen uns entwanden.
Der Wald lag in des Frühlings goldnen Banden.
Er koste uns mit jedem grünen Reise.

Uns summten Freundschaft Wespen selbst und Immen,
Und Schlänglein ringelten die flinken Glieder,
Kaninchen lugten freundlich, ohne Scheu.

Wir kannten aller Wesen Herzensstimmen,
Mit unsrer Liebe stieg die Schönheit nieder
Und schuf die alte Erde wieder neu.
(S. 43)
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6.
Ich gehe nun auf Sternenwegen hin.
Dort schwebt die kleine Erde, ganz umflossen
Von allem Lichte, das je ausgegossen
Seit dieser Weltenschöpfung Urbeginn.

Das dunkle All hat einen neuen Sinn,
Seit deine Hände sich um meine schlossen.
Da Sonne und Atom nun Gott entsprossen,
Weiß ich, was alles ist und wer ich bin.

Und wenn du Güte lächelst und Entzücken
Und jeden Blick mir tausendfältig lohnst
Mit Liebe, raum- und zeit- und grenzenlos:

Weil du Gott nah bist, kannst du so beglücken.
Du blühst in meiner Seele auf, du wohnst
In mir, ganz heilig, götterschön und groß.
(S. 44)
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7.
Ich liebe dich! Der Weltenraum ist leer
Und faßt doch alles Leben: dich und mich.
Das ist die Ewigkeit: Ich liebe dich.
Nur noch der Tod wiegt wie dies Wort so schwer.

Es kommt aus nie erkannten Tiefen her,
Als nichts noch war, eh Licht vom Dunkel wich.
Es nimmt die Zeit hinweg; es ruht in sich.
Nicht mehr ist Nacht noch Tages Wiederkehr.

Nicht Bergesgipfel ist noch Talesgrund.
Nicht Kalt noch Warm. Und Anfang nicht noch Ende.
Kein Fern, kein Nah. Kein Dort und auch kein Hier.

Es ist nur deine Stirn, dein Herz, dein Mund.
Nur deine Augen sind, nur deine Hände.
Nur du bist. Du bist, und ich bin bei dir.
(S. 45)
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8.
Wir stehen Stirn an Stirn und Brust an Brust,
Verfolgte Kinder aus der Liebe Land.
Wir sind einander heiliges Gottespfand.
Wir sind einander süße Herzenslust.

Von so viel Trennung haben wir gewußt,
Eh du mich fandest, und eh - ich dich fand:
Füllhorn der Zärtlichkeit ist deine Hand,
Ob ich dir lächle, ob du trösten mußt.

In Zeit und Nicht-Zeit will ich bei dir stehen,
Will meine frohen Arme um dich legen
Und Heimatmärchen in dein Ohr Dir singen.

Wenn wir uns fehlen, muß die Welt vergehen.
Sie kann, in Eis geschlagen, sich nicht regen,
Wenn unsre Seelen nicht zusammenklingen.
(S. 46)
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9.
Denn: Gottes warmes Herzblut sind wir ja
In einer - ach! so heimatfernen Welt.
Wenn sie durch Haß und Krieg sich selbst entstellt:
Wir sind dem Sinn des Lebens innig nah.

An eines goldnen Alphabetes A
Stehn wir, von junger Gläubigkeit durchwellt;
In Licht und Nacht einander so gesellt -
Aufgang einander, der durch Gott geschah -

Vom andern jedes also tief geliebt
Und also bräutlich süß und zart gehegt,
So leidverachtend, leidgeübt, erstritten:

Das Treuewort, das eins dem andern gibt,
Ist Amseljubel, der den Frühling trägt;
Ist Weihesang wie Vaterunserbitten.
(S. 47)
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10.
Ein Kleinod tragen wir. Laßt uns nicht beben!
Laßt uns vor seiner Herrlichkeit nicht bangen!
Nicht vor Gefahren, die uns überhangen
Und dunklen Grund für seine Schönheit geben.

Geschicke gibt es, die zum Himmel heben,
Wenn Menschenschritte auch in Not verklangen.
Ist einmal schon die Rechnung aufgegangen
Im Wechselspiele ungezählter Leben?

