Ricarda Huch (1864-1947) - Liebesgedichte



Ricarda Huch
(1864-1947)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



Letztes Lebewohl

Nach einer Wolke blick' ich, die am Himmel fuhr,
Ich sah sie leicht hinschweben, wo blieb ihre Spur?
Nicht um die kleine Wolke ist es mir so leid,
Um dich nur du verschwundne Unschuld meiner Kinderzeit.

Als noch, das ferne Leben wie ein Paradies
Früh ausgesandte Falter vor mir schweben ließ,
Da jagt' ich von den bunten, der mir meist gefiel,
Und dachte, immer weiter ginge so das frohe Spiel.

Wie liegt nun weit die Wiese, wo ich Blumen fand
Und goldne Kiesel suchte aus der Quelle Sand!
Nicht hat mich halten können treuer Warner Wort,
Es riß aus ihren Armen mächtig mich ins Weite fort.

Wie kann auch der es wissen, der im Tale wohnt,
Wie die schroffe Firne den kühnen Klettrer lohnt,
Der sie hat erklommen aller Furcht zum Spott -
O Berge! wie an Schmerzen war auch an Wonne ich ein Gott!

Ich hab's gewußt beim Steigen, abwärts führt kein Pfad,
Als ich die letzte Blume hocherblüht zertrat.
Tief unter meinen Füßen liegt mein Vaterland -
O Erde, ich muß sterben! meine Kerze hat zu schnell gebrannt.

Es ist nicht leicht zu sterben, wie man gern auch mag.
Das todgebrochne Auge weckt nie mehr der Tag,
Und aller kommenden Sommer Lust und Fröhlichkeit
Kann nicht den Toten finden auf der Erde weit und breit.

Und alle lichten Wunder aus des Glückes Hand
Sie sind für den verloren, der von der Erde schwand.
Voll Segen ist die Erde, fruchtbar ist ihr Schoß,
Doch wen sie birgt darinnen, dem fiel ein traurig finstres Los.

Die Sonne, wenn sie morgens anhebt ihren Lauf,
Weckt ihn mit ihren Strahlen nicht vom Lager auf;
Zu Ende ist's, zu Ende, ist auf ewig aus,
Wer je verließ die Heimat, nimmer findet der zu Haus.

Da hast noch nie die Augen abends zugetan,
Du wußtest denn, von neuem fingt an der Lebenswahn.
Nie ward dem blinden Hoffen Ende noch gesetzt,
Du kannst es nicht begreifen, was es heißt: zu allerletzt.

Um dich die heiße Klage trifft nicht mehr dein Ohr,
Die dein Liebster klaget, daß er dich verlor;
Nicht ferner kannst du fühlen seiner Tränen Fall,
Und seine teure Stimme ist für dich klangloser Schall.

Und zieht die bange Sehnsucht ihn zu deinem Grab,
Dringt kein Hauch des Lebens doch zu dir hinab.
Dein Herz kann nicht mehr klopfen, naht des Freundes Schritt.
Und geht er trostlos weiter, du kannst nie mehr, nie mehr mit.

Und blüht in lauter Wonne jubelnd rings die Welt,
Von allen Tönen keiner deine Ruh' befällt.
Dräng' auch in deine Kammer der Geliebte ein,
Wohin soll er sich betten? Keine warme Brust wird da mehr sein. -

Du sagtest, eh das letzte Glück uns noch erblich,
Daß du niemals könntest leben ohne mich,
Sagtest, daß du niemals wieder würdest froh.
Nun bin ich fortgegangen, sieh, nun geht es doch auch so.

Man kann das Leben tragen, wenn man leben muß,
Lebendge Herzen fühlen gern der Freude Gruß;
Licht bringt jeder Morgen, süßen Schlaf die Nacht:
Doch wirst du nicht vergessen, an die du einst so viel gedacht.
(S. 14-15)
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Weil ich von dir geschieden bin
Jetzt und in Ewigkeit,
Und weil ich meine Liebe doch
Nur dir allein geweiht,
Ruh' mir am Herzen heute noch
Und teile meine Glut,
Fließt auch auf deine Wange hin
Heiß meiner Tränen Flut.
(S. 17)
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Liebesschwur

Mein Lieb und ich, wir haben uns geschworen,
Daß wir stets treu zusammenhalten wollten.
Er hat zu einer Gattin mich erkoren;
Dies ist der Schwur, der ihm von mir gegolten:
Auf allen steinigen und rauhen Wegen
Will ich mich unter seine Füße legen,
Von ihm sei meine weiche Brust begangen,
Von mir des Weges Härte aufgefangen.
(S. 21)
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Begegnung

Traf ihn auf der Straße heute Morgen;
"Gott sei mit dir, Schatz, wohin so früh?
Was bedeuten diese bittern Sorgen?
In den Augen dein erblick ich sie."
Früh ging ich, um früh dir zu begegnen.
Hab' nicht neue Sorgen, nur die alten:
Unsre Hände ineinanderfalten
Kann kein Priester und zur Eh' uns segnen.
(S. 21)
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Jüngst um Mitternacht im Bette träumt‘ ich
Einen Traum, den Gott gesegnet hatte;
Du warst bei mir, sprachst: da bin ich, Liebste!
Und ich: sei willkommen, süßer Gatte.
Darauf küßten wir uns fest und lange,
Aller Kummer schwand aus unserm Sinn,
Und die Nacht ging unserm Liebesdrange
Wie ein Hauch, wie Blumendüfte hin.
"Wär' ich dein Kind doch", sprach der liebste Mann,
"Und bärgest du mich unter deinem Herzen,
Ich wäre ganz von dir umschlossen dann,
Nie fühlten wir die bitt'ren Trennungsschmerzen."
Ja, gerne wollt' ich ihn so dicht umschließen,
Ich hätt' ihn heimlich, ganz für mich alleine;
Nicht bis zum jüngsten Tag sollt's mich verdrießen,
Wög' er auch mehr als hundert Kieselsteine.
(S. 21-22)
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Huldigung

Mein Geliebter ist ein mächt'ger König,
Wo er hintritt, stehn die Leut' und gaffen;
Sei der Feind auch noch so unversöhnlich,
Streckt er doch zuletzt vor ihm die Waffen.
Kenn' auch einen ehrlichen Vasallen,
Der gehuldigt ihm mit heil'gein Eid;
Auf die Knie ist er vor ihm gefallen,
Hat ihm Fleisch und Blut und Gut geweiht.
(S. 22)
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Mondfahrt

Schien das süße Mondenlicht
Über Berg und Tal hin wie Opal;
Schläft mein Leib, doch meine Seele spricht:
Nimm mich mit dir, bleicher Strahl!

In dem silberhellen Kahn
Fliegt sie lautlos durch die Nacht dahin,
Wie am Himmel zarte Wolken ziehn,
Wie ein weiß beschwingter Schwan.

Fliegt zu meines Gatten Haus,
Wo er liegt und schläft, das schöne Bild.
"Kommt ein Traum, der meine Sehnsucht stillt?
Wie mein Liebchen sieht er aus."

- Bin kein Traum, bin dein Gemahl;
Bin kein Traum, bin dein geliebtes Weib;
Schmiegen will ich mich an deinen Leib
Und dich küssen hundertmal.
(S. 22-23)
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Gestorben

Liegst du denn da, meine Süße,
Liebliche, kalt wie Schnee?
Hebt euch, ihr marmornen Füße,
Flink wie voreh!

Sprich, wohin bist du gegangen?
Fand ja so oft die Spur,
Trieb mich ein sehnlich Verlangen;
Sag es mir nur!

Wer gab dir ein, mich zu hassen,
Einstiger Glut zum Hohn?
Sieh, wie so ganz ich verlassen,
Seit du geflohn.

Heut' in der Nacht, hört' ich sagen,
Blühten die Veilchen auf;
Laß mich zur Wiese dich tragen,
Ruh dich darauf.

Atme die wonnigen Düfte!
Riefest im Winter ja
Immer die sanfteren Lüfte, -
Nun sind sie da!

Will euch nicht sehen, ihr Blüten,
Schmetterling, Bienenschwarm!
Mög euch der Himmel behüten,
Mich macht er arm.

Rufe, du einzige Stimme!
Nahm dich die Hölle mir,
Trotz ich dem dräuenden Grimme,
Komme zu dir!

Liegt nicht so stille, ihr Hände -
Ach, warum trocknet ihr nicht,
Was ich an Tränen verschwende,
Tröstend mir vom Gesicht!
(S. 26-27)
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Letzter Reichtum

Den teuren Freund mit Gaben zu bedenken,
Wünsch' ich mir Perlen klar und Edelsteine.
Nicht daß ich so ihn zu beglücken meine:
Als Weihrauch nur, wie wir ihn Göttern schenken.
Schon gab ich alles, nichts ist mir geblieben;
Wie ward ich selbst zur kargen Opfergabe!
Jedoch, wie Blumenschmuck dem nackten Grabe,
Entblüht als Zierde mir die Kraft zu lieben.
(S. 32)
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Mein Alles

Ferne, fern dem süßen Vaterlande,
Kann ich nicht das Grab der Mutter schmücken,
Nicht des Vaters; wem soll ich euch pflücken,
Blüh'nde Blumen an des Weges Rande?
Seht, ich bring' euch meinem holden Gatten,
Der mir Vater, Mutter, Heimatland;
Sel'gen gleich auf Paradiesesmatten,
Ruht die Seele mein in seiner Hand.
(S. 33)
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Gebet

Meinen Liebsten zu behüten,
Bitt' ich dich, o Herr der Welt,
Der du aller Stürme Wüten
Ein gewisses Ziel gestellt.
Einen Engel wolle senden,
Daß er immer ihn umschwebe
Und mit seinen Himmelshänden
Über jeden Abgrund hebe.
(S. 33)
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Willst du, daß ich dich als Schwester hege?
Willst du, daß ich als dein Kind dich ehre?
Oder daß ich dich als Mutter pflege?
Oder daß als Weib ich dich begehre?
Deine Freundin auch wär' ich geblieben,
Sklavin, Göttin, alles, wenn nur deine,
Willst du nur dich von mir lassen lieben -
Aber, Lieber, nur von mir alleine!
(S. 41)
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Bedingung

Hör an, willst du nun heißen mein Gemahl,
Die tiefgeheimsten Laute meiner Seele:
Einst war mein Lieben meinem Stolz zur Qual;
Nun sinn' ich nicht mehr, wie ich's dir verhehle,
In dessen Hand ich dieses Herz befehle.

Dein bin ich ganz. Du aber wähne nicht,
Du könntest stehn und dich beglücken lassen,
Und käm' ein neues Glück dir zu Gesicht,
So könntest du behend auch das erfassen
Und eins ums andre frohgemut verprassen.

Mein mußt du ganz sein, schwöre mir den Schwur!
Ich will dein Fühlen all und all dein Denken;
Ich will des kaum gespürten Wehes Spur;
Mir sollst du jedes Schmerzen, jedes Kränken,
Mir jede Lust aus will'gem Herzen schenken.

Ich liebe dich, du keusches Lippenpaar,
Du meiner Küsse reiner Opfergaben
Ersehnter, heil'ger, flammender Altar!
Du durst'ger Quell, der labt, um sich zu laben,
In dir verström' ich, bleib in mir begraben!

Mein sollst du sein; entziehst du jemals mir
Nur einen Blick, nur einen Druck der Hände,
Dann ist's vorbei! Umsonst versuchten wir,
Daß sich der Pfad zum alten Glücke wende -
So schön es war, auf ewig ist's zu Ende.

Mein mußt du ganz sein, du geliebter Mann!
Hast du der Seele tiefsten Ton vernommen?
Wenn dann die deine ihn verstehen kann,
Sag ja! Die Hochzeitfackel ist entglommen,
Und jeder Herzschlag klopft dir laut willkommen!
(S. 41-42)
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Auf der Brücke

Auf jener Brücke standen wir,
Mein Lieb und ich alleine,
In eins geflossen fanden wir
Die erst getrennten Rheine.

Nacht war es, und wir standen still
Auf der verlaßnen Stelle,
Der Träne gleich, die fallen will,
Bewegte sich die Welle.

Die Berge ragten groß und weit
Wie Rächer unsrer Fehle;
Vernichtend lag die Einsamkeit
Auf dein und meiner Seele.
(S. 44-45)
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Schicksal

Niemals nenn' ich deinen Namen,
Teuren Namen meiner Liebe.
Zu des Lebens Festgetriebe
Wir zwei späte Gäste kamen -
Ist kein Platz mehr frei?

Du gehst hier, und ich geh' dorten,
Nimmer gehen wir zusammen;
Unsre Herzen schlagen Flammen,
Aber sagen's nicht in Worten,
Brechen fast entzwei.

Schliefen gern auf einem Kissen,
Säßen gern auf einem Pfühle;
Doch getrennt stehn unsre Stühle,
Und uns schmeckt kein einz'ger Bissen
Von des Lebens Mahl.

Siehst du still nach mir hinüber,
Kann mich ferner keine laben
Von den zugeteilten Gaben;
Dich in Schmerzen hätt' ich lieber -
Keinem ward die Wahl.
(S. 45)
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Verlassen

Daß wir uns einmal nicht mehr lieben könnten,
Begriffen wir's, als des Geschicks Erbarmen
Zuerst vereinigte uns lang Getrennten?

So reich, wie wähnten je wir zu verarmen!
Nun rollt die letzte Perle in den Sand,
Sie gleitet, schlüpft - wie du aus meinen Armen.

Aus jenem Abgrund, den wir Hand in Hand
Betraten, der uns Aufenthalt gewährte,
Dein glücklich leichter Fuß den Aufstieg fand.

Dir heilt die Wunde, die uns zwei verheerte,
Dem frohen Tag entgegen schreitest du,
Und tiefer sinkt dein einsamer Gefährte.

Er hört dem Schall der flücht'gen Schritte zu,
Die, nah erst, eilig, eilig dann verklingen -
Dann kommt die lange, immergleiche Ruh.

Er muß der Vögel denken, wie sie singen,
Und an die Bäche, Berge, grünen Hag,
Und an die Blumen, die das Haupt umschlingen,

Das teure, das an seinem Herzen lag,
Und das ihm fern jetzt wie das Weltenende,
Und fern ihm wie des Lichtes goldner Tag -

Er bricht in Tränen aus und ringt die Hände.
(S. 46)
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Aus dem Spanischen

Welch große Stärke, Mutter,
Die beiden Arme haben,
Die Arme von Alexis,
Dem jungen Knaben!

Denn als auf öden Wegen
Ich gestern bin gegangen,
Da kam er mir entgegen,
Hat mich umfangen.

Gern rächt' ich ohn' Erbarmen,
Daß solches mir geschehen;
Und ach! in seinen Armen
Möcht' ich vergehen!
(S. 47)
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Die Nonne

Sieben Ringe, sieben schwere Ringe
Sind als Fesseln um mein Herz geschweißt,
Und darunter zuckt es, wühlt und reißt,
Daß das Band zerspringe.

Wie ein Netz von Eisen wiegt der Schleier,
Der von meinem Haupte niederwallt.
Ach, ich wollte, ihn zerrisse bald
Der ersehnte Freier.

Tröstet andre mit Verheißungsworten,
Ich erwarte keinen Himmel mehr.
Schein, wie wir, ist auch der Engel Heer
Vor den sel'gen Pforten.

Diese Erde gibt mir Lust und Leiden.
Laßt mich gehn auf meines Schicksals Spur;
Meinen schmerzlich schönen Anteil nur
Will ich an den beiden.

Aus dem Quell der Liebe will ich saugen;
Meinen Durst löscht andre Flut.
Lodern will ich, wie die Flamme tut
In des Freundes Augen.

Meine Sehnsucht mattet sich vergebens,
Doch sie wächst und wächst, eh' daß sie stirbt.
Wachsen soll sie, bis sie jäh erwirbt
Einen Tag des Lebens.

