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 Sophie Hoechstetter
 (1873-1943)
 
 
 Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 
 
   
      
 
 Vielleicht auch Träumen
 
 Kein Wort der Lebensflucht
 Und auch kein Wort der Müden,
 Die nur noch die Erinnerung behüten
 Die abschiednehmend ihre Seele sucht.
 
 Kein Wort der Not
 Und auch kein Wort der Armen
 Die niemals Jugend freudig konnt' erwarmen
 Die schlafen, während rings das Leben loht.
 
 Ein Wort der Liebe nur:
 Hast du in heißen Träumen
 Niemals gelebt in Paradiesesräumen
 Auf junger Wegespur?
 
 Und kamen nicht zur Nacht
 In wild-erhöhten, leidgetränkten Farben
 Das Leben und die Wünsche, die dir lange starben
 Als groß vollbracht?
 
 Kam nicht bewußt
 Dir oft im Traume erst die Größe
 Von deiner Liebe, daß du sie erlöse
 Zu neuer Lust?
 
 Ward nicht im Traum
 Dir manchmal erst die Heimat und das Leben
 Zu einem Bild, wie oft es dir dein Herz gegeben
 Und wußtest's kaum?
 
 So ist der Traum
 Verdichter unsrem Wesen, unsrem Fühlen
 Und Wahrheitkünder, der in seinem kühlen
 Erschauern führt uns zum Erkenntnisbaum.
 
 So ist Symbol
 Der Traum auch jedem Künstlerschaffen —
 Beseeltes Bild des Lebens, das wir jäh erraffen
 Will uns die Stunde wohl. 
      (S. 9-10)
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 Liebesnacht
 
 Uns leuchtete noch keine Nacht so tief
 Wie dieses Sommers schwere Liebesnacht,
 Da dir dein Herz erwacht, die dir mein Herz gebracht
 Die uns zum Leben rief —
 Spürst du — fern sinkt das letzte Schweigen,
 Fern klingt der Reigen
 Verdämmernder Lieder der Einsamkeiten
 Gieb mir die Hand,
 Erobererland
 Liegt viel noch in uns beiden.
 Ich fühle, wie Mund und Hände mir begnadet sind
 Ich fühle, wie dein Blut zum Herzen rinnt —
 Fühlst du die Nacht? Noch keine war so still —
 — So still, als seien alle Tränen ausgeweint
 So still, als trüge sie Tod und Unsterblichkeit vereint —
 Wie diese, die uns zu den Göttern führen will. 
      (S. 20)
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 Improvisation
 
 Die blaue Sommerluft über den Hügeln,
 Der Wind mit leichtbeschwingten Flügeln,
 Die Linden voll grüner Hoffnungsherzen
 Des Gartens goldne Königskerzen
 Sie alle tragen Liebesschmerzen.
 
 Die rotesten aller roten Rosen
 Schauen dich mit freundlichen großen
 Augen an und denken:
 In dich will ich mich versenken
 "Dir, Geliebte will ich mich verschenken."
 
 Sogar der liebe Gott, der es so einsam hat,
 Der wünscht, er sei ein Rosenblatt
 Von allem Duft des Sommers satt
 Und fiel' auf deine Brust
 In Sommersonnenlust.
 
 Sie tun mir ja leid, die Königskerzen
 Und die Hoffnungsherzen
 Und die roten Rosen
 Und der liebe Gott in seinen großen
 Einsamen Wolkenschmerzen.
 
 Doch in diesen Sommertagen
 Will ich nimmer schmerzlich klagen
 Will gar nichts von der Welt
 Und nichts vom grünen Feld,
 Will nur dich zu besitzen wagen. 
      (S. 21)
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 Geigenlied
 
 Der Tag geht still zur Neige,
 Du läßt mit leisem Klingen
 Aus deiner braunen Geige
 Mir deine Seele singen.
 
 Du spielst die alten Lieder
 Vom Tode und von Schmerzen,
 Sie klingen auf und nieder
 Durch unser beider Herzen.
 
 Sind sie für uns geschrieben?
 Erklingen sie als Klagen,
 Die einst uns sind geblieben
 Nach sommerhellen Tagen?
 