Durch Weltenalter trägt uns eine Welle,
Und jeder Tag beginnt mit einer Nacht:
In Schuld, in Reinheit, frei, gebeugt von Bürde,

Erfahren wir Glücksanstieg und -gefälle,
Ob wir - ob nicht - das Kleinod heimgebracht:
Nur das ist Untergang - nur das ist Würde.
(S. 48)
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11.
Hier jagen Schwalben durch die Sommerhelle.
Goldammer lockt. Lockt sanft und sehnsuchtsvoll.
Ihr kindlich klares Vogellied in Moll
Erquickt wie eines Waldbachs klare Quelle.

So still, so sonntagsfroh ist diese Stelle,
Sag, Liebster, wie ich sie dir weihen soll.
Des D-Zugs hart verhallendes Geroll
Entführt die Welt. Hier ist die Himmelsschwelle.

Hier kann ich alles Lieblichste dir sagen
Und mich in allem Innigsten verschwenden,
Das je mein Herz, dir nah, für dich ersann.

Ich höre Stunden schon von morgen schlagen,
Die unser hohes Jahr so ernst vollenden,
Daß ich dir jede Süße geben kann.
(S. 49)
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12.
Wenn wir an frostgespanntem Wintertage
Durch unsrer Heimat weiße Wälder gingen,
Dann hörten wir das Leben in uns singen
Wie Märchen hold und groß wie Heldensage.

Die Welt war göttlich, ohne Leid und Klage;
Und Botschaft, wie sie Engelwesen bringen
In heilger Nacht auf lichtgesäumten Schwingen,
War jedes Wort und jede Liebesfrage.

So - beieinader wie in Gottes Herzen -
Der Erde nah, vertraut den Sonnen, Sternen,
Durchschritten wir in warmer Zweisamkeit,

In glückgelösten, herrlich frischen Terzen,
Ergreifend Gegenwart und Zukunftsfernen,
Des Jahrs geheimnisvollste, reichste Zeit.
(S. 50)
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13.
Der Gottheit Abbild sind wir, wenn wir lieben -
Den ewigen Gesetzen fromm gefügt,
Entgleitend jedem Menschenwerk, das lügt,
Und allem Wesentlichen zugetrieben.

Viel reifres Wissen ward uns eingeschrieben
Als es der Schärfe des Verstands genügt.
Geliebter! Kompaß, der nicht irrt noch trügt!
Dem nie der Dinge Grenzen sich verschieben.

Wenn deine Stirn sich meiner Stirne neigte,
Berührten Himmel sich und Erdenrund.
Dein Auge war der wunderbare Spiegel,

Der mir den Urgrund alles Lebens zeigte.
Der Weltenseele Pulsschlag war uns kund,
Und unser Herz war tiefster Weisheit Tiegel.
(S. 51)
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14.
O, hilf mir heute! Ich bin ohne Trost,
Und einer Träne Wohltat wird mir nicht.
Ratlos in Qual erstarrt ist mein Gesicht,
Das jeder deiner Blicke zart liebkost.

Wählt, wer der Liebe Götterglück erlost
Und fest sein Ja zu solcher Schickung spricht,
Stets auch der Trennung furchtbares Gericht?
Den Sturm, der seinen Blütenbaum zertost?

Mich hat dein stilles Schmerzenswort verstört -
Wer liebt - ach! - ist so leicht zu überrennen -
Es traf mich mitten in das Herz hinein.

Doch du, der einzig meinen Aufschrei hört,
Geliebter, sag mir: Kann, daß wir uns trennen,
Wir beide! kann das Gottes Wille sein?
(S. 52)
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15.
Wie Maienwald vor schwarzer Himmelswand
Steh ich vor meines Schicksals Eisenschwere,
Vor seiner Augen zukunftsloser Leere,
Wie ewig Leben vor Vernichtung stand.

Gesegnet süßes Leben, Sommerland,
Ansetzend schon zu Apfel, Kern und Beere,
Warm, daß es tausendfältig sich vermehre,
Gebettet in der Weltenmutter Hand.