Einen Tag, den letzten und den ersten:
Wenn, von Liebe qualvoll überfüllt,
So mein Herz in seinem Drange schwillt,
Daß die Ringe bersten.
(S. 48-49)
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Liebesreime

I.
So fern und so entlegen
Wie Erd' und Himmel sich
Bist du mir allerwegen,
Und dennoch lieb' ich dich.

Die himmlischen Gewalten
Und ird'schen sagen nein,
Sie senden Schreckgestalten
Und dennoch bist du mein.

Kein Stern, der unserm Bunde
Nicht Untergehen droht -
Wir hängen uns am Munde
Und warten auf den Tod.


II.
Geh' ich Hand in Hand mit dir,
Ist das Stoppelfeld voll Zier,
Und des Hahnes Kikriki
Voll von süßer Melodie.
Seh' ich fern dir Engel schweben,
Schau' ich nichts als trunkne Horden;
Fern dir ist mein ganzes Leben
Nur ein Lied aus Mollakkorden.


III.
So weit wie die Welt geht,
Zu Meer und zu Land,
Keine Hütte, kein Zelt steht,
Für uns beide zu wohnen,
Denn wir sind aus den Zonen
Der Erde verbannt.

Ach mein Bruder, meine Wonne,
Mein Engel, mein Trost,
Laß uns scheiden von der Sonne
Und im Grabdunkel träumen,
Wie in lichteren Räumen
Wir oft uns gekost.


IV.
"Höre auf nun, Liebster, mich zu küssen,
Mich zu küssen mit dem heißen Munde;
Was hilft mir der Kuß von dieser Stunde
In der nächsten, die dich mir entrissen?"
Liebes Herz, nicht darum küsse ich,
Daß es helfe, noch den Mut dir stähle;
Ach, im Kusse klammert sich an dich
Meine arme, trennungsbange Seele.


V.
Nicht der Nachtigall und nicht der Lerche Lied
Kann mich erfreuen, wenn es klingt das Tal entlang;
Hört' ich jemals wieder einen süßen Klang,
Seit das Schicksal mich von meinem Freunde schied?
Wenn er sprach zu mir und meinen Namen rief,
O wie wurde mir dabei die Seele weit;
Wenn ich tot einst bin und lieg' im Grabe tief,
Hör' ich's wohl um Mitternacht zur Sommerzeit.


VI.
Ich hatte dir so viel zu berichten,
Neuigkeiten, allerhand Geschichten;
Aber nun bist du auf einmal so nah
Mit diesem Kinn und diesen Wangen,
Alle Gedanken sind mir vergangen -
Ach Gott, und dein Hals, der weiche, runde,
Nur eine Spanne von meinem Munde,
Den ich so lange, die Lippen zerbeißend, von weitem sah.
(S. 50-52)
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Herbst

Herbst ist es, siehst du die Blätter fallen?
Nicht wie die Welkenden fromm
Wollen wir beide zu Tode wallen -
Küsse mich, komm!

Wolkenjagd oben in fernen Räumen!
Köstlich und wonnevoll
Ist es, die Perlen vom Wein zu schäumen,
Übermutstoll.

Aber noch herrlicher ist's zu schlürfen
Alles in einem Zug!
Größeste Fülle, doch dem Bedürfen
Nimmer genug!

Laß uns das weinleere Glas zerschmettern,
Komm von dem Gipfel ins Grab
Gleich unverletzlichen ew'gen Göttern
Lächelnd hinab!
(S. 55)
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Schicksal

Winter gelagert auf sterbenden Bäumen.
Wie eilt der Wagen des Jahres hinab!
Flehte die Welt ihn auch an zu versäumen,
Der Unerbittliche stürzt sich ins Grab.

Frühlinge rauschten, seitdem ich dich liebe,
Blühende Sommer wie Stürme vorbei,
Und in der flüchtigen Zeiten Getriebe
Auch meiner Jugend nie kehrender Mai.

Seit ich dich liebe, wie oft an der Mauer
Reifte die herbstliche Sonne den Wein,
Purpurn verdeckend die nahende Trauer -
Aber noch immer bist du nicht mein!

Kinder des Unglücks enflohn wir dem Tage,
Graben mit rastlosen Fingern nach Gold;
Ach, aber nimmer erhörend die Klage
Uns überm Haupte das Leben verrollt.

Müssen uns lieben und müssen begehren,
Schmachten nach Glück in unendlichem Weh;
Und eh' den winkenden Becher wir leeren,
Greift uns der Tod in die Locke voll Schnee.
(S. 56)
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Dichterliebe

Wär' ich Meister Rafael,
Malt' ich dich, wie er Madonnen,
Kämest nie mir vom Gestell,
Wärest immer mein Modell,
Aller Lieb' und Schönheit Bronnen.

Wär' ich Meister Phidias,
Formt' ich deine holden Glieder.
Käm' Apoll auch vom Parnaß
Voller Neid in mein Gelaß,
Dich nur schüf' ich immer wieder.

Wär' ich Meister Zebaoth,
Macht' ich dich zum Lieblingsengel;
Morgenrot und Abendrot
Dienten dir auf mein Gebot,
Und das Milchstraßengeschlängel.

Da ich nur ein Dichter bin,
Noch dazu ein unverlegter,
Droht Verlust dir statt Gewinn,
Tritt ein Bettler vor dich hin,
Und dein Herz von dannen trägt.
(S. 56-57)
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Versuchung

Du bist in meiner Hand; ein Wort von mir
Erheitert oder dunkelt deine Stirne.
Schicksale könnt' ich fügen, wie die Firne
Lawinen braut, zermalmend dort und hier.

Gäb's einen Gott, der tief verborgen schwebt,
Unendlichkeiten fähig zu umspannen,
Ihn müßt' es, wähn' ich, einmal übermannen,
Der stolzen Welt zu zeigen, daß er lebt:

Den Sonnenball, der Welten um sich dreht.
Zu stürzen jäh aus unsichtbaren Händen
Und zu den Sternen, die entsetzt verenden,
Der Führerin beraubt, zu sagen: Seht!
(S. 57)
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Liebesreime

VII.
Daß ich dich liebe,
Erzürnt Gott den Herrn;
Doch ach, dein Liebchen,
Wär' ich so gern.

Wüßten die Engel,
Was du mir bist,
Würden sie flehen
Für mich zum Herrn Christ.

Wenn ich nun tot bin,
Du weinst nicht um mich;
Im Paradiese
Da wart' ich auf dich.


VIII.
Glaubt der Baum im Monat Mai,
Wenn die Blätter ihn umprangen,
Daß das Kleid ihm umgehangen
Nur für eine Spanne sei?
Ewig meint er es zu tragen,
So wie deine Liebe ich -
Wenn der Herbst vorüberstrich,
Steht er nackt in Wintertagen.


IX.
Der Teufel soll die Sehnsucht holen!
Ich lieg' in einem Bett von Nesseln,
Auf einem Rost von glühnden Kohlen,
In einem Netz von ehrnen Fesseln!
Das Auge sehnt sich aus der Höhle,
Der Busen sehnt sich aus dem Mieder;
Ich wollt', es sehnte auch die Seele
Sich aus dem Leib und käm' nicht wieder!
(S. 60-61)
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Sehnsucht

Um bei dir zu sein,
Trüg' ich Not und Fährde,
Ließ' ich Freund und Haus
Und die Fülle der Erde.

Mich verlangt nach dir,
Wie die Flut nach dem Strande,
Wie die Schwalbe im Herbst
Nach dem südlichen Lande.

Wie den Alpsohn heim,
Wenn er denkt, Nachts alleine,
An die Berge voll Schnee
Im Mondenscheine.
(S. 61)
______



Liebesreime

X.
Träumte jüngst von einem bittren Sterben:
Ich war tot und kam zum Paradiese;
Weißbeschwingte sel'ge Himmelserben
Tanzten Reigen auf smaragdner Wiese;
Engel brachten mir ein weiß Gewand,
Warf ich's fort mit wasserheller Hand:
Ist mir der Geliebte fern und weit,
Trägt die Seele mein ein schwarzes Kleid.


XI.
Sprach zu mir der Jüngling: Liebe mich!
Aber ich: Mit nichten, guter Knabe;
Nimmer bin ich eine Braut für dich,
Weil ich einen andern lieber habe.
Sprach der Jüngling: So vergesse jenen!
Aber ich: Wie kann ich den vergessen,
Der, als ich geboren ward mit Tränen,
Schon in meinem Herzen tief gesessen.


XII.
Mittag, Abend, eh ich einen Bissen aß,
Kommt das Unglück, sitzt mit mir zu Tisch,
Bricht von meinem Brot und trinkt aus meinem Glas,
Ißt von meinem Teller Fleisch und Fisch.
Lieber wollt' ich, daß der Liebste käme
Und von meinem Glas und Teller nähme;
Wenn er einmal wieder traulich bei mir wär',
Schmeckte mir der Wein wohl nicht so bitter mehr.


XIII.
Als jüngst mein Liebling kam des Wegs daher,
Sah ich die Häuser sich vor ihm verneigen;
Das Pflaster unter ihm, so dick und schwer,
Schien wunderbar zu schwellen und zu steigen.
Du liebes, schönes, blasses Angesicht,
Zeig du dich ferner auf der Straße nicht,
Am Morgen nicht und nicht beim Abendscheine,
Denn es verlieben sich in dich die Steine.


XIV.
Daß ich dich, o Liebe mein,
Keuschen Leibes Elfenbein,
Rosig überm warmen Blut,
Küssen darf als hehrstes Gut,
Dünkt mich oft ein Traum der Nacht,
Den in fernen Fabelreichen,
Auf der Erde ohnegleichen,
Mir ein Engel ausgedacht.


XV.
Jüngst sprach Gott mit gutgelaunten Mienen:
Schönheit, Klugheit und noch andern Reiz
Will ich auf dich häufen ohne Geiz,
Daß du dir den Liebsten magst verdienen.
Doch betrübt sprach ich: Umsonst, o Herr,
Schenktest du den ganzen Himmel leer;
Seine Liebe einzig kann mich reich,
Stolz und glücklich machen und ihm gleich.
(S. 66-67)
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Alpenstrassen

Die hohen Straßen der Berge
Seh' ich von dem Fenster hier,
Wo Römer einstens gegangen
Mit blinkendem Schilderprangen
Und nachts die uralten Zwerge
Und das flinke Murmeltier.

Doch eines Weges gedenk' ich,
Einförmig und ohne Zier,
Den von verkrüppelten Bäumen
Zwei magere Reihn umsäumen,
Kirschbäume alternd und kränklich,
Und ich ging ihn einst mit dir.

Ging ihn mit lachendem Munde
Und ging ihn an deiner Hand;
Er trug die Spur unsrer Füße,
Ich send' ihm viel tausend Grüße -
O um den Weg und die Stunde
In dem fernen Vaterland!
(S. 68)
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Ewige Liebe

Nicht im Paradiese,
Nicht in den Gefilden
Ew'ger Seligkeiten,
Wenn dahin mit milden
Worten Gott mich wiese,
Würd' ich freudig schreiten,
Wenn ich liegen könnte
Dir im Grab zur Seite,
Wo mich von dir trennte
Keines Fingers Breite.
Wenn auch von dir schwände
Alles Fleisch, das warme,
Knochen deine Hände,
Knochen deine Arme,
Wärst mir Glück und Frieden,
Wenn uns nur beschieden
Alle hundert Jahre
Eine Stunde käme,
Die den Schlaf der Bahre
Von uns beiden nähme,
Daß wir uns erkennten
Trotz des Todes Walten
Und in unsrer alten
Liebe jäh entbrennten.
(S. 69)
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Liebesreime

XVI.
Ich darf des Freundes nicht zu viel gedenken,
Der meines Denkens mächtiger Magnet,
Zu bitter möcht' es meine Seele kränken,
Daß zwischen uns so mancher Markstein steht.
Macht' ich mich auf, dem fernen Lande zu,
Zerreißen würden meine stärksten Schuh;
Ich wollte gern auf nackten Sohlen gehn,
Könnt' ich nur den Geliebten wiedersehn.


XVII.
Den grauen Berg, den alten Mann
Seh' ich mit stillem Denken an,
Wie oft schon Wolken, Regen, Wind
An ihm vorbeigefahren sind,
Wie oft ihn schon der Schnee gekühlt,
Wie oft getröstet ihn die Sonne -
So hab' ich wechselnd auch gefühlt
Im tiefsten Herzen Leid und Wonne.


XVIII.
Ach Lieb, wenn du kommst und wär's auch zur Nacht,
So weckt mich mein Herz, das erkennt deinen Ton,
Geh nur in den Garten, und geh du nur sacht,
Du brauchst nicht zu rufen, ich höre dich schon.
Auf tu' ich mein Fenster und schaue dich an;
Sag, bist du ein Stern, den der Himmel verlor?
Sag, bist du ein Cherub vom himmlischen Chor?
O lüge mir nicht, oder bist du mein Mann?


XIX.
O du Schicksal, das vereint und scheidet,
Traurigsein ist mir durchaus verleidet!
Fröhlichsein ist für des Glückes Kinder,
Traurigsein ist für die armen Sünder!
Fröhlichsein für die mein Lieb nicht kennen,
Traurigsein für die in Hölle brennen!
Fröhlichsein für die im Himmel weiden,
Traurigsein für die mein Liebchen meiden!


XX.
Die Wellen meiner Tage fließen
Schwarz wie Gewitter mir vorbei,
Doch manchmal aus den dunklen sprießen
Wie Blumen aus dem Grab im Mai
Zerpflückte Blätter, liebe Zeichen,
Die aus der Ferne du gesandt;
Es ist, als könntst du mir die Hand
Zu flücht'gem Kuß herüberreichen.
(S. 71-73)
_____



Erinnerung

Von vieler Vöglein Singen
Bin ich aufgewacht;
An meines Vaters Garten
Hab' ich da gedacht,
Wo ich bei den Syringen
Manche Sommernacht,
Den Liebsten zu erwarten,
Heimlich zugebracht.
(S. 76)
_____



Mondnacht

Mondenschein hat sich ergossen
Über diese stille Welt.
Wär' mir heute zum Genossen
Doch ein lieber Freund gesellt!
Jenen Berg möcht' ich besteigen,
Wo sich Tann an Tanne drängt,
Schauen, ob in ihren Zweigen
Mondlicht oder Silber hängt.
(S. 76)
_____



Vorfrühling

I.
Verdrießlich schmilzt der letzte Schnee,
Der Erde braunes Antlitz seh' ich;
Gebannt mit feuchten Augen steh' ich,
Das altvertraute anzuschauen.
Gesendet vom befreiten See
Die Winde atm' ich froh, die lauen,
Und fühle sacht vom Herzen tauen
Ein heimlich namenloses Weh.

II.
Horch, die jungen Keime klopfen
An die feuchte Erdenmauer,
Milde streicht in dicken Tropfen
Durch die Luft ein Frühlingsschauer.
Langsam wandernd laß ich's gern
Mir auf Haar und Wangen regnen -
Wär' der Freund nicht allzufern,
Mein' ich, müßt' er mir begegnen.
(S. 76-77)
_____



Liebeslied

Säng' ein Liedchen
Gern vom Liebchen,
Ihm zum Preis und aller Welt zur Lust;
Doch kein Reim stimmt,
Wie sein Herz klingt,
Wenn es feurig klopft an meine Brust!

Und kein Wort weiß,
Wie mein Puls schleicht,
Wenn die Seele fern von ihm sich kränkt;
Und kein Takt geht,
Wie mein Herz schlägt,
Wenn es an den teuren Freund gedenkt.
(S. 78)
_____



Verhängnis

Am Himmel ist kein Weg
Zu wandeln für die Sterne,
Es überbrückt kein Steg
Die grenzenlose Ferne.

Gewaltig hingebannt
In ihre ew'gen Kreise,
Des Zieles unbekannt,
Vollenden sie die Reise.