 Das alte, tiefbetrübte
 Von Scheiden und Verlassen
 "Kann dich, Geliebte
 Nicht mehr umfassen" —
 
 Spiel uns ein Lied zusammen
 Für heut und alle Zeiten
 Und laß wie Liebesflammen
 Aufglühen deine Saiten.
 
 Der Tag geht still zur Neige,
 Du läßt mit leisem Klingen
 Aus deiner alten Geige
 Mir deine Seele singen. — 
      (S. 22)
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 Lieder an Liane
 
 I.
 Ich wollte einmal dich in meiner Heimat grüßen,
 Ich wollte einmal, daß zu deinen Füßen
 Die Wege ziehen, die mir lang vertraut.
 Ich wollte, daß mein stilles Land dir brächte
 Sein tiefes Sehnen, seine hellen Nächte
 Und du es sähest, wie ich es geschaut.
 
 Ich wollte einmal deine Lippen küssen —
 Ich wollte einmal deine lieben süßen
 Geliebten Augen auf mir ruhen sehn —
 Ich wollte einmal — einmal nur dir sagen
 Wie lang dein Bild im Herzen ich getragen
 Und wie es ruht dort bis zum Untergehn.
 
 Dann aber? Oh ich weiß nicht, was noch wäre
 Still ruht die Sehnsucht — ankersstill im Meere
 Fragst du den Beter, was er noch begehrt
 Wenn ihm sein Gott die Seligkeit gewährt?
 Fragst du den Schiffer, der den Hafen sieht,
 Ob noch ein Wunsch durch seine Seele zieht?
 
 Ich wollte einmal deine Lippen küssen,
 Ich wollte dich in meinem Hause grüßen —
 Einmal mit dir allein sein — fern vom Leben.
 Ich wollte einmal dir in erstem Schweigen
 Die Heimat und mich selbst ganz dir zu eigen
 Bedingungslos in deine Hände geben. 
      (S. 23)
 
 
 II.
 Du sollst in meiner Mutter schönstem Bett
 So ruhig schlafen, bis du nicht mehr müd' —
 Und wenn dir dann der junge Tag erglüht
 Wird er dich wecken aus dem Traum der Nacht,
 Daß dir erwacht
 Der schönere Traum des Lebens.
 
 Du sollst an meiner Mutter stillem Herd
 Die alten lieben, guten Worte hören,
 Die alten Worte, die das Herz betören:
 Von Heimatglück, von fernen Zeiten
 Von müden, lang erblaßten Leiden
 Die uns noch rühren.
 
 Du sollst in meiner Mutter Gartenland
 Die kleinen, bunten Blumen pflücken,
 Die überfallend nach dem Steig sich bücken.
 Die roten Rosen, die dort einsam blühen
 Und erglühen
 Für dich allein.
 
 Du sollst in meiner Mutter altem Haus
 Die Liebe nehmen, die ich holen will
 Aus meiner Seele Tiefe und dir still
 Zu Füßen legen, bis der letzte Tag
 Uns kommen mag
 In diesem Leben.
 
 Du sollst in meiner Mutter Heimatdorf
 Die Einsamkeit und frühes Leid vergessen
 Und allen Kummer, den du je ermessen —
 Weil ich dich führen will und lächelnd tragen
 Mit stolzem Wagen
 Zu unserm letzten Glück.
 
 Du sollst in meiner Mutter Hochzeitskleid
 Von weicher, weißer, weiter Schimmerseide,
 Die ein Symbol der Freude für uns beide,
 Das liebe gute Wort mir geben,
 Das mein Leben
 Mit dir vereint. (S. 
      24-25)
 
 
 III.
 Nacht ist um uns, die bange
 Lautlos sinkende Nacht —
 Sie hat nach verblassendem Leide
 Erlöstes Sehnen gebracht.
 Greift dir ihr Schweigen an dein Herz?
 Zieht es dich leise erdenwärts — —
 Am Himmel — fern
 Löst sich ein blasser Funken,
 Ein Augenblick
 Er ist im All versunken.
 Ein Wunsch flammt auf,
 Ein Wunsch — so heiß,
 Ein Wunsch, der letzter Liebe Preis.
 In deine Arme laß mich sinken,
 In deiner Liebe laß mich ertrinken,
 Gib mir dich ganz,
 Gib mir den Glanz
 Von Erdenglück:
 Unser letztes Geschick — —
 Nicht fort —
 Komm — kein Wort,
 Kein Wort durchbreche die Stille. 
      (S. 25-26)
 
 
 IV.
 In unserm Garten liegt ein Feuerschein,
 Des letzten Herbstes flammendes Verglühn.
 Die stille, weiche Luft ist klar und rein,
 Wir sehen rote Wolken südwärts ziehn.
 