Durchpulst von ihres eignen Blutes Saft;
Durchbebt von ihres eigenen Herzens Träumen;
Ihr Kind, ihr tiefer Ernst; ihr holdes Spiel.

Beglückend junger Funke ihrer Kraft;
Tropfen aus ihres großen Lebens Schäumen
Und ihrer Liebe ewig gleiches Ziel.
(S. 53)
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16.
Die Frage, die den Schlaf der Nacht mir raubt
Und tags mich aufschreckt wie Gespensternahn,
Abwechselnd mich ergreift wie Fieberwahn
Und mich in kalte Seelenfolter schraubt;

Die mir kein Atemholen mehr erlaubt;
Mich hinjagt wie auf blanker Eisesbahn;
Mich zwingen will, als Schicksal zu bejahn,
Woran wir unsres Lebens Sinn zerstaubt:

Sie ändert ihren Blick und ihr Gesicht,
Die Frage: Müssen, dürfen wir uns trennen?
Und grauenvoll zweischneidig ist ihr Rat.

Ich glaub ihr jetzt - und jetzt schon wieder nicht.
Ihr wahres Wesen kann ich nicht erkennen.
Sie scheint mir Golgatha und Kainstat.
(S. 54)
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17.
Ich singe eine Weise, herb und schwer.
Ihr Rhythmus ist der Herztakt tiefster Not.
Sie weint. Sie bricht hart ab. Sie stöhnt, sie droht.
Sie schluchzt. Sie schwillt und ebbt und schwillt wie Meer.

Sie ist Marias Klage, tränenleer,
Und Schrei, der von Empörerlippen loht.
Weltuntergang, verzuckend gelb und rot,
Orest. Prometheus. Loki. Luzifer.

Ist alle, die um Himmel Höllen litten.
Ist alle, die am Marterpfählen schwiegen.
Ist alle, die durch Feuertode gingen.

Mein Schritt ist eingereiht nun ihren Schritten.
Mit ihnen muß ich leben, sterben, siegen.
Ihr Lied muß ich aus wunder Seele singen.
(S. 55)
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18.
Es gibt Gesetze, die sich nur dem Leid
Und nur der heißen Qual sich offenbaren.
Nur, wo wir aller Schrecken Opfer waren,
Empfangen wir der Weihe Sternenkleid.

Und bindender als Fahnenschwur und Eid,
Und Ketten sprengend, gleich den wunderbaren
Gesängen hoher, weihnachtlicher Scharen,
Ist ihr unwiderruflicher Entscheid.

An ihrer Wahrheit felsenhafter Größe
Muß Zweifel sommerwellenmatt zerrinnen
Und wie ein blasses Wolkenbild zergehn.

Denn Menschenmacht bannt nicht Gewissensstöße;
Erlösungswunder kann man nicht ersinnen;
Und dem Karfreitag nur folgt Auferstehn.
(S. 56)
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19.
Ein Abglanz jener königlichen Sonnen,
Bei deren erstem Strahl die Erde bebt -
Ihr fassungsloser Schrei: Er lebt! er lebt!
Ist würgend noch den Ängsten abgewonnen.

Halb in Verzweiflungsspuk noch eingesponnen
Und von Dämonenfratzen noch umschwebt,
Grüßt sie das Licht, das neue Welten hebt,
Und ist der Nacht Umklammerung entronnen -:

Ein solcher Abglanz traf mich. Wie im Traum,
An deines Rufes sicherem Geleit,
Fahr ich, durch aller Seelenfarben Schleier,

Von schwerem Wolkenblau zu Rosenflaum,
Hinein in deiner Liebe Wirklichkeit,
In unsres Wiedersehens Osterfeier.
(S. 57)
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20.
Aus Brunnenfinsternis der Einsamkeit
An deines Herzens warmen Hort gezogen,
Durchmißt mein Herz in schwindelsteilem Bogen
Äonenflugbahn in Minutenzeit.

In einem sinkend in Geborgenheit
Und ganz in süße Stille eingesogen -
Und steigend auf berauschend starken Wogen;
Mit dir zu neuem Erdentag bereit.