So hat mich das Geschick
Die dunkle Bahn getrieben,
Ich frage nicht nach Glück,
Ich bin und muß dich lieben.
(S. 78-79)
_____



Der Nebenbuhler

In des Glückes Wonnemonden,
Als wir beide Hand in Hand noch
Durch das frohe Leben sprangen,
Hast du oft zu mir gesprochen,
Wenn dein Haupt an meiner Brust lag:
"Könnt' ich doch auf diesem Kissen,
Diesem weichen, vielgeliebten,
Immer wann ich wollte ruhen.
Doch mir ahnt, mich wird das Schicksal
Weit von dieser Stätte bannen,
Nichts mir lassend als im Auge
Wasser und im Herzen Heimweh.
Aber kühlend, wie der Westwind
Weht an heißen Sommertagen,
Wird dein Schwur mein Leid erquicken,
Den du oftmals mir geschworen:
Nie an dieser teuren Stätte,
Wo dein Liebling selig ruhte,
Einen andren Freund zu hegen,
Denn ich müßte daran sterben."
Oftmals hab ich's dir geschworen,
Wie ein Wiegenlied, ein altes,
Das man nimmer satt zu hören
Wird, dir's heimlich zugeflüstert.
Sieh, was hab' ich nun begangen?
Mir am Busen liegt ein Liebchen,
Schwarz sein Köpfchen wie das deine,
Du mein fernes, doch ein andres,
Schmiegt und drängt sich immer dichter,
Und mit glänzend schönen Augen
Schaut es forschend in die meinen,
Und mir scheint, es macht nicht Miene,
Von dem Platze je zu weichen.
Ach, was sagt nun mein Geliebter?
"Deinen Schwur hast du gebrochen,
Mir, der deiner Seele traute,
Wie ein Kind traut seinem Engel,
Wie ein Moslim seinem Sterne.
Wandle du nun deine Bahnen;
Nicht bei Nacht und nicht bei Tage
Wirst du deinen Gatten treffen,
Dem du Leib und Seele teiltest."
Höre auf, du Vielgeliebter,
Höre auf mir so zu fluchen.
Nimmer hab' ich dich verraten,
Nicht im Traum und nicht im Wachen;
Liebe hielt ich dir und Treue,
Will sie immerdar dir halten.
Der an meinem Busen schlummert
Ist ein kleines junges Kätzchen,
Schwarz von Pelz, und seine Augen
Grün und glänzend wie Smaragden.
Fühl ich's warm an meinem Halse,
Schließ ich oftmals meine Augen.
Träume von den Wonnemonden,
Wo dein Haupt an meiner Brust lag,
Und wir beide Hand in Hand noch
Wie zwei gute Kameraden
Über Berg und Tal des Lebens
Wanderten bei Sturm und Sonne.
(S. 81-83)
_____



Liebesreime

XXI.
Tief ist der Abgrund, der uns trennt,
Du darfst den kühnen Sprung nicht wagen;
Kein einzig Wort darf ich dir sagen,
Wie sehr mein Herz nach deinem brennt.
Nur neige dich ein wenig noch,
Dann schau' ich deine Augen doch,
Ob sie auch braun noch sind wie einst,
Seit du so viele Tränen weinst.


XXII.
Wollt' ich mein Liebchen ganz und gar besingen,
Nicht Federn hätten hundert Gänseschwingen,
Nicht tausend Tintenfässer so viel Saft,
In Schrift zu setzen meine Leidenschaft.
Was weiß die Menge, welcher nur beschert ist,
Mit stumpfem Laienblick ihn anzuschauen,
Wie viel Gesänge, reich an Strophen, wert ist,
Das kleinste Härlein seiner Augenbrauen!


XXIII.
Wär' ich nur ein klarer Wasserquell,
Der geschmeidig springt von Stein zu Stein,
Daß mein allertrautester Gesell
Könnte ganz von mir umschlungen sein!
Was sind denn zwei Arme, ob auch weiß?
Was sind denn zwei Lippen, ob auch heiß?
Karg und wenig dünken beide mich
Für zwei Liebende, wie er und ich.


XXIV.
Fluch den Augen, die mein Liebchen schauen!.
Fluch den Händen, die es fühlen können!
Fluch den Straßen, Wäldern, Fluren, Auen,
Denen ich die liebe Näh' muß gönnen!
Wär' ich doch der Hauch in seinem Munde!
Wär' ich doch der Stein, auf dem er schreitet!
Wär' sein Blut ich, das in steter Stunde
Zu dem vielgeliebten Herzen gleitet!


XXV.
Lebe wohl, du meine weiße Taube.
Lebe wohl, du meine teure Seele!
Sage, welches ist dein fester Glaube?
Welches deine Wünsche und Befehle?
"Einen Glauben hab' ich: deine Treue;
Einen Wunsch: dich wieder anzuschauen;
Und Befehle: was auch je uns dräue,
Meiner ew'gen Liebe zu vertrauen."


XXVI.
Ist es wahr, kannst du mir Treue brechen,
Will ich nie mehr sehn dich, nie mehr sprechen.
Warst mir wie ein Falke lieb geworden;
Einen Geier möcht' ich dich ermorden!
Pflegte dich als Palmenbaum im Haine;
Schierling reiß' ich dich heraus und weine!
Trug dich wie ein Kindlein unterm Herzen;
Einen Dorn reiß' ich dich aus mit Schmerzen!
(S. 84-86)
_____



Abschied

Gib mir die Hand zum Scheiden,
Nicht deinen Mund mir gib,
Behalte mich wie ich dich lieb,
Und Gott sei mit uns beiden.

Laß uns, was kommt, bestehen
Im künft'gen Tageslicht,
Und forsche in den Sternen nicht,
Ob wir uns wiedersehen.
(S. 96)
_____



Mitternacht

Komm am Morgen nicht,
Lieb, zu meinem Grabe,
Komm auf dunklen Wegen
Bei des Mondes Dämmerlicht.

Wenn der Glocken Chor
Mitternacht verkündet,
Steig' ich aus der Erde
Zu der holden Luft empor.

Weiß im Sterbekleid
Sitz' ich auf dem Grabe,
Achte auf die Sterne
Und den stillen Gang der Zeit.

Komm und sei nicht bang!
Kannst du auch noch küssen?
Schlafend nicht vergaß ich's
Manchen dunklen Winter lang!

Küß mich fest und lang!
Ach, im Osten hör' ich
Schon der Morgensonne
Wonnevollen Frühgesang.

Warst nun wieder mein!
Geh ins süße Leben! -
In der schwarzen Tiefe
Schlaf' ich ungern wieder ein.
(S. 99-100)
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Mein Los

Bangt auch dem Schmetterlinge
Vor frühem Tod? Der Liebe hingegeben,
Sucht er auf bunter Schwinge,
Bis ihm im Glück verströmt das kurze Leben.
Ihm gleichend folg' ich dir,
O liebster Freund, mag es das Leben gelten!
Dich lieben gab Gott mir
Als meinen Ton in dem Gesang der Welten.
(S. 131)
_____



Vorbei

Wie so lang ist die Nacht, und der Mond wie so blaß,
Und erloschen der Sterne Geflimmer.
Wie erwachte die Lieb' und entrann mir der Haß
Um den Freund von voreinst, überwachsen von Gras,
Den ich nimmermehr schaue und nimmer.

Noch gedenk' ich der Zeit, da ein Druck seiner Hand
Mir die innerste Seele durchdrungen,
Da ich nichts auf der Erde Geliebteres fand.
Doch die Liebe verwehte im Sturme wie Sand,
Und der Haß ist dem Lieben entsprungen.

An sein Grab in der Ferne gemahnt es mich jetzt:
Nimmer schaut' ich die einsame Stätte.
War auch ich es, der ihn dahin gehetzt,
War auch ich es, der ihn zu Tod verletzt,
Nimmer ging ich zu suchen sein Bette.

Ob es jetzt, wie das meine, der Mond bescheint?
Durch die wallenden, flüsternden Halme
Wohl die nächtliche Stimme des Windes weint,
Und mein lauschendes Ohr es zu hören vermeint
Mit dem Rascheln der dorrenden Palme.

Was da über dir sich noch müht und wacht,
Kann den Schlummer dir nicht mehr bewegen;
Aber ich habe schlaflos so manche Nacht
Mit Gedanken, den brennenden, zugebracht,
Bis zum grauenden Morgen gelegen.
(S. 131-132)
_____



Eros

Vom Sturm getragen zieht der Frühling ein,
Er zürnt der Flur, die lang ihm widerstanden;
In der gepeitschten Wellen stürmisch Branden
Stöhnt und frohlockt der wetterschwangre Hain.

Noch flieht die Erde trotzig dem Verein,
Doch ahnt sie schon die Freuden, die ihr schwanden,
Und zu den alten, den geliebten Banden
Drängt sie tief innen aus des Todes Schrein.

So, Eros, zogest du einst in mein Herz.
Auf Wolken donnerte dein Siegeswagen,
Und willig trug ich deinen großen Schmerz.

Ich wähnte, wie nach stürmevollem März
Die Fluren wieder bunte Blumen tragen,
So würd' auch mir dereinst ein Maitag tagen.
(S. 137-138)
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Wiedersehn

Aus der Trennung Schale
Trank ich tropfenweis den bittren Wein;
Ganz in einem Male
Soll das Wiedersehn genossen sein.

Gib mir beide Hände!
Aus dem nie erschöpften Überfluß
Unsrer Huld verschwende
Alle Zärtlichkeit in einem Kuß!

Hauche deine Seele
Tief in meines Busens Grund hinein;
Nicht im Wort erzähle:
Was du denkst, wird so im Fühlen mein.
(S. 147)
_____



Allein

In der Sommernacht heimliches Rauschen
Horch' ich träumend hinaus.
Fern bist du - warum muß ich lauschen?
Du kommst nimmer zu Haus.
Überm See her aus schaukelnden Böten
Tönt Musik und Gesang;
Antwort schluchzt auf das Weinen der Flöten
Echo sehnend und bang.
(S. 147)
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Zuversicht

O Jugend meiner Sinne,
O Jugend meiner Jahre!
Mir glückt, was ich beginne;
Mich freut, was ich gewahre!

Ich will in meine Hände
Des Schicksals Führung nehmen;
Ich denke nicht ans Ende,
Kein Fürchten soll mich lähmen.

Und naht der Tod am Schlusse,
Will ich ihn selber werben
Und, wie der Hauch im Kusse,
Im Schoß der Liebe sterben.
(S. 147-148)
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Alphorn

Das Alphorn klingt am Bergeshang,
Wo die Lawinen dröhnen,
Und immer meinen Weg entlang
Folgt mir das süße Tönen.
Mir ist, als ob das ferne Lied
Mein totes Liebchen bliese:
Und könnt' ich gehn, wohin mich's zieht,
Käm' ich zum Paradiese.
(S. 148)
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Liebesreime

XXVII.
Schau, was schleppen die uralten Zwerge?
"Schleppen wunderbare Funkelsteine,
Die wir gruben aus dem tiefsten Berge;
Diene uns ein Jahr, so sind sie deine."
Will nicht, will nicht eure Funkelsteine,
Will Smaragden nicht und nicht Rubinen
Wär' ein einzig Menschenherz das meine,
Wollt, ich all mein Lebtag darum dienen!


XXVIII.
Ein klein Vöglein wär' ich gern,
Schwirrt' um meinen guten Herrn.
Honig hat er auf den Lippen,
Und ich dürfte davon nippen;
Wann ich wollte, könnt' ich's wagen,
Niemals würd' er mich verjagen.
Und zum Dank pfiff' ich ihm Lieder
Stolz von seiner Schulter nieder.
Käm' der liebe Mondenschein,
Schlief' in seiner Hand ich ein -
Wär' ich nur sein Vöglein klein!


XXIX.
Ich werde längst gestorben in dunkler Erde liegen,
Wenn du im Licht noch einmal dem Glücke wirst begegnen.
Geliebte Arme werden sich sorgend um dich schmiegen,
Und deine Lippen werden des Schicksals Walten segnen.
In Sommernächten gehst du vorbei an meinem Grabe
Und weißt nicht, daß ich nah bin und dich gerufen habe;
Ein fernes Wetterleuchten wird durch den Himmel blitzen,
Du wirst in dunklen Träumen auf meinem Hügel sitzen.


XXX.
Einen schönen Tod bin ich gestorben,
Bin in einem tiefen Meer ertrunken;
Dich, o Lieb, hab ich zum Grab erworben,
Drin mein eigner Wille ganz versunken.
Wähnen könnt' ich, daß ich Eva wäre,
Jüngst von Gott geschöpft aus Nacht und Leere:
Sieh den Leib, dem Wunsch und Kraft noch fehlen -
Komm, um die Geliebte zu beseelen!


XXXI.
Wie fern der Welt Getümmel!
Der Wildbach rauscht vorbei;
Bedrohlich tönt vom Himmel
Des Falken stolzer Schrei.
Der Sturm braust wilde Weise,
Wie er vorüberzieht -
Ich singe scheu und leise
Mein kleines Liebeslied.


XXXII.
Laß mich dein teures Haupt, o meine Liebe,
Mit diesem Kranz von goldnen Trauben krönen.
Was sollen uns die zarten Frühlingstriebe,
Das flücht'ge Bild vom Untergang des Schönen?
Die Blätter wehn, der Tod durchsaust die Bäume,
Indes die Frucht am Aste reift und schwillt.
Gedenkst du unsrer ersten Liebesträume?
Sie sind dahin - ihr Hoffen ist erfüllt!
(S. 150-152)
_____



Trost fürs Alter

Komm, daß ich dein teures Haupt
Kränzen mag mit roten Eichen;
Schön, o Liebling, dich umlaubt
Dieses Herbstesabschiedszeichen.
Veilchen auch, obgleich bescheiden,
Mehr noch stehn dir Rosen an:
Wie wird dich, geliebter Mann,
Erst der Schnee des Alters kleiden.
(S. 156)
_____



Wiedersehn

Soll ich dich wiedersehn
Nach langer Zeit,
Möcht' ich dir gerne weit
Entgegengehn.

Doch beben meine Knie,
Ich kann nicht fort;
Ich weiß kein Grußeswort,
So war mir nie.

Ich steh' am Wegesrand,
Die Nacht bricht an;
Ein Wandrer dann und wann
Zieht durch das Land.

Sie sind es alle nicht,
Die Zeit geht hin -
Es zuckt mir durch den Sinn
Wie Wetterlicht:

Du lägest irgendwo
Im Grab verscharrt,
Und Stund' auf Stunde harrt'
Ich einsam so.

Die totenstille Nacht
Umgibt mich ganz,
Der Sterne ferner Glanz
Hat sich entfacht.

Und wenn sie untergehn
Im Morgenschein,
Muß ich dem Tag allein
Ins Auge sehn!

Du liegst in tiefer Ruh,
Nahmst mich nicht mit -
O Himmel, welch ein Schritt?
Ja, das bist du!

Du dunkle Nachtgestalt,
Doch so vertraut!
Wie wild dein Herz und laut
An meines wallt!

Das schluchzt, bevor sich's freut,
Noch nach in mir.
Gestorben wär' ich hier,
Kamst du nicht heut!
(S. 162-163)
_____



Liebesreime

XXXIII.
Mit meinem Liebchen Hand in Hand
Durchwandr' ich Tal und Berg und Land,
Voll Ruhe, nicht zu sagen.
O wäre in der ganzen Welt
Nur für ein Stündlein eingestellt
Das Morden und das Jagen,
Daß wir nicht müßten ganz allein
So friedenvoll und wunschlos sein.


XXXIV.
Geh zur Hölle, arge Fee Morgane,
Nur aus Dunst und bösem Trug gebraut!
Diese Nacht im dumpfen Fieberwahne
Hab ich meinen Gatten angeschaut;
Blaß von Angesicht und feucht von Tränen,
In den Augen schlummerlosen Brand,
Streckt er krank und einsam, voller Sehnen,
In die leere Ferne seine Hand.