 Im Winde tausend goldne Blätter schwanken
 Ein letzter Gruß der Liebe, die vergeht.
 Die späte Rose blüht; doch müde sanken
 Schon manche Kelche auf das Gartenbeet.
 
 Die Mauer ist umstrickt von Scharlachwein,
 Mit Liebesarmen nimmt er sie gefangen,
 Und selbst der alte, harte, kühle Stein
 Erstrahlt in rotem, brennendem Verlangen.
 
 Ein Glühen rings, ein sonnenrotes Sterben.
 Ein Sterben, seliger und schöner noch
 Als blassen Frühlingslichtes stilles Werben
 Das einst auch über dies Gelände zog.
 
 Du lächelst schmerzlich. Weil die Liebe flieht
 Von dieser armen, stillen Gartenerde?
 Du lächelst schmerzlich, weil der Herbst uns glüht
 Und weil er kommt mit strahlender Geberde?
 
 Sieh doch: was hier vergeht, uns bleibt es immer,
 Uns grüßt der Herbst, uns grüßt er wunderzart,
 Weil unserer Herzen roter Liebesschimmer
 Für eine traumeskurze Zeit ihm ward.
 
 Wir können froh und lächelnd von ihm scheiden,
 Ein sterblich Abbild ist, was hier vergeht
 Von dem Unsterblichen, dem, was uns beiden
 Als unvergänglich vor der Seele steht.
 
 Bis auf der alten, lieberoten Erde
 Das letzte, leise Wort uns klingt,
 Bis zu uns als geleitender Gefährte,
 Der letzte Erdenton noch dringt.
 
 Bis wir den letzten Blick noch tauschen,
 Wenn einst der Tag uns letzten Abschied bringt —
 Und wenn im fernen Windesrauschen
 Das Herz im All versinkt. 
      (S. 26-27)
 
 
 V.
 Ja, du bist schön
 Und deines Mundes Lächeln
 Ist holder noch als weicher Geigen Klang.
 Du bist so schön
 Und deiner Augen Tiefe
 Ist reiner als ein letzter Schwanensang.
 
 Du bist so stolz,
 Daß kein unreines Denken
 Dir nahen könnte — keine Schuld sich zeigen.
 Du bist so stolz
 Daß keines Fremden Urteil
 Dich loben dürfte, weil du ganz dein eigen —
 
 Du bist mir Freund,
 Denn unsre Seelen kamen
 Zusammen in dem teuersten der Worte.
 Du bist mir Freund
 Zusammen schlossen
 Wir auf des Paradieses Pforte.
 
 Du bist mir alles —
 Meiner Liebe Erbe
 Und meiner Liebe Erdreich wurdest du.
 Du bist mir alles
 Und an deinem Herzen
 Schließt leise sich des Leidens Türe zu. 
      (S. 27-28)
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 Botschaft
 
 So viele lange Tage mußt' ich warten —
 Dort, wo bei Felsgestein und feuchten Mosen
 Zum Winkel des Vergessens wird der Garten,
 Dort harrten längst schon dein die roten Rosen.
 
 Und endlich sehe ich, daß du mit deinen zarten
 Geliebten Händen hast für diese losen
 Blumen mir hingelegt das Buch des Barden.
 Ich lese — spüre fernen Sturmes Tosen.
 
 Kein Wort von dir — nur die verlohten
 Inbrünste alter Zeit. Nichts als die herben
 Verklungenen Lieder eines großen Toten.
 
 Oh du Geliebte, hat mein Sehnsuchtswerben
 Mir keinen einz'gen Gegengruß entboten?
 Da — halt — ein Bleistrich einsam muß ich sterben. 
      (S. 29)
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 Am Teich
 
 Vom Teich herüber klingt aus einem Nachen
 Durch unsre Nacht der sanfte Ton von Flöten —
 Wir sind am Uferrand — ich sehe seine flachen.
 Bespülten Steine sich wie Kupfer röten.
 