Des Frühlings Holdheit, Veilchen, Vogellieder -
Was ewig Seelensaiten jauchzen läßt,
Wird wieder wahr in deines Arms Umringung.

Ich selber sing und leucht und blüh mir wieder.
Wie aus des Schmerzes Tempel in ein Fest
Tret ich in deines - unsres Lebens Schwingung.
(S. 58)
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21.
Der Tag ist wieder Tag und Nacht die Nacht
Und schöner Zweiklang ihres Wechsels Schritt.
Der Erdenwesen Füße schreiten mit
Und ruhn, in göttlich edles Maß gebracht.

Es schwillt und reift das Jahr von Pracht zu Pracht
Nach dieses Sommers schicksalhaftem Ritt.
Kein Kernlein, das dem Lebensstrom entglitt.
Zu Jubelfeuern ist der Herbst entfacht.

Und Menschenaugen strahlen uns zurück,
Was wir gelebt, gewollt gefühlt, ertragen -
Verschwistert - unsern Augen ganz erhellt.

Ach, jeder Atemzug ist wieder Glück!
Wenn unsre Herzen aneinander schlagen,
Ist Gottes Ordnung wiederhergestellt.
(S. 59)
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22.
Zwei Menschenherzen! Liebewarme Wiege,
Den Keim für alles Heilige zu hegen.
Durch ihn erwählt; geadelt; Wunder; Segen;
Nach tausend Niederlagen Mut zum Siege.

Wär Gott gestorben; oder wenn er schwiege,
Zermürbt von weltenweiten Wanderwegen;
Und höhnte seiner Herrlichkeit entgegen
Der Elendstage lange Rumpelstiege:

Erweckende Magie des Wortes Du!
Um dessen zauberdunkle Tiefe schweben
Gestalten, die erzengelmächtig sind.

Er müßte, aufgeschreckt aus schwerer Ruh,
In unsern Herzen heimlich wieder leben
Und lächeln, scheu und zärtlich wie ein Kind.
(S. 60)
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23.
Wie nichts, was sein wird, allem Ja entrückt,
Geheimnis, ein Geschenk aus Götterhänden,
Erhöht weit über Kargen und Verschwenden,
Ist dieser Tage Seele unzerstückt.

Und unser Wesen, sonnenhaft durchglückt,
Scheint ohne Anbeginn und ohne Enden.
Wir werden - über Schicksalswellen, - wenden -
Uns Siegel, tief einander eingedrückt.

Die Stunden sind wie apfelschwere Zweige
Und knospen schon an jedem jungen Triebe
Zu schönrer, köstlicherer Früchte Duft.

Und ob ich singe; ob ich atme; schweige:
Ich stehe in dem Himmel deiner Liebe,
Wie Blumen stehen in der Sommerluft.
(S. 61)
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24.
Dies, du Geliebter: daß wir beide lieben,
Als wären wir allein, und nichts als wir
Wär auf der Schöpfung schimmerndes Papier
Als Gottes füllendes Gedicht geschrieben.

Und wenn wir fühlend, segnend wurzeln blieben
In Bäumen, Gräsern, Blumen, Stein und Tier:
Sie sind die Erde, sind die warmen Vier;
In dir allein ist alles: Eins und Sieben -:

Dies Wunder, mit der Feuerkraft der Qual
Und mit des Lindenhauches Honigsüße,
Reißt uns in unsrer Seelen reinsten Grund.

Nicht unser sind wir. Wir sind Gottes Zahl.
Einst sehn wir dieser Wahrheit goldne Füße.
Nun lächelt uns ihr Auge, spricht ihr Mund.
(S. 62)
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25.
Wir sind die beiden, die einander wählten,
Eh noch aus Weltennacht das Licht sich kernte
Als Kraft zu neuem Blühn und neuer Ernte,
Eh Glut und Eis zur Zeugung sich vermählten.

Ob Leben uns beseligten, uns quälten:
Dein Antlitz war das Buch, daraus ich lernte.
Noch Leidesdunkel golden übersternte,
Was die geliebten Züge mir erzählten.

Der Einklang unsrer Herzen ist so rein,
So todesstark und so unwandelbar:
Er nährt sich nicht von Glück und Helligkeiten.