XXXV.
Sommernacht; des Vollmonds blanke Scheibe
Glänzt dem Lager unsrer Liebe Tag,
Daß ich an dem schlafgegoß'nen Leibe
Meines Gatten mich erfreuen mag.
Der so sel'ges Schauen Götterflüche
Einst mit Irrsal, Kampf und Pein gelohnt -
Glücklicher bin ich als jene Psyche:
Eros zürnt nicht, leuchte, guter Mond!


XXXVI.
Sei willkommen, langentbehrter
Lieber, schöner, schlanker Leib!
Deinem eifersücht'gen Weib
Scheinst du weißer und verklärter.
Zehrten dich der Trennung Qualen,
Oder meinem Bett entflohn,
Schliefst du in den bleichen Strahlen
Cynthias wie Endymion?
(S. 163-164)
_____



Der letzte Abend

Sprich von der alten Zeit,
Von Tod und Ewigkeit -
Sprich nur vom Abschiednehmen nicht.
Der Mond kommt und verbleicht,
Die Nacht bricht an und weicht,
Und aufgehn muß des Tages Licht.

Noch halt' ich deine Hand,
Dein Stab lehnt an der Wand,
Bei meinem liegt dein Hut im Fach.
Bald, bald bin ich allein
Und starr' in blinder Pein
Dem Staub um deinen Wagen nach.

Was soll mir noch dein Kuß,
Da ich dich lassen muß?
Ich fühl' ihn durch die Schmerzen kaum.
O liebstes Angesicht,
An meiner Brust so dicht,
Und morgen bist du nur ein Traum!

Wär' es nur erst vorbei!
Wär' meine Seele frei
Von dieser Angst, die mich zerbricht.
Sieh nicht so traurig aus,
Sonst schreit's mein Herz heraus:
Verlaß mich nicht, verlaß mich nicht!
(S. 167)
_____



Die Nacht

In langen Gewandes Falten
Schwankt traurig die Nacht vom Berge;
Und aus den verborgenen Spalten
Kriecht heimlich die Schar der Zwerge
Und leuchtet ihr mit Karfunkeln.
Sie sucht ihren Spießgesellen
Und gießt in den Wald, den dunkeln,
Viel silberne Tränenwellen.
Ich wandre auf finstren Wegen,
Ich fürchte die öde Kammer;
Wo gestern mein Glück gelegen,
Da kauert und stöhnt der Jammer.
Mir graut vor dem Kameraden,
Ich irre in Träumen lieber
Auf einsamen Waldespfaden.
Da geht mir die Nacht vorüber,
Sie sucht und sie ringt die Hände,
Die glänzen wie Mondenschimmer.
Längst starb er; sie sucht ohn' Ende
Und findet ihn nimmer, nimmer.
(S. 168)
_____



Verborgne Schmerzen

Ich weiß von einem jungen Baum,
Der euch erfreut mit heitrer Blüte
Und immer frischen Kleides Saum.
Doch nachts in eines Sturms Gewüte
Sah ich ihn kämpfen um sein Leben,
Und, hielt er sich auch stramm und gut,
Am zarten Stamm herniederbeben
Aus Wunden tief sein dunkles Blut.
(S. 168)
_____



Verstossen

Ich weiß, daß ich sterben muß
An deinem Lieben;
Du hast mich ins Elend getrieben
Mit deinem Kuß.

Ich irre verbannt, allein
Und ohne Frieden,
Seit ich von der Welt mich geschieden,
Um dein zu sein.

Nie werd' ich mein Vaterland,
Das süße, schauen;
Nie wirst du den Herd für uns bauen
Mit froher Hand.

Oft streckst du die Arme aus,
Wenn ich dir fehle.
So fern bin ich; nur meine Seele
Irrt um dein Haus.
(S. 169)
_____



Vergangenes Glück

I.
Wo die Sonne goldne Stege
Schmiedete, für uns zu gehn,
Über Klippen, über Spalten
Breitet die verwaschnen, alten
Nebeltücher aus der Föhn,
Hängt die Tannen zu am Wege.
Wollte doch ein Blitz verderben
Diese Hand, die deine hielt,
Diesen Mund, der deinen küßte!
Daß die Saite springen müßte,
Die den Ton des Glücks gespielt!
Wär' doch Sehnsucht Tod, statt Sterben!


II.
Was ist Erde und Himmel mir mit allen Herrlichkeiten,
Wenn mich einzig nach dir verlangen muß zu allen Zeiten!
Ich will deiner vergessen, deiner nicht nicht denken müssen,
Will erwürgen die Träume, die so schwer von deinen Küssen!
Will mein Haar lassen flattern frei, gelöst in langen Strähnen,
Mag die Sonne es trocknen, das noch feucht von deinen Tränen.
Käm' ein Sturm, daß er deine Seufzer von mir weichen heiße,
Und die süßen, süßen Worte all' aus meinem Busen reiße,
Die wir einst, Hand in Hand, das Herz so voll von Liebe, tauschten,
Als die glücklichen Tage hin zum Meer des Friedens rauschten.
O du Strom meiner Lust, wie mußt du nun durch Wüsten schleichen!
Nimmer kannst du das Meer, das weite, schöne, je erreichen.
Wär' der Schmerz und das Glück und alles nur ein Traum gewesen,
Nur ein Märchen aus alter Zeit, das ich als Kind gelesen!
Was ist Erde und Himmel mir und alle goldnen Sterne,
Wenn ich deiner gedenken muß, der mir nun ewig ferne!
(S. 173-174)
_____



Geheimnis

Augen meiner Liebe, schöner See,
Schaut mich an, damit ich euch ergründe,
Daß mein Herz hinab als Taucher geh',
Suche, wo sich euer Glanz entzünde.
Schimmerst, Seele, du gleich einer bunten
Muschel? Glühst du als versenkter Hort?
Bist du eine Perle, die dort unten
Aufwärts singt ihr farbig Strahlenwort?
(S. 174-175)
_____



Bestimmung

Was ist in deiner Seele,
Was ist in meiner Brust,
Daß ich mich dir befehle,
Daß du mich lieben mußt?
Vom Haus, wo ich gewohnt
Und zart behütet bin,
Ziehst du mich, wie der Mond,
Nachtwandelnd zu dir hin.
(S. 175)
_____



Liebesreime

XXXVII.
Mit dem Klang von Sommerfesten
Schwebt er über dunkle Hügel.
Feuchter Wind, kommst du von Westen?
Regenschwer sind deine Flügel.
"Feucht von Tränen, nicht von Regen;
Weilte nicht am dunst'gen See,
Weilte wo dein Lieb gelegen
Und dir nachgeweint sein Weh."


XXXVIII.
Willst du, daß ich dich als Schwester hege?
Willst du, daß ich als dein Kind dich ehre?
Oder daß ich dich als Mutter pflege?
Oder daß als Weib ich dich begehre?
Deine Freundin auch wär' ich geblieben,
Sklavin, Göttin, alles, wenn nur deine,
Willst du nur dich von mir lassen lieben -
Aber, Lieber, nur von mir alleine!
(S. 179-180)
_____



Märchen

Sprach die alte Meeresschlange,
Aus dem feuchten Schlamm sich windend:
Habe wieder ein Jahrhundert
Ignoriert, indem ich schlief.
Während ringsumher das Leben
Wichtigtuerisch sich spreizte,
Dampfte, pfiff und schaufelte,
Schlief ich kühl und unbehelligt;
Schlaf ist vornehm.

Was hast du indes getrieben,
Stolzer Wiking, edler Jarl,
Kamerade meiner Urzeit,
Sturmverschlagener Genosse?
Sieh, du sitzest träumerisch
In der Laube von Korallen,
Spielst mit perlenfarbnen Händen
Auf der goldbespannten Harfe
Den unsterblichen Gesang
Deiner Liebe.

Längst zerfiel zu Knochenerde
Vieler Sterblichen Gerippe,
Die der tolle Sturmwind einst
Mir herabwarf zum Vergnügen.
Doch ihr Lieben war wie Glas,
War ein Spielzeug wie sie selber,
Die zermalmt von meinen Küssen
Bleichten, schauerten und starben.

Du allein, mein edler Wiking,
Fürchtest nicht die starke Glut
Deiner alten Meeresschlange,
Die sich, schimmernd und geschmeidig,
Fromm um deine Füße ringelt,
Ihrer Augen goldnen Becher
Ganz von dir erfüllt.

Wenn wir beiden uns umarmen,
So erglüht das träge Meer,
Kocht, daß seine grünen Mähnen
Ihren Schaum gen Himmel spritzen,
Und des schweren Kauffahrteischiffs
Hölzernes Gebein zerbricht,
Ans verborgne Riff geworfen.
(S. 180-181)
_____



Die Walküre

Ich hasse deiner lieben Lippen Rot
Und deines Herzens siegesfrohes Schlagen;
Mein Schild will meinem Liebling sich versagen:
Ich, die Walküre, werbe dir den Tod!

Mich scheidet Wodans ewiges Gebot
Von Gattenliebesglück und Friedenstagen;
Nur todeswund darf ich im Arm dich tragen,
Von Schwerterklang und Lanzenwurf umdroht.

O zürne nicht, daß ich mir dich erfleht!
Sieh, während sacht mein Flügel dich umweht,
Wenn wir in Wolken nach Walhalla schweben,

Und meine Sehnsucht in dir untergeht,
Soll meiner Küsse Hauch dir wiedergeben
Die Süßigkeit von hunderttausend Leben.
(S. 181)
_____



Du

Seit du mir ferne bist,
Hab' ich nur Leid,
Weiß ich, was Sehnsucht ist
Und freudenlose Zeit.

Ich hab' an dich gedacht
Ohn' Unterlaß
Und weine jede Nacht
Nach dir mein Kissen naß.

Und schließt mein Auge zu
Des Schlafes Band,
So wähn' ich, das tust du
Mit deiner weichen Hand.
(S. 182)
_____



Liebesreime

XXXIX.
Flieg, Seele mein, fliege zum fernen Hag,
Wo Liebchen mit mir in den Blumen lag.
"Weit bin ich geflogen; ich fand die Stätte,
Die Sonne, den Berg und das Blumenbette.
Mich aber erkannten die Blumen nicht;
Sie sprachen: Was, soll uns der dunkle Wicht?
Sie schlossen die Kelche, daran ich hing:
Was soll uns der sterbende Schmetterling?"


XL.
Einen Strahlenkuß der Liebe hat dir Gott gegeben,
Als er deinen Keim erweckte, mein geliebtes Leben.
Unter seinem blausten Himmel, seinem wärmsten Sterne
Ließ er deine Krone wachsen mit dem edlen Kerne.
Sollt' ich ihn verklagen, daß er unsre Hände trennte?
Preisen will ich ihn, daß er uns doch so Holdes gönnte:
Daß er dir der Schönheit Fülle gab auf Stirn und Brauen
Und zwei sel'ge Augen mir, dich dankbar anzuschauen.


XLI.
Wie schön du bist, das können Sonnenstrahlen ,
Das kann der Pinsel malen.
Wie gut du bist, das kann kein Bild beweisen,
Das kann Gesang nur preisen.
Der müßte rauschen und das Weltgebiet
Mit Melodie durchdringen -
Ich habe nichts als dieses kleine Lied!
Ein Glöckchen zum Lobsingen.


XLII.
Süßer Schlaf, laß mich allein!
Geh zu zwei geliebten Augen,
Daß sie nicht mehr neue Pein
Aus dem Quell der Nacht sich saugen.
Bett' ihn sanft, wie er geruht,
Wenn mein Atem ihn umwehte,
Während ich um Trost und Mut
Zu den Sternen für uns bete.


XLIII.
Zum Kamin den Sessel rück' ich,
Knie mich davor nieder;
In die leeren Kissen drück' ich
Meine tränenmüden Augenlider.
Denkst du fern auf dunklen Wegen,
Wie ich so vor dir gelegen,
Wenn die Dämmerung gewaltet,
Meine Händ' in deinen Schoß gefaltet?


XLIV.
Edler Schaft, du Marmorsäule, schlanke,
Steh du fest, du trägst mein ganzes Leben.
Fühl' ich dich, o meine Stütze, beben,
Neig' ich mich erschüttert auch und wanke.
Halte mich, o Pfeiler, mein getreuer,
Laß uns dauern bis zum jüngsten Tage;
Dann ins letzte große Weltenfeuer
Stürzen wir zusammen ohne Klage.
(S. 186-188)
_____



Träumerei

Aus dem Sonnenherzen des All-Einen
Ist die Erde ein verstobner Funken;
Sehnend muß sie durch das Weltall scheinen,
Bis in Gott sie wiederum versunken.

Alles Werden, wisse, ist ein Scheiden,
Bittres Trennen führt zur Lebensschwelle.
Lebensabschied, wieder höchstes Leiden,
Führt er uns zu neuer Freuden Quelle?

Laß mich, laß das Trennungswort vergessen,
Dessen Echo ringsher uns bestürmt!
Hab' ich darum dich so fest besessen?
Heil und Seligkeit auf dich getürmt?

Liebe läßt der Tod am frühsten büßen:
Denn ihr geben tausend Rosenstunden
Tausendfach den Düftehauch des Süßen
Ach! in einen Tropfen Zeit gebunden.
(S. 189)
_____



Läuterung

Wie Feuer das Gestein entfaltet,
Daß es als Silber keusch erblüht,
So hat der Gott, der flammend waltet,
Der Gott der Liebe, uns geglüht.
Was an Begehr und Wunsch zuvor
Der Fackel düstren Brand genährt,
Ist nun getilgt: sie wallt verklärt,
Ein stilles Atmen unsres Glücks, empor.
(S. 189-190)
_____



Umschwung

Lange lag mir das Herz wie ein lästiger Feldstein im Busen,
Und ich schalt es und sprach: "Warum so faul und verdrießlich?
Seltene Freude tut gut, und täglich Süßes verdirbt uns!"
"Altkluger Trost!" so trotzt' es und gab sich dem kläglichen Hang hin.
Da unvermutet im Dämmern begegn' ich dem lächelnden Freunde;
Und er schmeichelt und kost dem übellaunigen Herzen.
Sieh, nun hebt's, das verhätschelte Kind, sich wieder so hoch auf,
Wie ein Federchen fliegt, von Frühlingswinden getragen!
(S. 190)
_____



Liebeslied in Ägypten

Schönes Kätzchen, du geflecktes,
Mit der sänftlichen Bewegung,
Mit dem halbgeneigten Köpfchen,
Bist du, wie die Priester sagen,
Hei'ger Liebling einer Göttin
Oder gar die Göttin selber,
Strahlenreiche Göttin Bastis?
Alt und mürrisch sind die Priester;
Weiß nicht, ob die Siegesgöttin,
Ob die Echte Göttin Bastis
Ihnen je sich offenbarte,
Ob sie sich mit Fabeln brüsten.
Doch du bist mir wert und teuer,
Schönes Kätzchen, Schelmenauge;
Denn du ähnelst der Geliebten
Mit der lieblichen Bewegung,
Mit dem holdgeneigten Köpfchen.
Aus dem Rätselschacht der Augen
Holt sie bald ein abgesprühtes
Stolz verächtlich Seitenfünkchen,
Bald ein schneid'ges Degenspitzchen,
Den Erzürnenden zu strafen;
Doch zumeist unwiderstehlich
Seidenweiche Schmeichelblickchen,
Den Geliebten zu erquicken.
Darum, Kätzchen, Schelmenauge,
Drum erfreut mich so dein Anblick,
Sei er mir ein günstig Zeichen,
Mir die Vielgeliebte selber,
Meine Göttin, vorverkündend!
(S. 190-191)
_____



Wiedersehn

Jahrelang ertrug ich das Leid:
Fernsein vom Strahl deines Blickes.
Aber vom Riegel befreit
Jäh nun aufspringen sie weit,
Goldne Tore des Glückes!