 Denn aus den Wäldern steigt in blutigem Entfachen
 Seltsamen Lichts der Mond, als wie in Nöten —
 Und plötzlich, da erstirbt dein liebes Lachen
 Und eine Stille kommt, die keine Worte töten. —
 
 Es suchen meine Hände sanft die deinen
 Und über ihre Frauenanmut neigen
 Sich meine Lippen. Klang es wie ein Weinen,
 
 Das keines wollt' dem andern zeigen?
 Oh du, ich fühle, wie sich unsre Seelen einen
 In diesem ersten, schmerzerfüllten Schweigen. 
      (S. 30)
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 Der Treulose
 
 Wir ritten jubelnd durch die Nacht,
 Fern lag das Schloß — vor uns das Meer
 So weiß wie Diamanten.
 
 "Mein Liebster, ach, es ist vollbracht,
 Wie wir liegt keiner nimmermehr
 In Liebesbanden."
 
 Am Wege steht ein armes Kind
 Mit Augen, schwer vom Schmerz,
 Und Blut an seinen Füßen —
 
 "Was wirst du blaß, sag mir geschwind
 Was wirst du blaß, geliebtes Herz?
 Das Mädchen wollt' dich grüßen!"
 
 "Laß, Liebste, es war nur der Wind,
 Der spielt zum Scherz
 Mit einer alten Weide."
 
 "Nein, Liebster, meine Augen sind
 So klar und hell wie Erz.
 Das Kind steht auf der Heide."
 
 "Nein, Liebste, nein, es ist der Mond
 Der macht das Land so hell.
 Er tut dir nichts zuleide."
 
 "Weißt du, wo dieses Kind wohl wohnt
 Mein Weggesell'
 Das Kind im weißen Kleide?"
 
 "Und so wird meine Lieb' belohnt
 Und so vergißt du schnell
 Was heute eint uns beide?"
 
 "Ja, unser ward das Sakrament
 Vom Priester dargebracht —
 Wen ließest du im Leide?"
 
 "Ist's nicht genug, daß eine brennt
 Die Reue in der Nacht —
 Entscheide —"
 
 Da habe ich ihn angeschaut
 Und bin aus tiefem Traum erwacht
 An seiner Seite.
 
 Die Nacht ist hin, der Morgen taut,
 Im Herzen fühl' ich Grabeslast
 Hin ging die Freude.
 
 Der Tag wird hell, der Tag wird laut
 Mein Glück floh ohne Rast
 Ins Weite — fort ins Weite. 
      (S. 38-39)
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 Später August
 
 Schon werden die Tage so seltsam still
 Und die Nächte schicken den Sternenregen
 Zur dunkelnden Erde — wieder will
 Der Sommer seinem Herbst entgegen.
 
 Über dem Städtlein liegt Mondenlicht
 Und die Menschen wandeln zu zweien
 Im Schatten von Giebeln verschlungen dicht
 Den Liebesreihen.
 
 Einst gingen wir auch durch die stille Stadt
 Und hörten fern das Posthorn klingen
 Und den Fluß, der leise ans Ufer trat —
 Unser Leben war Singen —
 
 Unsre Schritte hallten durch schlafende Nacht,
 Wenn der Mond erblich und die Sterne sanken
 Als hätten sie schmerzlichen Weg vollbracht —
 Unser Leben war Danken.
 
 Wo bist du, mein einsamer Herzgenoß?
 Nun seh ich Fremde den Liebesweg schreiten —
 Die Turmuhr schlägt — so riesengroß
 Faßt mich das Sehnen alter Zeiten.
 
 Oh Jugendglück — oh Jugendlust,
 Heut' gehst du in fremden Gestalten.
 Wie die Sterne vom Himmel im späten August
 Sind wir gestürzt — die Lieder verhallten. 
      (S. 40)
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 Klage
 
 Im Abendschein
 Harr' ich auf dich —
 Du kommst zum Tor herein
 Und küssest mich —
 
 In Sehnen ging der Tag,
 Der Abend geht in Lust,
 Was uns auch kommen mag,
 Ich lieg an deiner Brust.
 
 Wie Gold und süßer Wein
 Ist uns die Zeit —
 Und jung und rein
 Zu allem Glück bereit.
 