Wir durften Zeugen einer Heimat sein,
Die ist und sein wird - wie sie ewig war,
Und eines Ursprungs jenseits aller Zeiten.
(S. 63)
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26.
Bliebst du ihr treuer Sohn? Fandst du die Spur
Zu dieser Heimat wieder, heller Schreiter?
Bezwingend schön auf deiner Stirne, heiter,
Liegt noch das Leuchten ihrer Gottnatur.

Du siehst im Zufallsperlenkranz die Schnur.
Durch Geisterdumpfheit gehst du, ein Befreiter.
Wo weilte ich, wärst du nicht mein Begleiter?
Ich, Moll zu deinem edlen, klaren Dur.

Ich bin die Erbin ihrer Dunkelheiten.
Ich bin die Frau, muß ihrer Quellen walten;
Muß hüten, was aus Urborntiefen fließt.

Muß über uns die Hände bannend breiten
Und so voll Liebeskraft in deine falten,
Wie betend fest ein Kind den Stromkreis schließt.
(S. 64)
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27.
Du! Freiheit und Gesetz mir; Zwang und Wahl,
Erfüllung du mir über Wunsch und Traum,
Keim, Knospe, Blüte, Blatt und Frucht und Baum,
Geheimnis, Offenbarung, Gold und Stahl!

Dein Herz ward mir zum heiligenden Gral;
In deinem Blick, an deines Lächelns Saum
Zum warmen Herzen mir der Sternenraum,
Geliebter, Bruder, Vater, Sohn, Gemahl!

Von deines Lebensstromes Kraft getragen,
Gezeitenlos, gelassen, schätzeschwer
Zieht meiner Liebe Barke groß dahin,

Bewegt durch deiner Wellen starkes Schlagen,
Erhoben über Tag und Ungefähr.
Du wogst und wächst und reifst und wirst. Ich bin.
(S. 65)
_____



28.
Du siehst das hohe Ziel. Ich sehe dich
Und bin in Herzensmitte alles Seins.
Weg, Wanderung und Ziel und wir sind eins,
Du, Ziel mir, Auftrag, Schicksal, Leben, Ich!

So fühlt die Erde, liebend, mütterlich
Den Puls des Quells, den Drang des Würzeleins,
Der Pflanze Lied, den Atem selbst des Steins
Und lebt in der Geschöpfe Leben sich.

Du dürftest irren in des Wegs Erkennung.
Ja, ging dem Blick des Zielsterns Bild verloren:
Dir strahlte wieder, was du kühn erschaut.

Ich darf nicht irren. Irren wäre Trennung
Der Hälften, die als Eins aus Gott geboren.
So ist mir Tod und Leben anvertraut.
(S. 66)
_____



29.
Belehnt mit solcher Königsbürde Macht,
Geh ich traumwach an deiner Herzensseite;
Verwundbar, wenn nicht große Liebe feite,
Wie Blumenkeim im Frost der Märzennacht.

Denn immer ist das Leben Schicksalsfracht,
Und immer schraubt es uns das Ziel ins Weite,
Und immer löst es wieder, was es reichte,
Und droht mit Armut immer und mit Acht.

Es ist die unerbittlich harte Probe
Auf alles Schönen Wahrheit und Bestand,
Auf aller Liebe Überwinderwillen.

Nur, die ich täglich schweigend dir gelobe,
Nur Treue flieht nicht vor der Schreckenswand,
Aus deren Stein die Todeswasser quillen.
(S. 67)
_____



30.
Kein Ruhn ist in der Liebe, keine Schonung
Des Erdenwesens, das sich Glück erträumt.
Sie ist der Reiter, der sein Tier sich zäumt
Im Aufbruch zu der Götter Strahlenwohnung.

Sie ist der Trägheit ewige Entthronung,
Der Strom, der nie verebbt und nie verschäumt,
Der Berg, den keine Kraft vom Weltrund räumt,
Die Fordrung ohne Gnade noch Belohnung.