Horch, es erbraust das Geläut
Wiedersehnszeit uns vom Turme!
Was mich geschmerzt und gefreut,
Flattert ins Weite verstreut,
Naht mein Held sich im Sturme.

Mein! - Und das Zeitrad zerschellt
Stockend im Schöpfungsgetriebe,
Himmel und Erde zerfällt,
Hoch aus dem Schutte der Welt
Schlägt die Flamme der Liebe!
(S. 191)
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Hoffnung

Hoffnung wiegt sich auf dem Aste
Meines Herzens; bleibe, raste
Noch ein Weilchen in der Laube
Meiner Brust, du wilde Taube!
Flügel, wie sein Rad der Pfau,
Spannt sie, hundertaugig, blau;
Duckt sich, schwingt sich auf: es wanken
Meines Herzens leichte Ranken.
(S. 192)
_____



An Dich

Unerfleht, o mein Freund,
Wie die willkommene Nacht,
Wenn sie dem rastlos sich Plagenden,
Seellos Mühsalversunkenen,
Die Erlöserin, aufgeht,
Zogest du ein bei mir.

Im gelichteten Wald,
Von der Dämmrung vergebens gemahnt,
Fällt er und spaltet den Baum,
Schichtet er Scheit auf Scheit,
Bis sie selber auf das gebückte Haupt die
Kühlende Hand legt,
Und er atmend hinaufschaut
In ihr seliges Antlitz.

Die den brausenden Markt,
Den unedlen Lärm des Tages beschwichtet
Und seine staubige Dumpfheit
Wiederum, wenn es Not tut,
Mit verjüngenden Stürmen rüttelt,
Öffnet dem Erwählten
Still ihre alles wissenden
Herrschenden Augen.

Von dem lang vernommenen Axthieb
Schwingt ein nachgeborenes Echo
In des Feiernden Ohr
Schwächer und schwindet.
Der vergangenen Pein
Denkt er mit stolzem Befremden.
Und aus reinerem Herzen
Schweben seine Gefühle
Willig empor wie Rauch
Vom gefälligen Opfer.
(S. 192-193)
_____



Abschied

Liebling,
Scheidender Freund,
Löse die Lippen von meinen ab,
Deine sanften, erwärmenden:
Und die Hand, deines gütigen Willens
Kraftbegabte Gefährtin,
Laß sie, die zum letzten Male mir liebkost
Still im Schoße ruhn.

Ach, des Glückes letzter Genuß verkehrt sich
Dem empfindlichen Herzen,
Das es kostet, in Wermut!
Schaudert es uns doch auch,
Wenn der untergehenden Sonne
Letzter Funken am Berg hängt,
Und die Totengräberin schon, die Dämm'rung,
Über des weichenden Lichts erkaltenden Thron
Ihren entfalteten Mantel
Hinzubreiten, den Arm hebt.

Sieh mich an mit deinen traurigen Augen,
Liebster, und lächle!
Haben wir nicht durch Gestrüpp und Dornen
Uns zusammen geschlagen?
Nicht die Lasten des Wegs geteilt
Zu gedoppeltem Troste?

Haben wir nicht ermattet
Oft der heiligen Nacht,
Aneinander geschmiegt
Wie Geschwister, im Schoß geruht?
Und die entblätterte Rose,
Blüht nicht ihr unentstelltes
Bild im Gedächtnisse fort,
Ähnliche Schwestern verheißend
Künftigen Lenzen?
Aber dem Frühling, der sein wird, frage nicht nach,
Duftet und schattet uns doch der Garten im Busen,
Den Erinnerung hütet!
Neuer Bepflanzung findet die Gärtnerin immer,
In die unendlichen Tiefen des Herzens eingeh'nd,
Lockeres Erdreich.
(S. 194-195)
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Herausforderung

O ihr neid'schen Götter, Spielverderber!
Reift mir eine süße Frucht im Garten,
Schickt ihr Frost, und sie gedeiht mir herber,
Weist mir ungern nur den Kern, den harten.

Keinen Himmel wolkenlosen Scheines
Laßt ihr meinem Auge sich erschließen,
Keinen Becher ungemischten Weines
Laßt ihr meinen durst'gen Mund genießen!

Einen Kelch weiß ich, rubingerandet,
Der mir edle Süße rein kredenzte,
Den ihr nie die Kraft zu trüben fandet,
Den ein unverwelklich Laub umkränzte!

Ihr entrißt ihn mir mit eurem Blitze!
Perlt er je an meiner Lippe wieder,
Steig' ich über eure Wolkensitze
Hoch hinaus auf meines Glücks Gefieder!
(S. 197-198)
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Mein Freund

Sanft ist der Freund, dem ich gut bin,
Stark wie der Frühling, der Held;
Zieht der Befreier zu Feld,
Strömt seinem Feinde das Blut hin,
Winters, des Drachens der Welt.

Aber wie kämpft er gelind!
Seht, der gefiederte, schnelle,
Bläuliche Pfeil, die Libelle,
Schwirrt ihm vom Bogen geschwind
Über die tanzende Welle!
(S. 198)
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Winter

Weh mir armem nordischen jungen Weibe!
Am Kamine kaur' ich mit frostigem Leibe,
Trage mein erstarrtes Gebein zur Schmelze,
Eingehüllt in sieben Kragen und Pelze,
Als wenn ich im obersten Thule hauste
Und im Renntierschlitten den Schnee durchsauste;
Als wenn ich am Nordpol die Achse drehte,
Wo das Nichts, das gräuliche, mich umwehte.
Ach, ich wollt', ich läge im Paradiese
Mitten in der duftenden Veilchenwiese;
Mir zu Häupten säh' ich die Sonne prangen,
Fest als rote Ampel am Himmel hangen;
Meine sieben Pelze könnt' ich vergraben
Und mit nackten Füßen im Bach mich laben
Und mit weißen Armen, zwei klugen Schlangen,
Des Geliebten dunkleren Hals umfangen!
(S. 198-199)
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Liebesreime

XLV.
Goldnes Liebchen, Sonne, Perle, Blume,
Und ihr Augen, liebe Weihnachtslichter!
Ja, wär' ich der Kaiser aller Dichter,
Dichtet' ich euch bald zu Ehr und Ruhme!
Soll mein Lied verklären dich auf Erden,
Nicht, wie jetzt, du meine Lieder weihn,
Müßtest du erst minder herrlich werden,
Oder ich ein größrer Dichter sein!


XLVI.
Liebt er mich noch? Frühling lächelt: Ja!
Sonne strahlt's und alle Lüfte wehen's,
Alle Vögel zwitschern fern und nah:
Ja, er liebt, wir wissen's, wir verstehen's.
Ach, inmitten all der hohen Lust
Hockt mein Herz als Käuzchen unterdessen
Trüb im trübsten Winkel meiner Brust,
Ruft: Ich weiß es, er hat dich vergessen!


XLVII.
Wenn er auf einmal plötzlich vor mir stände,
O Erd' und Himmel, was begönn' ich nur?
Sein teures Haupt nähm' ich in beide Hände
Und küßte meiner alten Küsse Spur
Auf seinen Augen, Lippen, Haaren, Wangen -
Was hab' ich ohne dich nur angefangen!
Auf seinen Grübchen, Groll- und Lächelfalten -
Wie hab' ich's ohne dich nur ausgehalten!


XLVIII.
Laß, o meine Blume, dich begießen
Mit dem Wasser meiner beiden Augen;
Aus den Tränen, die dir willig fließen,
Wirst du Kraft zu ew'ger Blüte saugen.
Keiner, der die holden Blätter schaut,
Ahnt, daß sie auf meine Qualen warten.
Welch ein Dämon, höllisch süßes Kraut,
Pflanzte dich in meinen stillen Garten?


XLIX.
Ich weiß, warum der Mond so blaß und trübe
Den Stern der Erde immerdar umkreist;
Er geht den Weg der Sehnsucht und der Liebe,
Die Straße, wo auch ich mich matt gereist.
Du hältst mich fest, ich kann dir nicht entfliehen;
Du reißt mich hin und bist doch ewig fern -
O meine Welt! mich stets dir nachzuziehen,
Ermüde nie, ich folge ja so gern.


L.
Liebchen, mühsam und beschwerlich läßt sich
Stählern kritzeln auf papiernen Blättern!
Wärst du bei mir, ach wie gerne preßt' ich
Auf dein Lippenpaar lebend'ge Lettern.
Schriebe drauf mein töricht Liebeshoffen:
Rosenblätterbrief von Tau benetzt!
Und die Antwort wär' schon eingetroffen,
Eh' ich noch das Siegel aufgesetzt.
(S. 203-205)
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Hast du mich lieb?

Liebster, Schönster und Bester von allen,
Wirklich, wirklich, du hast mich noch lieb?
Wirklich, wirklich, ich kann dir gefallen?
Sag mir, was mich zu lieben dich trieb!

Ach ein Traum hat dich sicher befangen,
Träumend siehst du mich, wie du mich liebst;
Und erwachst du, ist alles vergangen,
Weiß ich, daß du den Abschied mir gibst.

Leise soll dich mein Liedchen umschweben,
Tu nicht auf den bezauberten Blick:
Träume, träume, dein Traum ist mein Leben,
Träume, träume, dein Traum ist mein Glück!
(S. 205)
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Die letzte Nacht

Schon senkt sich still die letzte Liebesnacht,
Ein schöner Dämon mit besterntem Schwingen;
Sie nimmt uns auf und trägt uns schwebend sacht
Durch alle Himmel, die gelind erklingen.
Verlaß uns nicht! Der Tag ist nicht mehr weit,
Sein Goldroß steigt herauf im dumpfen Trabe -
O nimm uns mit ins Meer Vergangenheit,
Daß es mit dir auf ewig uns begrabe.
(S. 206)
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Erinnerung

Ich fahr' ins Weite, nicht zu dir.
Schon jagt der Herbst durch das Revier.
Der Wald so kahl, das Feld so leer,
Und Raben kreischen vor mir her.
Wie jeder Baum voll Blüten hing,
Als ich hier dir entgegenging!
Wie flog die Wolke hoch und leicht,
Die grau jetzt durch die Wiese schleicht!
Am Wegesrand sitzt riesengroß
Ein Weib und weint in ihren Schoß.
Da saßen wir, so froh, so jung,
Ein Schatten nun, Erinnerung.
Sie rührt sich nicht, sie sieht nicht auf;
Vorüber ich im raschen Lauf.
So einsam, wen beweint sie hier? -
Ich fahr' ins Weite, nicht zu dir.
(S. 207)
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Ungeduld

Wenn dein Herz wie meins schlägt, liebe Seele,
Weißt du schon, was ich dir jetzt erzähle:
Daß ich länger nicht die Trübsal trage,
Ohne dich sein diese Sommertage,
Ohne dich sein diese Sommernächte,
Die mit dir so lieblich ich verbrächte.

Wenn dein Herz wie meins schlägt, liebe Taube,
Tust du schon, was ich für tunlich glaube:
Kommst zu Pferd, zu Schiff, zu Rad, zu Füßen,
Die Geliebte wieder zu begrüßen!
Kommst gefahren oder kommst gegangen,
Die Geliebte wieder zu umfangen.
(S. 209)
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Liebesreime

LI.
Der Sommer kommt, der schöne, mir entgegen
Mit stolzen Schritten auf bekränzten Wegen.
Wen er so hold mir meldet, wüßt' ich gerne!
Den Liebsten bringt er wohl aus weiter Ferne.
Dort aus dem veilchenblauen Waldesschatten
Tritt er gewiß hervor nach langem Wandern,
Dann ruhn wir aus auf diesen grünen Matten
Und unsre Herzen klopfen eins am andern!


LII.
Weh, daß ich sang das Lied von deiner Schöne
Am offnen Fenster in die Sommernacht!
Es horchten Erd' und Himmel auf die Töne
Und haben das Verborgne kund gemacht.
Nun lieben dich Levkojen und Kamillen,
Die Sterne stürzen sich vom Himmelszelt.
Das Meer fängt an zu glühn um deinetwillen -
O Rieseneifersucht auf alle Welt!


LIII.
O welche Lieblichkeit, dir zuzuhören!
Die Worte ruhn auf deiner holden Stimme
Wie Kindertraum auf einer Wiege Flören,
Wie wenn ein Stern in grüner Wolke schwimme,
Wie Perlen auf gebognem Nacken linde,
Wie Wasserlilien wanken auf der Flut,
Wie Veilchenduft auf lauem Frühlingswinde,
Wie wenn ein Kuß auf feuchter Lippe ruht.


LIV.
Die Augen dein sind wohl von Samt und Seiden,
Doch harter, harter Kiesel ist dein Herz,
Fühlt nichts von Liebeslust und Liebesleiden,
Ein starres, dickes, rundes Klümpchen Erz.
Schämst du dich nicht, wenn alles liebt und freit,
Ein Marmelsteinchen in der Brust zu tragen?
Ein Schleuderchen, womit in alter Zeit
David den Riesen Goliath totgeschlagen?


LV.
Spricht die Sonne: diesen unter allen
Sieht mein goldnes Aug' mit Wohlgefallen!
Und der Mond und alle Sterne flüstern:
Wär' er eines doch von uns Geschwistern!
So von Sonne, Mond und Stern beschienen,
Zwäng' er nicht mein Herz auch, ihm zu dienen?
Den die stolzen Himmelslichter grüßen,
Sollt' ich ihn nicht ewig lieben müssen?
(S. 209-211)
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Liebesreime

LVI.
Einen guten Grund hat's, daß mein Liebchen
Über alles schön und herrlich ist geraten:
Denn mit Lenztau ward getauft das Bübchen,
Mond und Sonne waren seine Paten.
Sonne setzt' ins Aug' ihm goldne Kerzen:
Wenn er aufschaut, glühen alle Herzen.
Und der Mond küßt' ihm den Mund von ferne:
Wenn er lächelt, klingen alle Sterne.


LVII.
Will nun fürder nicht das Leben preisen,
Das mir nichts als Qual gibt, Not und Kränken
Will vom Brot des Nichtgedenkens speisen,
Mich vom Wasser des Vergessens tränken.
Um ein Grab möcht' ich das Leben tauschen!
Mein Geliebter wär' die dunkle Fichte.
Blumen keimten unter seinem Rauschen
Sehnend auf aus meinem Angesichte.


LVIII.
Wenn je wir nicht mehr liebten, wie wir lieben,
Wenn je du mich vergäßest, ich dich ließe,
Dann glaubt' ich keinem Gott mehr, wie er hieße,
Keins seiner Worte mehr, wo's auch geschrieben.
Dann glaubt' ich nicht an Zeichen mehr und Sterne,
Und keinen Schwur mehr, den die Menschheit schwört -
Ach, auf mein Herz horcht' ich nur noch von ferne,
Wie man den Specht im Walde klopfen hört.


LIX.
Hör', wie ich einsam bin und einsam mich verzehre:
Wie die Koralleninsel im Süd, im stillen Meere,
Und wie die Arche Noah auf weiter Wasserwüste,
Wie Robinson, der arme, auf fremder wilder Küste.
Nichts freut mich, als am Strande in Träumen tief zu sitzen.
Ich wollt', ich säh' dein Segel am Horizonte blitzen,
Säh' dich von fernher tragen das Ölblatt froher Kunde,
Ach meine Friedenstaube, auf dunklem Wellengrunde.


LX.
Ein Stern verlöscht im goldnen Himmelskranz;
Ich schau' hinaus, ihn einmal noch zu sehen.
Wo bist du hin, du freudenreicher Glanz?
So wird nun unsre Liebe bald vergehen.
Ich weiß nicht wie: ach, kannst du mich verlassen?
Könnt' ich vergessen deiner, ich dich hassen?
Einst wird die schöne Sonne nicht mehr scheinen -
O Stern, o Liebe, wer wird dich beweinen?


