Natalie von Herder (1802-1871) - Liebesgedichte

 



Natalie von Herder
(1802-1871)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 




Die Entstehung der Liebe, nach Byron

Der Lieb' Entstehung möchtest Du ergründen,
Und richtest grausam Deine Frag' an mich?
Da doch so Vieler Augen Dir verkünden,
Daß sie in's Leben tritt, erblickt man Dich.
Willst Du ihr Ende forschend auch erfragen,
Dann weißsagt mir das furchterfüllte Herz,
Lang' wird sie weilen noch im stummen Schmerz,
Doch enden - nur mit meines Lebens Tagen.
(S. 8)
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Das Herz
1. 3. 45.

Man sagt, das Herz sey ein Despot,
Gebietet aller Lande,
Der oft schon Unheil schuf und Noth,
Selbst trotzend jedem Bande.
Die Meinung ist im Irrthum nur;
Abhängig von zwei Kammern,
Kennt es von Freiheit keine Spur,
Laut hört man es oft jammern,
Wenn, mit dem Oberhaus entzweit,
Kein Vorschlag gilt, kein Bitten,
Wie sich auch Stimm' an Stimme reiht,
Sein Recht wird doch bestritten.
Oft treibt es ein verdecktes Spiel,
Sucht ohne Paß das Weite,
Doch der Spione giebt's zu viel,
Auf recht' und linker Seite.
Gefesselt bringt man es nach Haus,
Doch wie sie's auch bewachen,
Durch's Doppelfenster fliegt's hinaus,
Mit Scherz und heitrem Lachen.
Ein andres Herz läßt es zum Pfand,
Doch wird 's nicht lange dauern,
So ist der Irrthum auch erkannt;
Und droh'n ihm Schloß und Mauern
Zur Strafe, daß es oft schon stahl,
Und schwor bei seinen Ahnen.
Dann streckt's die Waffen allzumal,
Und folget Hymens Fahnen.
Auf thut sich seines Hauses Thor;
Die Gattin an der Seite,
Steht es als Ehemann davor,
Mit stattlichem Geleite.
Die Hinterthür ist fest nun zu,
Die Jalousie verriegelt,
Stürmt's auch noch manchmal ohne Ruh',
Ist doch die Treu' besiegelt.
(S. 66-67)
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Narzissa
22. 4. 45.

Was deckst Du mit Deinem rauhen Gewand
So lange schwer die Erde?
Du müder Greis, heb' die lastende Hand,
Daß wieder frei sie werde.

Und schmeichelnd umgiebt ihn der Lüfte Spiel,
Es nah'n des Lenzes Boten.
Nun scheide von hinnen, Du bist am Ziel,
Such' Ruh' im Schlaf der Todten.

Es eilt geschäftig die Welle herbei,
Sie flüstert leis' mit Kosen:
Wacht auf, ihr Blüthen, es nahet der Mai,
Schmückt, Veilchen Euch und Rosen!

Da lockt sie die Sonne, das Himmelslicht,
Manch' Köpfchen blickt zu Tage,
Aus den Zügen liebliche Anmuth spricht;
Glück ist des Lebens Frage.

Schon lächelt Narzissa silberrein
Im jungfräulichen Schleier,
Umgeben vom goldenen Heil'genschein,
Strahlt sie in ernster Feier.

Und glaubst Du wohl unbeachtet zu sein,
Weil Du erblüh't bescheiden?
Gern wäre der Freund und Gefährte Dein,
Der Lack, den sie beneiden.

Es hat ihn der Gärtner voll Grausamkeit,
So weit von Dir geschieden,
Und wie auch Dein Anblick von fern ihn freut,
Kein Wort kann es Dir bieten.

Doch Liebe ist sinnreich, sie hilft sich gern,
Ward er auch fest gebunden,
So hat doch sein spähender Blick von fern
Den Boten aufgefunden.

Der Goldkäfer eilt im festlichen Kleid,
Der Liebe Gruß zu bringen,
Verschämt lauscht den Worten die holde Maid,
Wie Vöglein Minne singen.

Es bringt, als Gabe von liebender Hand,
Der Thau ihr duftige Frische,
Der Schmetterling gaukelt am Purpurrand,
Er bleibt als Gast zu Tische.

Spricht selbst von Sehnsucht und Liebe so viel,
Es wird ihr Herz beklommen,
Doch treibt der Verräther mit ihr sein Spiel,
Hat ihr die Ruh' genommen.

Schnöd' weist sie als Freier den Goldlack ab,
Frägt nicht nach seinen Leiden,
Da kosend der Schmetterling sie umgab,
Doch wird er treulos scheiden.

Denn Maiblümlein küßt er, und scherzt und lacht
Zugleich mit frischen Nelken;
Ach! arme Narzisse, hab' Acht, hab' Acht!
Voll Sehnsucht wirst Du welken.