Sie ist die Königin. Und wir? Wir beide?
Was sind die Liebenden durch alle Zeit?
Landsucher auf der See in morschem Kutter,

Sind Kinder auf der Wolfs- und Hexenheide,
Versprengte Boten hoher Ewigkeit,
Ganz nah dem Helden und ganz nah der Mutter.
(S. 68)
_____



31.
Sie gleichen immer adligen Verbannten,
Die in den allerfrühsten Kindheitstagen
In Fremde wurden und in Angst verschlagen,
Als sie das Herz der Heimat kaum noch kannten,

Doch die, wenn Schrecknisse sie übermannten,
Die der Verzweiflung Stirn und Siegel tragen,
Zu jenem Herzen hin in großen Wagen
Den Brückenbogen ihres Heimwehs spannten.

Sie selbst sind ihrer Heimat Melodie,
Aus Trennung, Hunger, Einsamkeit ersungen
In einer Welt, die doch sie nicht bezwang.

Was andere nur träumen, leben sie.
Ihr Leuchten ist der Finsternis entrungen
Und ihre Herrlichkeit dem Untergang.
(S. 69)
_____



32.
Jenseits der Satzungen, die Menschen schufen
Und die zerkrümelten im Griff der Zeiten,
Stehn sie, gottnah, des Lebens Kostbarkeiten,
In Schande noch zur Hoheit aufgerufen.

Denn, ob sie starben unter Tiereshufen
- Wie Menschenstrafen auch den Leib entweihten -
Ihr Lebenslied singt sich auf goldnen Saiten,
Und ihre Füße treten Thronesstufen.

Unausdenkbares Wunder ist ihr Sein.
Sind sie die Erstlinge ganz neuer Welten?
Sterngötter in der Kindheit süßer Kraft?

Ein Wagnis Gottes, wie ein edler Stein
An eines Bettlers Finger, fremd und selten,
Der Menschheit strahlend in der Ichsucht Haft?
(S. 70)
_____



33.
Der Erde sind sie holde Hochgesänge,
Goldglanz vor ihren schweren, dunklen Toren,
Gestalten ihrer Sehnsucht, oft beschworen,
Vertrieben oft in Nacht und Winterstrenge.

So möchte sie, in Licht und Gottgepränge
Erblicken alles, was ihr Schoß geboren,
Dem großen einen Leben unverloren,
Entschwunden jeder Gier und Hassensenge.

Doch als sie, zärtlich halb und halb mit Grollen,
Sich wendet zu den glücklichern Erhöhten,
Sieht sie wie Engel ernst sie vor sich stehn;

Den Himmeln, die sie krönten, ganz verschollen;
Verpfändet tausendfach den Lebensnöten.
Da muß sie ihnen liebend nahegehn.
(S. 71)
_____



34.
Da muß sie geben ohne Maß und Schranken,
Als wär'n ihr Fürstenkinder anvertraut.
Aus Stein und Erde, Holz, Gestrüpp und Kraut,
Aus Blättern, Früchten, Zweigen, Blüten, Ranken,

Aus Eis und Schnee, aus Wald und Wellenschwanken,
Aus Hauch und Farbe, Ton und Licht und Laut
Nimmt sie, was Jahrmillionen aufgebaut,
Schafft Wunder neu, wo uralt Wunder sanken.

Uns gab sie Heimat, Frühling, Heide, Meer,
Novembernebel, Winterherrlichkeit,
Gab Möwe, Wildgans, Nachtigall und Grille,

Ruft Nordsturm, sendet Glut vom Süden her,
Schenkt Buche, Rose, Kornfeld, Schwere, Zeit.
Wir jauchzen. "Mutter!" dankt sie selig-stille.
(S. 72)
_____



35.
Den Engeln, Menschen, Teufeln preisgegeben,
So gehn die Liebenden den Felsengrat,
Den Schicksalsweg, nach aller Götter Rat,
Den Weg der Not, der Herrlichkeit: ihr Leben.

Urpole, die sich fliehn und sich erstreben,
Und dennoch ohne Fuge, ohne Naht,
Und himmlisch wissend um die Schöpfertat,
Aus Gegenspiel der Einheit Gold zu weben.