 So war es einst,
 So war es einst im Mai,
 Mein einsam Herz du weinst,
 Bald ist auch dies vorbei.
 
 Denn alles nimmt uns ganz
 Das Leben und der Tod —
 Es raubt den Frühlingskranz,
 Er stiehlt die Not.
 
 Bald ist zu Ende gar
 Wie erst das Glück, dein Schmerz
 Bald trägt, was dein einst war,
 Ein andres Herz. (S. 
      41)
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 Am Thunersee
 
 Komm mit — der See schickt weiße Tauben
 Als Freudenboten aus dem Grund hervor.
 Komm mit — ich weiß dir viele Brombeertrauben
 Am Waldesknick, am Felsentor.
 
 Komm mit — ich weiß ein Boot mit goldnem Segel,
 Das trägt uns weit hinaus ins Blau,
 Komm mit, die weißen Taubenvögel
 Sie grüßen dich, du stolze Frau.
 
 Komm mit, ich weiß dort hinter Lorbeerbäumen
 Ein helles Haus —
 Und glühendrot Geranien träumen
 In blaue Nebelluft hinaus.
 
 Komm mit — ich weiß dir dort blutrotes Lieben,
 Komm mit, komm mit zu unserm See —
 Und dieser Tag sei in mein Herz geschrieben
 Bis es vergeh —
 
 Komm mit — du weißt doch, daß wir müssen,
 Komm mit, komm mit zur Liebesnacht,
 Und sieh, wie unter tausend Küssen
 Uns jung das Paradies erwacht —
 
 Komm mit, komm mit, blutrote Blumen sterben
 Im Herbstesgrau —
 Komm mit, ich will mit meinem Leben um dich werben
 Du schönste Frau. (S. 
      42-43)
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 Abendstimmen
 
 Der Sommerwind streicht übers Gras
 Hin über die bebenden Herzen,
 Über die goldenen Königskerzen,
 Und meine Augen sind von Tränen naß.
 
 Dort reifen Beeren sommerrot,
 Wir pflückten sie zu zweien.
 Die Schnitter ziehn in Reihen,
 "Es ging ein Schnitter, der heißt Tod".
 
 Mein Liebchen liegt im kühlen Grab,
 Meine Stirne streifen des Sommers Hände,
 Oh fänd' ich dich am Ende
 Der Welt, ich ging hinab.
 
 'S ist alles heimatfernes Land,
 Drauf meine Füße treten können,
 Ich fühl's im Herzen brennen,
 In unstillbarem Brand.
 
 Die Wandervögel ziehn zu Tal,
 Das Abendrot wird blaß und blässer,
 Mir wär es besser,
 Zu sterben, wie das Himmelsmal.
 
 Die Schnitter ziehn den Weg hinab,
 Meine Stirne streifen des Sommers Hände,
 Wenn ich doch endlich Ruhe fände
 Bei dir im Grab — (S. 
      44)
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 Ein Dirnenlied
 
 Einst, da ich liebte, war ich schön wie Gott
 Ja, ich war herrlich, gleich den Ungewittern
 Die über welterstarrter Winternot
 Erzittern —
 
 Einst, da ich liebte, war mein Mund voll Blut
 Und meine Augen glühten gleich Gestirnen
 In irrer Glut —
 Jetzt geh' ich mit den Dirnen —
 
 Ich nehme die Liebe von jedem Munde,
 Ich nehme die Lust zu jeder Stunde,
 Ich liege am Grunde
 Dort, wo der Ekel ist.
 Ich suche — und lache meinem Funde
 Zu schlecht für die Hunde
 Zum flüchtigen Bunde.
 
 Aber etwas in mir es nimmer vergißt:
 Einst, da ich liebte, war mein Mund voll Blut
 Und meine Seele schrie in seligem Entstarren
 Und eine Welt erstand aus dunkler Glut —
 Jetzt bin ich leer — dem Lachen gleich von Narren. 
      (S. 51)
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 Aus: Vielleicht auch 
      Träumen
 Verse von Sophie Hoechstetter
 München und Leipzig
 Bei Georg Müller 1906
 
 
 
      
      Biographie:
 
 http://de.wikipedia.org/wiki/Sophie_Hoechstetter
 
        
 
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