LXI
O Pfeil, wie kannst du auf dein Liebstes zielen?
O Schwert, und auf mein Herz die Schärfe schwingen?
War ich dein Glöckchen nicht, dir aufzuspielen?
Und nicht dein Vögelchen, dir vorzusingen?
Nun weint's die Augen aus durch deine Strenge,
Daß es erblindet um so schöner sänge!
Vergehn muß ich um deiner Härte wegen,
Daß Liebe wachse unterm Tränenregen!


LXII.
Diese Augen, die nach dir vergehen,
Mögen nur noch in den blauen Himmel sehen.
Diese Lippen, die nach deinen brennen,
Mögen nur noch deinen lieben Namen nennen.
Sonne, fang ihn auf und wirf ihn wieder!
Wie ein buntes Bällchen fliegt er auf und nieder.
Ach, wenn er ihr nur nicht gar zu gut gefällt,
Daß sie ewig ihn in ihrem goldnen Schoß behält!
(S. 213-215)
_____



Mein Stern

Du bist ein goldner Stern;
Ein himmlisches Gefunkel.
Ich bin dir fern,
Und um mich her ist Dunkel.

Du bist das Himmelslicht,
Sein Schmuck und sein Geschmeide.
Verlaß mich nicht!
Auch dir tätst du's zu Leide!

Denn ich kann ohne Zahl
Dir Weihrauch streun in Liedern,
Und jeden Strahl
Mit Flammen dir erwidern.

Wie's ich mein Herz zur Ruh,
Nie mehr dir nachzuweinen,
Dann sprächest du:
"Was soll ich fürder scheinen?

Ich bin ein goldner Stern,
Und Licht ist, wo ich gehe,
Doch stürb' ich gern
Vor Einsamkeit und Wehe.

Wo ist das gute Herz,
Das meiner sich erfreute
Und himmelwärts
Mir Glut und Weihrauch streute?"

O werde nie du satt,
Mir Huld hinabzutauen!
Nie werd' ich matt,
Zu harren und zu schauen.
(S. 215-216)
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Versöhnung

Feinde verletzen geht an; doch Allergeliebtestes kränken,
Sühnt sich die rasende Schuld? Kann sie der Stolze verzeihn?
Bitten wollt' ich ja gerne, doch würd' es die Scham mir verwehren,
Winkte nicht Venus mir Mut, hold ihrer törichten Magd.
Hilfreich erhebt sie die Hand und sendet das schelmische Völkchen
Mir, die geflügelte Brut, Amors Gespielen, vorauf.
Schmeichelnd den zürnenden Freund umflattert der Flug der Amoretten,
Flüstern versöhnlichen Sinn zart ihm ins Ohr und ins Herz,
Und ich stehe beiseit und sehe mit nagendem Neide,
Wie ihn der reizende Schwarm zärtlich umhalst.
Einer mit winzigem Finger gräbt keck in die bräunliche Wange,
Meint: ist das Grübchen erst da, stellt sich das Lächeln wohl ein.
Der dort schmiegt sich ins Kinn, versteckt sich am wölbenden Halse,
Wie wenn's ein Vögelchen wär', heimisch im wohligen Nest.
Aber der Kleinste, der Wicht, sucht schon mit der kindischen Lippe
Jenes vollendete Paar, süß an der Sonne gereift.
Immer noch lieblich geschwellt vom innigen Drucke des Kusses,
Den wir im Scheiden geküßt, scheint mir der trauernde Mund.
Sei er denn ewig, der letzte! wir schwuren's vergeblich - die Stunde
Schlug: von der liebenden Brust riß ich mich schaudernd hinweg.
Und der verzagende Geist des gewaltsam Zerrissenen zittert
Dir auf der Lippe wie mir, fleht um Erlösung uns an.
Laß mich dich küssen denn! Glaube, dich quält' ich nicht als mich selber;
Bin ich ein Teil doch von dir, krankend mit dir und gesund.
Zweifelst du? Wende dein Haupt nicht! ach, fühlst du dein Liebchen erst wieder,
Glaubst du's der eigenen Brust: eins sind wir, mein du, ich dein.
(S. 216-217)
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Zuflucht

Keine Hütte dürfen wir uns bauen,
Drum nach einem Grabe ging ich schauen.
Bat den alten Berg, uns einzulassen,
Weil uns Menschen und Gestirne hassen.
Sprach der Gute: mögt ihr zwei denn kommen,
Wenn mein Haupt im Abendrot entglommen.
Wo noch keines Menschen Fuß gegangen,
Wilden Vogels Kralle nur gehangen,
Will ich auftun euch die schwarze Pforte
Und den kühlen Gang zum Bergeshorte.
Heimlich wachsen dort die mächt'gen Steine:
Weicher Onyx und Kristall, der reine,
Der Granaten trauliches Gefunkel
Wärmt die Luft und leuchtet mild ins Dunkel.
Wollt ihr aus dem Drang des Tales schwinden,
Legt euch dahin, niemand wird euch finden.
Sollt den Lärm der Tiefe nicht mehr hören,
Niemand weckt euch, niemand wird euch stören
Als vielleicht das Murmeltier, das fette,
Wenn es leise schnarcht im Winterbette
Oder Sommernachts zum Zeitvertreibe
Einsam tanzt auf eurem weichen Leibe.
(S. 219)
_____



Glückliche Tage

Nun blüht auf aus meinem Herzen
Blume purpurrot, das Lied.
Komm, o Freund, mit ihr zu scherzen,
Brich den Schmuck, der für dich glüht.
Pflück ihn, Falke, mein Geselle,
Schwing dich in dir Lüfte wieder:
Gülden durch des Himmels Welle
Glänzt mein Lied und dein Gefieder.
(S. 221)
_____



Begegnung

I.
Weißt du, warum ich bei dir bin so gerne,
Landfremder Findling, liebe Kostbarkeit?
Die andern Leute sind ein Haufen Sterne,
Du wie der Mond bist einzig weit und breit.
Was andre sprechen, ist wie Sand der Düne,
Was du sprichst, ist wie Edelstein im Schacht.
Die andern machte Gott mit der Maschine,
Mit seinen Händen hat er dich gemacht.


II.
Unsre Herzen waren wie Geschwister,
Die zusammen lachten und sich härmten,
Wie verlaßne Kinder bang sich wärmten
An des Herdes heimlichem Geknister.

Vor des Lebens Macht und Grausamkeiten
Band sie gleicher Trotz und gleiches Weinen,
Nicht Geschick noch eignes Widerstreiten
Trennte je ihr magisches Sicheinen.

Steigt verschlungner Chor der Herzen alle
Wogenhoch auch über Süd und Norden -
Unverhofft begegnen sich im Schwalle
Deins und meins in zärtlichen Akkorden.
(S. 223-224)
_____



Der Becher klingt; mein Herz ist der Becher!
Trink Liebe, trinke dich satt!
Es zittert; o berauschter Zecher,
Der fest in bebenden Händen es hat!
Wer hat wie du ein Meer zum Pokale?
Ein Meer voll wachsender Glut!
Es saugt aus eurem feuchten Strahle,
Ihr trunkenen Augen, die himmlische Flut.
(S. 228)
_____



Ich werde nicht in deinem Herzen satt,
Nicht satt an deiner Küsse Glutergießen.
Ich will dich, wie der Christ den Heiland hat:
Er darf als Mahl den Leib des Herrn genießen.
So will ich dich, o meine Gottheit, haben,
In meinem Blut dein Fleisch und Blut begraben.
So will ich deinen süßen Leib empfangen,
Bis du in mir und ich in dir vergangen.
(S. 228)
_____



Wo hast du all die Schönheit hergenommen,
Du Liebesangesicht, du Wohlgestalt!
Um dich ist alle Welt zu kurz gekommen.
Weil du die Jugend hast, wird alles alt,
Weil du das Leben hast, muß alles sterben,
Weil du die Kraft hast, ist die Welt kein Hort,
Weil du vollkommen bist, ist sie ein Scherben,
Weil du der Himmel bist, gibt's keinen dort!
(S. 228)
_____



Was für ein Feuer, o was für ein Feuer
Warf in den Busen mir der Liebe Hand!
Schon setzt es meinen zarten Leib in Brand
Und wächst an deiner Brust doch ungeheuer.
Zwei Fackeln lodern nun in eins zusammen:
Die Augen, die mich anschaun, sind zwei Kerzen,
Die Lippen, die mich küssen, sind zwei Flammen,
Die Sonne selbst halt ich an meinem Herzen.
(S. 228-229)
_____



Eine Melodie
Singt mein Herz, die du gesungen.
Still auf deinem Knie
Lag mein Haupt, von deinem Arm umschlungen.

Schwerer Duft der Nacht
Zog mit müdem Hauch vorüber.
Bang hab' ich gedacht:
Sterben müßt ich, hätt ich dich noch lieber.

Liebst du auch so sehr?
Warum singst du solche Lieder?
Aus verhülltem Meer
Läuten Glocken auf und tauchen nieder.

Tief im dunklen Dom
Schwanken Weihrauch und Choräle . . .
Wie ein Tränenstrom
Zieht es einsam jetzt durch meine Seele.
(S. 229)
_____



Wie liebten wir so treu in jenen Tagen,
Fest wie die Sonne stand das Herz uns da.
Getrennt, wie hatten wir uns viel zu sagen,
Und sagten stets nur eines: Liebst du? Ja!
O Liebe, kannst du wie ein Traum der Nächte
Vorübergehn, die du unendlich scheinst?
Mir ist, als ob er fernher mein gedächte
Und fragte: Liebst du mich? Sag ja, wie, einst!
(S. 229)
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Still vom Frühlingsabendhimmel
Schwebt ein Wolkenkahn zu mir hernieder;
Durch das irre Weltgetümmel
Zieht er lautlos wie auf Traumgefieder.

Mein Geliebter lenkt den Nachen,
Gram und Inbrunst in den schönen Zügen.
"Heim ziehn alle, die noch wachen.
Komm und laß uns Seel an Seele schmiegen."

Langsam schwer in Abgrundsferne
Sinkt erlöschend der begrünte Hügel,
Und das Himmelreich der Sterne
Taucht aus seiner Augen dunklem Spiegel.
(S. 230)
_____



Ein Engel hat den vollen Kranz der Liebe
Einst auf dies töricht junge Haupt gesetzt,
Und daß er Rosen überschwenglich triebe,
Mit seiner Tränen Flut ihn reich benetzt.
Die Sonne sank, seit wir uns Treu gelobten.
Wie grün er war, der Kranz ist lang verbleicht -
O Scham, Triumph und Demut des Erprobten,
Dem Gott die Krone ew'gen Lebens reicht!
(S. 230)
_____



Ein Todesengel, göttlich sanft und schön,
Trägst du gen Himmel mächtig meine Seele.
Durch alle Nacht hindurch, wie Stürme wehn,
Fühlst du den Weg, den ich allein verfehle.
Wie rücken die Gestirne weit, so weit!
Der Erde fern und fern der Ewigkeit,
Nichts faß ich mehr als deines Herzens Schlagen.
Ein Adler ist's, der steigt: einst wird es tagen.
(S. 230)
_____



Ach Gott, ein Grablied meinem Herzen stimmt,
Weil von der Erde nun es Abschied nimmt.

Verschworen hat's den argen Mummenschanz,
Den Schleier nimmt es und den Rosenkranz.

Ins Kloster geht's, die Kutte legt es an,
Ein Heilger wird's, zu dem man beten kann.

Einst tanzt es als ein Sternlein hoch im Blau;
Hernieder fiel es und erlosch im Tau.

Ein Schwärmer stieg's in die entzückte Luft,
Versprühte buntes Licht; nun ist's verpufft!

Johanniskäfer war's und glühte schön;
Nun ist's ein Würmchen, häßlich anzusehn.

Wie Nachtigall sang's Liebe immerzu;
Ein Käuzchen ward es nun und ruft schuhu.
(S. 231)
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Gestern weint ich in den Schoß des Glückes:
Ach, mir fehlt die Sonne deines Blickes!

Laß mich, laß mich deine stolzen süßen
Goldnen Augen einmal noch genießen,

Daß ich froh die Blicke wieder wende
Auf den Tanz der Weltallsgegenstände,

Und das Glöckchen wieder höre klingen
Lieblich in den bunten Erdendingen.

Da erblickt ich in der großen Ferne
Eine Wiese voller Blumensterne,

Überrieselt von der Sonne Röte,
Bienenübersummt wie Hauch der Flöte,

Und das Glück sprach: Sieh, so wirst du liegen
Und dich an zwei traute Lippen schmiegen.

Aber einst, nach langen Sommertagen -
Und da schwieg es, wollte nichts mehr sagen.
(S. 231-232)
_____



O blühende Heide, welken wirst du müssen!
Du Sternenantlitz, mußt du auch vergehn?
Es gäb ein andres Glück als dich zu küssen,
Und andre Wünsche als dich anzusehn?
Ihr Seelenaugen, warmes Licht der Liebe,
Erlöschen sollt ihr? nie mehr widerspiegeln
Die goldne Bläue über diesen Hügeln?
Du wärst dahin, und Erd und Himmel bliebe?
(S. 232)
_____



Sinkt nun der Frühlingstraum verwelkt von allen Bäumen,
So bebt mein Herz von einem Jubelschrei:
Es muß vorübergehn, was lebt in Erdenräumen -
Ich habe dich, und du gehst nicht vorbei.
Hoch auf am Ararat der Liebe branden
Die wilden Wasser der Vergänglichkeit,
Wir sehn die Welt, zu unsren Füßen stranden,
Umstrahlt vom Himmel, der das Grab der Zeit.
(S. 232)
_____



Sturmlied

O Brausen des Meers und Stimme des Sturms
Und Irren im Nebelschwarm!
In Hafens Ruhe, im Schutze des Turms,
Wie eng und arm.

Ich will kein Kissen mir unters Haupt,
Kein Schreiten auf Teppichen weich;
Hat mir der Sturm auch die Segel geraubt -
Da war ich reich!