In ewiger Bindung ganz in ewiger Freiheit,
In ewiger Jugend weise wie Vollendung,
In Lebensfülle fern der Lebensgier,

Allmächtig in dem Kraftfeld ihrer Zweiheit,
Geopfert und geschützt durch hohe Sendung,
Geheimnisüberhaucht. Urerstes Wir.
(S. 73)
_____



36.
Ihr großen Liebenden, Ihr Menschensonnen!
Ihr Götterwesenheit und Erdenblut!
Wie leuchtete uns eure Herzensglut!
Wie trafen eure Leiden, eure Wonnen!

Wir grüßen euch, die ihr ein Sein begonnen,
Das wurzelstark noch in der Gottheit ruht!
Ihr, Künder einer nie versiegten Flut,
Ersehnte Quellen! Junge Schöpfungsbronnen!

Ihr überwandet Sterben, Qual, Not, Ferne.
Nur was sich der Vergänglichkeit verdang,
Erliegt dem unerbittlichen Vernichter.

Euch winken todentrückter Zukunft Sterne.
Des Schicksals weltenweiser Wiesensang
Ist allen Wesen Atem, Halt und Richter.
(S. 74)
_____



37.
Urnächtige Mutter unsres Lebens! Du,
Aus der wir uns geheimnisvoll entfalten!
Was wissen wir von deinen Tatgewalten?
Was von den Ungewalten deiner Ruh?

Du schlossest deine Gegenwart uns zu,
Als wir aus dir zu eignem Sein uns ballten,
Und wie wir hart und härter uns gestalten,
Sind wir dir nicht so nah wie Busch und Kuh.

Die Liebenden nur sind dir eingebettet,
Sind außer Maß, wie du, sind eins und alles
Und fallen niemals ganz aus deiner Nacht.

Und zauberhaft wirst du durch sie verkettet
Dem Weltenall des Aufschwungs und des Falles,
Das schlafend du erträumt - das du erdacht?
(S. 75)
_____


Aus: Alma Heismann Sonette einer Liebenden
Mit einem Geleitwort von Wilhelm Lehmann
Verlag Lambert Schneider Heidelberg Darmstadt 1957

 


Biographie:

Alma Heismann, das älteste unter vier Kindern, wurde am 14. November 1885 in Flensburg geboren. Ihr Vater, Johann Christian Heismann, ursprünglich Buchdrucker, später Abteilungsvorsteher der Ortskrankenkasse in Flensburg, stammte aus dem Bergischen Land am Rhein, wo die Familie Heismann seit langem saß und wo ein Urahn verschiedene Höfe verwaltete, Waldwirtschaft und eine Eisenhütte betrieb. Der Besitz ließ sich nicht halten, J. C. zog in die Fremde und heiratete in Flensburg Emilie Jürgensen, deren Vorfahren in der Nähe von Schleswig Halbhufen besaßen. Eine Ururahnin Almas hat auf der Insel Fünen gelebt.
Alma besucht die Volksschule, dann bis 1905 die Städtische Höhere Mädchenschule. Wie vielen geistig interessierten jungen Menschen erscheint ihr der Lehrberuf erstrebenswert. Das begabte Mädchen wird in das Schleswiger Seminar aufgenommen. 1906 reist sie auf Wunsch ihres Vaters, unterstützt durch ein kleines Familienstipendium, nach Paris, wo sie an der Sorbonne französische Sprachkurse belegt. Gleich nach ihrer Rückkunft wird ihr zum 1. Januar 1908 eine Volksschullehrerinnenstelle in Schleswig angeboten. Sie ist zunächst in der Altstadt tätig und von 1928 ab an der schön an der Schlei gelegenen Bugenhagenschule. In den letzten Schrecknissen des zweiten Weltkrieges infiziert sie sich bei der Untersuchung eines diphteriekranken Kindes und stirbt, ein Opfer der zerrütteten Verhältnisse, am 5. Juli 1943. Bruder und Schwester überführen die Leiche zur Einäscherung nach Kiel und setzen die Urne, während die Sirenen Vollalarm geben, auf dem Friedhof an Friedenshügel in Flensburg.


 

 


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