Die Blumen ringsum des Lebens sich freu'n,
Und mit der Liebe scherzen,
Nur sie ward verblendet vom eitlen Schein,
Der Tod sitzt ihr im Herzen.

Doch wie auch das einzelne Opfer fällt,
Laut tönen frohe Lieder,
Denn neu mit der Jugend, dem Lenz der Welt,
Kehrt frisches Leben wieder.
(S. 76-79)
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Die Führer durch's Leben
2. 6. 47.

Was ist denn eigentlich das Herz?
Sehr oft ein nicht verstand'ner Scherz.
Ein Lustschloß in dem kühlen Wald,
Freund Amors Sommeraufenthalt.
Auch gleicht es einer Mausefalle,
Ein läßt man Jede, aus - nicht Alle.
Es ist geräumig; theilt man's ein,
Und will nicht drin die Einz'ge sein.

Was hält man wohl von dem Verstand?
Es ist ein trockner Schulpedant.
Er lebt gern in der kalten Zone,
Nährt sich von Büchern, und zum Lohne
Für all' sein Denken und Studieren,
Wünscht' er den Satz nur durchzuführen:
Daß Alles eitel, - schnell vergeht,
Nichts als der Aktenstaub besteht.

Was aber ist die Phantasie?
Ein Wanderer, ein Kraftgenie,
Ein Maler, der in tausend Bildern
Versucht die Alltagswelt zuschildern.
Sie sieht im Menschen nur den Engel,
In ew'ger Jugend, ohne Mängel;
Fehlt auch der Hauptfigur die Hand,
Verhüllt's das griechische Gewand.

Was ist der Hauptbegriff von Witz?
Der Form nach ein Gedankenblitz.
Mit voller Kraft pflegt er zu zünden,
Nur giebt es mehr noch von den blinden,
Die nur in leerem Rauch aufgehen,
Und sich nicht gleich von selbst verstehen,
Doch braucht man erst den Commentar,
Dann trifft er nicht, er hinkt wohl gar.

Wer zeigt zum Glück den besten Weg?
Ist es das Herz? Auf leichtem Steg
Führt es Dich über rasche Wogen;
Als Mentor hat er oft getrogen.
Sein Compaß steht nicht nur nach Norden,
Ist südlich selbst betroffen worden.
Es sieht nur, was es sehen will,
Zu vielen Dingen schweigt es still.

Drum war es gut, wo man Verstand
Dir, flücht'ges Herz, zur Seite fand,
Auch er kann sich allein nicht finden,
Und suchet viel zu viel nach Gründen.
Man ist auch praktisch heut' zu Tage,
Fragt nicht nach geographischer Lage,
Selbst mit der besten Theorie,
Weiß er die rechte Straße nie.

Wenn Dir mit beiden nun vereint
Das Leben doch prosaisch scheint,
So folg' auf irgend eine Weise
Der Phantasie auf Deiner Reise.
Doch schwimmt sie auf verbotnen Wegen,
Dem Strom oft lieber grad' entgegen;
Dann frage erst die Polizei,
Ob's auch erlaubt und möglich sei?

Durch einen Witz gut angebracht
Hat Mancher schon sein Glück gemacht,
Will Dich die Langeweile tödten,
So hast Du solchen Freund von Nöthen.
Man kann dabei auf Vorrath halten,
Giebt's keinen neuen, wärmt man alten!
Wer mit dem Allen gut verseh'n,
Dem kann das Glück doch nicht entgeh'n?
(S. 80-83)
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Aus: Gedichte von Natalie von Herder
Weimar Verlag von Ferdinand Jansen und Comp. 1853
 


Biographie:

Natalie von Herder
Geboren am 30. 5. 1802 in Weimar, gestorben am 22. 5. 1871 in Weimar.

Eine Enkelin des Dichters und Theologen Johann Gottfried von Herder. Ihr Vater war Gottfried von Herder, der Leibarzt der Großherzogin von Weimar. Nach seinem frühen Tod 1806, verheiratete sich ihre Mutter erneut, wurde aber bereits 1813 abermals Witwe. Natalie von Herder erhielt eine sorgfältige Erziehung. Sie studierte Fremdsprachen und ihre Neigung zur Poesie wuchs durch den freundschaftlichen Verkehr im Hause Goethes. Gemeinsam mit Johanna Schopenhauer unternahm sie eine Reise an den Rhein, lebte dann bei ihrem Oheim in Freiburg und später in Bayreuth, Nürnberg und Augsburg. 1833 zog sie wieder nach Weimar, wo sie, von gelegentlichen Reisen abgesehen, bis zu ihrem Tod blieb. Viele Jahre pflegte sie ihre schwerkranke jüngere Schwester, bis sie selbst 1871 an den Folgen eines Schlaganfalls starb.

Aus: Franz Brümmer: Deutsches Dichter-Lexikon. Eichstätt und Stuttgart 1876-1877

 


 

 


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