O herrliche Fahrt im Windeshauch
Hinauf und hinab und zurück!
Nur kämpfend, und unterlieg ich auch,
Ist Leben Glück.
(S. 232-233)
_____



Du, dem ich angehöre, laß, wenn ich gestorben,
Was von mir übrig, meine Asche, bei dir sein.
Und deine Hand, um die mein Leben einst geworben,
Tauch in den Staub, der einst dein Fleisch war, ein.
Läßt du den trüben Strom durch deine Hände fluten,
Die einst, wie Frühlingshauch aufzückt im jungen Stamme,
Berührend diesen Leib entzündeten zur Flamme,
Fühlst du ihn plötzlich wohl erglühn in alten Gluten.
(S. 233)
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Wie Laodamiens Gatte, für drei Stunden
Vom Nebelschoß des Todes losgebunden,
Erschienest du, wie einst mir zu gehören;
Und da ich noch mit innigstem Beschwören
An deinem traumesschweren Leibe sauge,
Senkst du in meine Brust zum letztenmal
Mit dunkler Kraft das mitternächtge Auge,
Und tauchst hinunter in die leere Qual!
(S. 233)
_____



Drei Tage kniet ich weinend auf der Schwelle
Und rief den Namen an, einst mir so mild.
Dann drang ich in des Tempels letzte Zelle
Und sah erbebend das verehrte Bild.
Das Götterallgesicht, das langentbehrte,
Enthüllend, stand er streng im Flammenschein.
Erst als die Glut mich griff, doch nicht verzehrte,
Sprach er: Ich kenne dich. Und du bist mein.
(S. 233-234)
_____



Es bebten Berg und Täler von Gewittern,
Das Licht erlosch am Himmel in die Nacht,
Noch überläuft die fernen Hügel Zittern,
Doch löst sich linde schon der Stürme Schlacht.
Im frisch entwölktem Blau strahlt durchs Gewimmel
Der Sterne stolz ein Schwert mit Schneid und Knauf.
O Erde, rolle jauchzend durch die Himmel:
Das Sternbild unsrer Liebe ging dir auf!
(S. 234)
_____



Dein Name, hör ich plötzlich ihn gesprochen,
Scheint aus Gewölken wie ein Blitz zu fallen,
Der alle Siegel aufgebrochen,
Der Tore wirft von nie betretnen Hallen.
Du stürzest, schöner Name, nicht entzündend
In diese Brust; ein Strahl, ein ewig neuer,
Zuckst du hindurch und in der Seele mündend,
Vermählst du ihre Flut mit deinem Feuer.
(S. 234)
_____



Mich band die Liebe an den Pfahl der Pein,
Durchbohrend mit dem Schwerte, das nicht tötet,
Mein Eingeweide, bis der scharfe Stein,
Auf dem ich kniee, sich mit Blute rötet.
Doch neig ich dankend mich den Schmerzenslosen;
Denn über mir seh ich wie eine Sonne
Die Marterkrone dunkelroter Rosen:
Mein Blut in Blüte, die mich krönt zur Wonne.
Du kamst zu mir, mein Abgott, meine Schlange,
In dunkler Nacht, die um dich her erglühte.
Ich diente dir mit Liebesüberschwange
Und trank das Feuer, das dein Atem sprühte.
Du flohst, ich suchte lang in Finsternissen.
Da kannten mich die Götter und Dämonen
An jenem Glanze, den ich dir entrissen,
Und führten mich ins Licht, mit dir zu thronen.
(S. 234-235)
_____



Wie wenn Gott winkt und die Ströme und Meere der Erde
Brausend sich wenden, gestürzt vor der Allmacht Gebärde,
Stürmt dir mein Blut, wenn du winkst; aus den Schluchten der Seele
Quillt es mit Inbrunst, gewendet zu deinem Befehle.
(S. 235)
_____



Die Harfe war besaitet ohne Ziel.
Kein wehnder Wind erregte sie zu Tönen,
Kein Finger konnte sie dem Lied gewöhnen.
Du legst die Hand auf das gebannte Spiel:
Die Saiten, die sich keinem Griff bequemen,
Erzittern unter dir entzückt und bang,
Jäh überstürzt von ihrem Klang
In raschem Quell und schweren, dunklen Strömen.
(S. 235)
_____



Du gingest durch ein Felsental im Feuer,
Gebundnen Fußes wie ein Ungetreuer,
Verzehrt, verdorrt, verschmachtet, ohne Flucht
Vor dreistem Blick und schnödem Hohn der Spötter.
Nun da der Tag sich neigt auf unsern Wegen,
Und du, das Haupt der heilgen Nacht entgegen,
Hervortrittst aus der gnadenlosen Schlucht,
Strahlst du unsterblich wie die goldnen Götter.
Du reichtest mir den Kelch voll bittrer Flammen
Und ließest mich in dunklen Labyrinthen.
Allein, vergessen Heimat und Entstammen,
Erlitt ich Dienst und Kampf bei Fremdgesinnten.
Ich wanderte verhüllt am Todesflusse
Im Schrei des dürren Laubs und hoffte nichts.
Da trittst du vor mich hin, ein Gott des Lichts,
Und glühst mich jung mit diamantnem Kusse.
(S. 235-236)
_____



Denn unsre Liebe hat zu heiß geflammt,
Die wir entrissen alten Göttermächten.
Von Sterblichen verdammt
Schlug sie empor in unterirdschen Nächten.

Sie loderte wie Fackeln überm Grab.
Der Sterne Heer zerschmolz in ihrem Hauch
Und troff auf sie herab.
So schmolzen schmerzlich unsre Seelen auch.

O Wohlgeruch, o Glut! O Lust und Glanz!
O Qual, nie nah genug so nah zusammen!
Empfang uns endlich ganz,
Abgrund der Nacht, in deinen Liebesflammen.
(S. 236)
_____



Der Liebe Meer versiegte nicht, es schwoll,
Sich selber speisend, hoch um unsre Wege.
Erst netzt es unsre Füße Schaumes voll,
Dann hub es sich bis in des Herzens Schläge.
Einst kommt der Tag, in seines Schwellens Drang
Reißt es vom Gipfel uns, dem kaum errungnen,
Und überflutet höchsten Glückes Gang.
Und rauscht Gesänge über uns Verschlungnen.
(S. 236)
_____



In jener Zeit, da ich dich nicht mehr nannte,
Schuf ich ein Weihgefäß aus edler Erde,
Und barg darin, die einst an dir entbrannte,
Die Flamme, daß sie rein gehütet werde.
Von der empfangnen Brunst errötend bebte
Das Weihgefäß, doch sprang es nicht entzwei.
Kein Funken meiner Liebesglut entschwebte!
Nun nimm es du, daß es dir heilig sei.
(S. 237)
_____



Schwill an, mein Strom, schwill über deine Weide,
Umschlinge Haupt und Stamm zu dir hinab.
Daß sich kein Blatt aus deiner Flut mehr scheide,
Taucht sie die Zweige schluchzend in dein Grab.
Daß dich doch dürstete, wie sie verschmachtet!
Verzehre sie, wie sie dich trinken will!
In dich gebogen, ganz von dir umnachtet,
Von dir verschlungen, wird die Seele still.
(S. 237)
_____



Ich bin dein Schatten, du bist, der mich schafft,
Du gibst Gestalt und Maß mir und Bewegen.
Mit dir nur kann ich heben mich und legen,
Ich dein Geschöpf, du Willen mir und Kraft.

Dir angeschmiegt bin ich in deiner Haft,
Wie die von Ketten schwer den Fuß nicht regen.
Was du mir tust, ich kämpfe nicht entgegen,
Durch dein Gebot belebt und hingerafft.

Doch bin ich dein, auch du gehörst der Deinen.
Du kannst mir nicht entfliehn, dich neu gewänn ich,
Mich nicht verstoßen, neu würd ich erkoren.

Solange Sonn und Sterne dich bescheinen,
Siehst du zu deinen Füßen unzertrennlich
Die Liebende, für dich aus dir geboren.
(S. 237)
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Du lässest Duft und Wohllaut, wo du gingest,
Die Luft, die dich umgab, wird süß und trunken.
Was du mit deinem goldnen Blick umfingest,
Ward überfüllt von reifen Liebesfunken.
Es blüht und glüht und schwillt und klingt und leuchtet
Um dein Erscheinen her und deinen Namen.
Du schüttest aus, von Lebenstau befeuchtet,
O Paradiesesfrucht, der Schönheit Samen.
(S. 238)
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Du warst, o Hand, die Taube, die mich nährte,
Mit Milch und Honig, Brot und Wein.
Du gabst, was Rausch und Nüchternheit gewährte
Und jene Zauber, die zur Liebe weihn.
Du hast mir Todesglut ins Herz gegossen,
Doch deine Schwinge war der Nacht Geleit;
Das Fleisch, das du gespeist, das dich genossen,
Betaust da drüben mit Unsterblichkeit.
(S. 238)
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Wenn je ein Schönes mir zu bilden glückte,
War's, weil ich hingegeben deinem Wesen,
Mit meiner Seele mich in dich verzückte,

Und, wie der Winzer nach dem Traubenlesen
Erglüht und schwankt in Purpurgeist gebadet,
Wie Kranke, die nach tiefem Schlaf genesen,

Wie ein Geliebter, den ein Gott sich ladet,
Ihm teilt an goldnem Tisch des Nektars Blüte, -
Zurück mir kam mit Harmonie begnadet,
Lebendgen Feuers Wogen im Gemüte.
(S. 238)
_____



Die Sterbliche, die dem Olympier teuer,
In seiner Gottheit Glanz von ihr erfleht,
Schmolz, da er kam, sein unerträglich Feuer.

Ich bin die immerdar in Flammen steht.
Von deinen Augen götterhaft durchdrungen
Entbrannte dieser Leib, der stets vergeht,

Stets von der Glut erneut, die ihn bezwungen.
Erlischt die Brunst auch nicht in Lethes Bade,
Die Schmerzen fühl ich selig kühl verschlungen.

Noch schwer von Erdenwonne schon in Gnade.
(S. 239)
_____



Wie ein Satrap den Leib der Braut sich schmückt,
Daß er erschimmert unter Goldgehängen,
Ein atmend Bildwerk, so mein Fleisch verdrängen
Die Küsse, die dein Mund ihm eingedrückt.

Ambrosisch ward, das du in Glut getaucht,
Mit Tränenschnüren hundertfach umschlungen,
Das du gebadet hast in Liebkosungen,
Darin dein Atem seinen Duft verhaucht.

Es altert nicht und wird dir nie gemein,
Entwürdigt durch der Jahre steten Druck.
Die Zeit muß dienend meinen Leib verschönen:

Je süßer leuchtet sein verliehner Schein,
Je reicher ihn verhüllt der Liebe Schmuck,
Und deine Gnaden seine Demut krönen.
(S. 239)
_____



Wie sich der Frühling opfernd vor der Sonne
Auf Hügeln, süß von Weihrauch, selbst verzehrt,
So geb ich dir, o Herr, der mich begehrt,
Die deinem Blick erschloßne Liebeswonne.

In deine Flamme warf ich meine Blüte.
Dein göttlich Feuer stürmend schnell genießt
Den zarten Flor, der mir vom Herzen sprießt:
Mich selber denn, da du mich liebst, behüte!

Laß nach, o Glut, daß ich nicht sterbe! Längst
Mit immer neuen Opfern dich verehrend,
Hab ich, was mein war, deinem Wunsch gegeben;

Verlange nicht, daß du mich ganz empfängst,
Mein Leben auch. - Du schütteltest verwehrend
Das Haupt und sprachest: Liebe! wozu leben?
(S. 240)
_____



Du warst nur kurze Tage mein Gefährte,
Doch ist mein Wesen so von dir durchstrahlt,
Und so dein Bild in meinem Tun gemalt,
Als ob ein Leben deine Nähe währte.

So kann, ins Glas gesprüht, ein Tropfen Wein
Des Wassers Nüchternheit in sich verschlingen
Und es mit Süße, Farbe, Duft durchdringen,
Daß keins vom andern je mehr zu entzwein.

So schwingen Sterne sich und aber Sterne
Um eine Sonne, die sich nie enthüllt,
Mit ihrer Kraft und ihrem Licht sie füllt,
Und sie regiert aus unermeßner Ferne.
(S. 240)
_____



Du warst in dieser götterlosen Zeit,
Wo trübe Träumer ohne Lichtgedanken
Wie leere Schiffe unterm Himmel schwanken,
Der Stern, der mich geführt hat und gefeit.

Die Spur, die du gegangen zu betreten,
Daß ich nicht irrte, war mein hohes Ziel.
Von irdischen Geschäften, Drang und Spiel
Trug mich empor das Glück, dich anzubeten.

Wie nachts ein Segel steuernd heimatwärts
Der Leuchte zu die schweren Nebel spaltet
Und so gelenkt sich in den Hafen rettet,

Ging ich getrost, den Blick an dich gekettet,
Die Hände gläubig auf der Brust gefaltet,
Durch Flut und Dunkel an dein strahlend Herz.
(S. 241)
_____



Dem Bettlerkinde gleich, das vor den Türen
Mit scheuem Mund der Armut Bitte raunt
Und andachtsvoll auf fremde Schätze staunt,
Die seinem kargen Lose nicht gebühren,

Kam ich zu dir, der meine leeren Hände
Mir überhäufte, reichgeboren mild,
Mich schmückte wie ein wundertätig Bild,
Daß ich nun selbst besitze und verschwende.

Der Herrschaft Zeichen strahlt aus Diademen,
Von meinem Haupte Demant und Rubin.
Doch es erlischt die prahlerische Helle

Vor dir, denn was du gabest, kannst du nehmen,
Und immer steht wie einst die Bettlerin
Mit nacktem Fuß auf deiner goldnen Schwelle.
(S. 241)
_____



Du führtest mich zuerst ins Heiligtum
Zu lichter Götter Bildern und Altären,
Du lehrtest, was sie weigern und gewähren,
Der Menschen Schicksal und der Helden Ruhm.

Du schmolzest sanft mit langem Liebeskuß
Der Kindheit Siegel mir von Mund und Augen,
Und ließest mich von deinem Blute saugen,
Zu meiner mischend deiner Seele Fluß.

So ward mein Blut, Geliebter, dir leibeigen,
Von einem Quell des deinen unterjocht,
Der es mit Sehnsucht nach sich selbst entzündet.

Nach dir muß es verlangen. stürzen, steigen,
Bis es im Meere deines Herzens mündet,
Und gleichen Schlag mit seinem Schlage pocht.
(S. 242)
_____



Geliebter Herr, du tauftest mich mit Feuer,
Die zu beseligen du auserkoren,
Daß ich aus eignen Schmerzen neugeboren
Dir auferstände reiner, stärker, treuer.

Nicht daß du früher minder mich gewertet,
Für mich nur tilgend, was du kaum getadelt.
Wie Gold im Flammenbad sein Wesen adelt,
Ward meiner Art Gebrechlichkeit gehärtet.

Verbargst du dich mir einst in strengen Falten,
Nun gib, Geliebter, deine Liebe ganz!
Nicht brauchst du fürder dich zurückzuhalten.

Ergieße Sehnsucht, Inbrunst, Glut und Glanz!
Mein Herz empfängt die tödlichen Gewalten,
Wie ein vergöttert Haupt den Sternenkranz.
(S. 242)
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Wir fanden im Zwielicht hohe Wege,
Ein trauriger Wind ward fernher rege.
Die schwarzen Büsche, die sich bücken,
Zerbläst sein Wehn,
Der Himmel blitzt weiß durch Blätterlücken,
Die schnell vergehn.

Das Herz wird uns schwer, der Fuß wird müde,
Wie wenn uns ein Hauch mit Furcht belüde.
Die böse Zeit in Schicksalsgründen
Für immer schwand;
Was kann uns der Wind für Unheil künden,
Uns Hand in Hand?

Er kommt von den Hügeln, wo wir klagten,
Von Wolken und Winden nur umjagten,
Verlornen, wo auf bleicher Erde
Nichts wächst, nichts bleibt,
Kein wandernder Schäfer seine Herde
Vorübertreibt.
(S. 243)
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Die Sage weiß von eines Brunnens Tugend,
So fruchtbar und geheimnisvoll erlaucht,
Daß er den Greis, der wankend untertaucht,
Verwandelnd schmückt mit neugewirkter Jugend.

Sieh, wie der Leib, der seiner Kraft vertraut,
Sieh selig hebt aus den erglühten Wogen,
Von ihrer Inbrunst schwellend vollgesogen,
Mit frischen Lebens Morgenrot betaut,

Bald an sich selbst, bald an der Welt sich weidet,
Die Arme breitend nach der Frühlingsflur,
Mit wundertätgen Tropfen sie befeuchtend,

So wenn mein Herz aus deinen Armen scheidet,
Grüß ich verjüngt die lachende Natur,
Von deiner Kraft und deiner Schönheit leuchtend.
(S. 243-244)
_____



Dir fern und ferner, deiner nicht gedenkend,
Verhehlend was einst Glück war, Stolz und Ehre,
Ging ich durch Täler, über Berg und Meere,
In Schutt und Schlamm die müden Füße senkend.

Doch du gingst mir zur Seite unsichtbar,
Von deinem dunklen Blick war ich umfangen.
Dein Atem hauchte mild um meine Wangen,
Daß ich verlassen doch dein eigen war.

So gleitet still der Tod, dem wir gehören,
Um unsre Schritte, die sich von ihm wenden,
Und wenn verhüllt von blendend bunten Flören

Das Auge noch im Kram des Lebens wählt,
Ruht unsre Seele in des Gottes Händen,
Des treusten, dem von Anfang sie vermählt.
(S. 244)
_____



Wie aus des Ostens Dunst im Siegeswagen
Die Sonne rollt an des Regierers Statt,
Geschöpf und Herr, in eigner Fülle satt,
Von selbsterzeugter Flamme Kraft getragen,

Und wie was Lebendes ihr zugewendet,
Das falbe Blatt, das ihre Strahlen greift,
Die Frucht, die still im Safte kochend reift,
An ihrem Übermaße sich vollendet,

So gehst du sonder Makel sonder Gleichen,
Ein Siegender auf unbegangner Bahn
Gelassen durch der Menschenwelt Getriebe;

Und was wir ahnen als der Gottheit Zeichen,
Machst du erkennbar allen, die dir nahn:
Vollendung, deren Widerhall die Liebe.
(S. 244-245)
______



Wie sich die Erde scheidend von der Sonne
Mit hastgem Flug in stürmsche Nacht entfernt
Den nackten Leib mit kaltem Schnee besternt,
Verstummt, beraubt der sommerlichen Wonne.

Und tiefer sinkend in des Winters Schatten
Sich plötzlich nähert dem, wovor sie flieht,
Mit Rosenlicht sich warm umschlungen sieht,
Entgegenstürzend dem verlornen Gatten,

So ging ich, leidend der Verbannung Strafe,
Von deinem Antlitz fort ins Ungemach,
Dem öden Norden schutzlos zugewendet,

Stets tiefer neigend mich dem Todesschlafe,
Und wurde so an deinem Herzen wach,
Von morgenroter Herrlichkeit geblendet.
(S. 245)
_____



Am Klavier

Die laß mich hören, alte Töne,
Die duften Erinnerungen:
Vergangne Zeit, traurige, schöne,
Silbern Meer, summende Heide,
Rast und Traum auf ewigen Steinen,
Vom Himmel umschlungen
Wir beide,
Fülle des Glückes, verhaltnes Weinen.
(S. 245)
_____



Deine Küsse sind so:
Süß wie einst, süßer als einst.
Was du denkst, was du hoffst, was du weinst,
Was in Jahren entfloh,
Ungeküßter Küsse Glut,
Ungestillter Sehnsucht Drang,
Götterkraft, Jugendblut,
Liebe das Leben lang
Überglüht mich heiß,
Überfließt mich ganz,
Wie von den Bergen Weiß
Des Mondes fließt,
Fern ferner Sonnenglanz,
Durch Nacht versüßt.
(S. 246)
_____



O schöne Hand, Kelch, dessen Duft Musik,
Wie Töne schweben geht der, den du führst,
Melodisch wird der Stein, den du berührst,
Wenn sie dich einhüllt, wird die Luft Musik.

Du tust dich auf, um Wohllaut zu verschwenden,
Der ordnet, was Gewalt und Wahn verwirrten,
Und Seelen, die auf Erden sich verirrten,
Hinüberlockt, wo Wunsch und Zweifel enden.

O Hand, Gebieterin der Töne, bleib
Auf diesem Herzen ruhn, das ruhlos schwingt,
So wandelst du in Frieden sein Verlangen.

Dämonische, berühre diesen Leib,
Er bebt wie Saiten, wird ein Meer und klingt
Und rauscht empor, die Sonne zu empfangen.
(S. 246)
_____



Wie eines Königs Hand Berührtes adelt
Und tilgt vom Henker selbst den Blutgeruch,
In Ehre wandelnd seines Amtes Fluch,
Daß köstlich wird, was man zumeist getadelt,

So, wenn du stürbest, würde Tod mir teuer,
Vor allen Göttern nun erflehter Gast,
Des Name wie des Teufels sonst verhaßt,
Mir Feind und Fratze war und Ungeheuer.

Das Leben, dem noch immer Früchte reifen,
Das noch zu Festen hoch die Fackel hält,
Ich hieß es schal, zum Possenspiel entartet,

Das schöne Leben! froh es abzustreifen,
Dem Purpur gleich, der unbeachtet fällt,
Wenn auf dem Hochzeitsbett die Liebe wartet.
(S. 247)
_____



Die Erde, von des Himmels Macht umrundet,
Ein goldner Keim gesenkt in seinen Schoß,
Empfängt von ihm ihr heilges Sternenlos,
Von ihm gespeist, erwärmt, umwölkt, verwundet.

Mag er ihr zürnen, ihr Verschmachten stillen,
Mit Lorbeer sie bekränzen, Reb und Myrte,
Ob er mit eisgen Stacheln sie umgürte,
Sie hüllt sich innig ein in seinen Willen.

O du, in dessen Brust gesenkt ich liege,
Mein Schicksal nehm ich an von deiner Güte
Und segne Glück und Weh, das du verhängst.

Du warst, Geliebter, meines Lebens Wiege,
Du bist das Grab, wo ich mein Hoffen hüte,
Bis du mein Himmel wirst und mich umfängst.
(S. 247)
_____



Um diese Hügel, die dem Blick entgleiten,
Schwankt nun der Abend, müde, grau und feucht.
Still schwinden Haus und Baum und stehn verscheucht
Und gramvoll schwer in den Vergessenheiten.

Unendlich Weinen löst den Tag in Weh.
Der Schnitter rauschend Werk, die vollen Stunden,
Das Tanzen, Schwärmen, Lieb und Wahn und Wunden,
War's heute? War's vor Jahren? War es je?

Dies ist die Stunde, wo im fernen Land,
Wenn's ruhlos pocht aus deines Daches Röhre,
Und all den Uhren schnell die Zeiger summen,

Und das Begrabne lebt und huscht im Sand,
Du meinen Namen rufst und ich nicht höre.
Und hört ich's, müßt ich schaudern und verstummen.
(S. 248)
_____



Sieh mich, das Meer, das dir zu Füßen brandet,
Laß dich umschlingen, küssen, schmelzen, komm!
Wie Well um Welle stürmend dich erklomm,
Bist du ein Gott, in Element gewandet.

Laß deinen Leib von meinem Leib umgleiten!
Kein Flor, kein Hauch, kein Strahl mehr, der uns trennt.
Nur du, nur du, soweit der Blick erkennt,
Umbraust vom Mantel meiner Zärtlichkeiten.

Den Ozean, den ihre Glut durchdrungen,
Verläßt die Sonne, und mit Huld zerstörend
Tilgt ihre Schönheit die geballte Nacht.

Du laß die Welt in ewgen Dämmerungen!
Geduldger Andacht Ungestüm erhörend
Begrabe dich in meine Liebesmacht.
(S. 248)
______



An unsrer Seite geht Erinnerung
Und flicht des Weges Zier zu Kranzgewinden.
Wie Bienenflug um sommerliche Linden
Summt süß Musik von ihrer Füße Schwung.

Vom Schmelz der Dinge schimmern ihre Hände,
Sie hüten erd- und meerversunknen Hort.
Er hebt und rührt sich auf ihr weckend Wort
Und funkelt jung wie Tau in das Gelände.

Nicht Blumen sind's, was sie zum Kranz gelesen;
Sie sammelt Saat des Lebens, das verging.
Aus neuer Hoffnung, längst versiegten Zähren,

Verschmiedend glühend Heut und starr Gewesen,
Biegt unser goldnes Leben sie zum Ring,
Daß es unendlich kreist in ewgen Sphären.
(S. 249)
_____



Leben

Hell strömt aus Schluchten der Vergangenheit
In unsre Becher, die wir schwärmend füllen,
Ambrosisch Blut, aus dessen Purpurhüllen
Verklärtes Leben funkelnd sich befreit:

Sehnsucht und Liebe, Tränen, Lächeln, Lust
Und Kampf und Fluch und siegende Gedanken
Der Toten, die wie wir den Festwein tranken,
Lenzlaub im Haare, unser nicht bewußt;

Und wir gewahren nicht, ins Heut versonnen,
Daß jeder Tropfen, den die Zeit ergießt,
Von unsrer Seele löst und so durchglutet

Herniederrinnt in einen dunklen Bronnen,
Der einst in andere Schalen überfließt
Berauschter Zecher, die der Tag umflutet.
(S. 249)
_____



Wie zwei Tote, die um Liebe starben,
- Duftend Feuer schmilzt sie nun zusammen -
Ruhn wir still, umblaut von Frühlingsflammen,
Satt in Wonne nach der Trennung Darben.

Hoch im Himmel mit geblähten Säumen
Drehn die Stunden sich in Sturmestänzen,
Ihre blanken Sohlen sehn wir glänzen,
Doch kein Ton fällt aus so fernen Räumen.

Aber langsam sinken die vergangnen
Tage, die das Herz in Qual belauschte,
Schwer hinunter in verhüllte Tiefen,

Wie wenn unterirdisch Goldestriefen
In des Felsens hohle Becken rauschte,
Jenseit von uns ewig dicht Umfangnen.
(S. 250)
_____



Da wo der frühen Falter gelbes Lodern
Um wild Gestrüpp am Bergeshange zückte,
Und Bäche quollen durch verjährtes Modern,
Verweilten wir, die Glückes Last erdrückte.

Wie von des Meisters Hand entfesselt Erz
Goß sich die Kraft der Sonne auf uns nieder,
Sie stürzte rot durch unser schlagend Herz
Und wuchs wie goldne Haut um unsre Glieder.

Nun ist mir so, als ob dort oben bliebe,
Den Elementen kund und zugesellt,
Unsterblich eins: das Strahlenbild der Liebe,

Indessen wir, Staub ohne Sinn und Dauer,
Der vor der Stunde blindem Schlag zerfällt,
Hinunterstiegen in das Tal der Trauer.
(S. 250)
_____



Wie lastet mir das Leben ohne dich!
Nun können wir's auf Fingerspitzen regen,
Ein goldnes Bällchen, wie die Gaukler pflegen,
Das an Gewicht noch eben Felsen glich.
Es tanzt und schimmert, dünnes Glasgewebe
Und unverletzlich doch wie Diamant,
Ein selges Wesen, Sternen anverwandt;
Ach, daß es unsern Händen nie entschwebe!
(S. 251)
_____



Musik bewegt mich, daß ich dein gedenke,
So will auch Meer und Wolke, Berg und Stern,
Wie anderer Art als du, dir noch so fern,
Daß ich zu dir das Herz voll Andacht lenke.
Kein edles Bild, das nicht mein Auge zwinge,
Von dir zu träumen, kein beseelter Reim,
Der nicht zu dir Erinnern führe heim -
Geschwister sind sich alle schönen Dinge.
(S. 251)
_____



Uralter Worte kundig kommt die Nacht;
Sie löst den Dingen Rüstung ab und Bande,
Sie wechselt die Gestalten und Gewande
Und hüllt den Streit in gleiche braune Tracht.

Da rührt das steinerne Gebirg sich sacht
Und schwillt wie Meer hinüber in die Lande.
Der Abgrund kriecht verlangend bis zum Rande
Und trinkt der Sterne hingebeugte Pracht.

Ich halte dich und bin von dir umschlossen,
Erschöpfte Wandrer wiederum zu Haus;
So fühl ich dich in Fleisch und Blut gegossen,

Von deinem Leib und Leben meins umkleidet.
Die Seele ruht von langer Sehnsucht aus,
Die eins vom andern nicht mehr unterscheidet.
(S. 251-252)
_____



Wir wanderten von junger Liebe trunken
In dieses Friedhofs grün verhangnen Gängen,
Wo Immergrün und Efeu sich bedrängen,
Mit Toten in der Gräber Nacht versunken.

Der alten Weiden Schatten und der Birken
Schlug schirmend über unserm Haupt zusammen,
Gelassen duldend ungesühnte Flammen
Zu flüchtger Rast in heiligen Bezirken.

Von langer Irrfahrt sind wir nun zurück
Und suchen, die verwildert Kraut umspann,
Der Väter Kreuz, auf eingesunknen Stätten,

Still in vergangner Wonne, künftgem Glück.
Hier werden wir, wenn unsre Zeit verrann,
Nie mehr geschieden, nicht mehr zwei, uns betten.
(S. 252)
_____



Alte Lieder

I.
Dir sagen, daß ich dich liebe,
Nur davon träum ich,
Und kommst du, das Wort verschiebe
Und Tage versäum ich.

Was wirst du mir dann wohl sagen,
Wenn ich's gestehe,
Und wie so lang ich getragen
Das Glück und Wehe?

Ich wollte, du hörtest in Sinnen
Still bis ans Ende,
Indes meine Tränen rinnen
Auf deine Hände.

Was ich getan und gewesen,
Dir nichts verhehlend,
Dürft ich vom Auge dir lesen
Mein Glück oder Elend.


II.
Laß mich knien zu deinen Füßen,
Neige mir dein Antlitz zu,
Meines Herzens Überfließen
Will in deiner Hand zur Ruh.

Wie die freie Marmorschale
Eine Welle kühl umfängt,
Bis mit frischentsprungnem Strahle
Sie des Brunnens Flut verdrängt,

Halt es selige Minuten,
Dann verschütt' es ohne Gram,
Weiter laß mein Leben fluten
In die Nacht, aus der es kam.

Fern verhüllt sich's zu Gewittern,
Und das späte Licht entfloh.
Siehst du, wie die Birken zittern?
Meine Seele zittert so.
(S. 258-259)
_____



Ach, deine Stimme fächelt so sanft, wie der Flügel des Vampirs
Kühl um den Schlummernden weht, dem er das Leben entsaugt.
Während mein gläubiges Herz der melodischen Wiege sich hingibt,
Die dein Atem bewegt, trinkst du die Seele mir aus.
(S. 259)
_____



Schöner Freund, daß ich dich recht begrüße,
Sage mir Namen und Vaterland.
Wohl umwogt dich Arom voll Mittagsüße,
Kühl die Hand streift deine Hand.

Kommst du von Inseln korallner Meere?
Oder vom Stern, der einsam blaut?
Bliebst du zurück vom ruhlosen Geisterheere,
Das sich aus Mondlicht Brücken braut?

Kaum betratst du meines Herzens Schwelle,
Läuteten all seine Glocken zugleich,
Bist du Heil'ger, nimm deine Andachtszelle,
Bist du König, dein Königreich.
(S. 266)
_____



Bist du krank, so heile dich mein Blut,
Denn es schmolz, was Seel' und Seele trennt.
Zwei in eine goß die herrische Glut -
Das ist treuer Liebe Sakrament.

Krone werde mir dein bittrer Dorn,
Meingeworden dir dein Schmerz ein Traum.
Tauche du in meines Glückes Born,
Spiegle meiner Ufer lichten Saum.

Leben will ich dir und sterben auch!
Blühe, rausche ob verwachsner Spur.
Deinsein will ich wie dein steter Hauch:
Nie beachtet, wenn er schwände nur.
(S. 266-267)
_____



Wenn ich gestorben bin, lebt noch mein Lied,
Und eine fremde Stimme singt zur Laute,
Was ich dir nie zu sagen mich beschied
Und süßverschlungnen Reimen nur vertraute.

Ich liebe dich! Du bist das hohe Licht,
An dem ich selig mich zu Tode glühe,
Die Wunden deiner Nähe schmerzen nicht,
Von dir entfernt zu leben nur ist Mühe.

Ich liebe dich! Von dir bin ich erfüllt,
Ich habe nichts mehr als dein Bild zu eigen,
Es gibt kein Glück, das meine Sehnsucht stillt,
Als, daß ich dein bin, einmal dir zu zeigen.

Singt eine fremde Stimme dir mein Lied,
Wird dich daraus wohl meine Stimme grüßen?
Ob dich ein Ahnen träumerisch durchzieht:
Mein war dies Herz und starb zu meinen Füßen?
(S. 335)
_____

Aus: Ricarda Huch Gesammelte Werke
Fünfter Band: Gedichte, Dramen, Reden,
Aufsätze und andere Schriften
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Kiepenheuer & Witsch 1966-1970

 


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Ricarda_Huch


 

 


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