Therese Keiter (Ps. M. Herbert) (1859-1925) - Liebesgedichte



Therese Keiter (Ps. M. Herbert)
(1859-1925)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



Gedenken

Ich komme zu dir und du ahnst es nicht!
Ich bin ein Geist, ganz weiß und körperlos,
Und meine Liebe hüllt dich bebend ein,
Als lägst ein Kindlein du im Mutterschoß.
All meine besten Kräfte bring ich dir:
Der gute Wille werd mir zum Gebet,
Zum heilgen Trost, der Frauenseelen ward,
Und der wie Balsam in die Wunden geht.
Da wird dir wohl, weil dich mein Wunsch umgibt.
Dein ganzes Sein wird mild und still und weich;
Als habe dich ein Zauberstab berührt,
Fühlst du dich innerlich verjüngt und reich.


Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 12)

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Lebensrest

Nun lösch die vielen Lichter aus;
Laß nur der Lampe halben Schein!
Laß nur die Kerzen am Klavier!
Denn sieh! - wir beide sind allein!

Nun braucht's so greller Farben nicht!
Nun braucht's kein Lachen hell und laut;
Nun braucht es selbst der Worte nicht:
Das Schweigen um uns ist so traut.

Die Rosen duften heiß und schwül!
Die vielen Blumen schaff hinaus
Und lasse nur am Fensterbrett
Den weißen Chrysanthemenstrauch!

Nicht Todesblumen sind sie uns!
Nur Herbstesgrüße fromm und schlicht.
So still und mild und gütevoll
Wie dein geliebtes Angesicht.

Das heiße Glück ist längst verraucht,
Der Jugend Mai und Sonnenfest,
Die tiefe, stille Treue bleibt!
Der wunderbare Lebensrest.

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 13)

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Deine große Liebe

Ueber meines Lebens tiefes Meer
Flog mein kleines Segelschiff einher,
Vor dem Sturme war der Himmel rot
Und im Grunde lauerte der Tod.
Hoher Fluten graue Einsamkeit
Und das Land viel tausend Meilen weit.
Dennoch - wie so stolz mein Segel strich!
Deine große Liebe führte mich!

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 14)

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Gestern

Noch steht der Stuhl, wie er gestern stand
So wie ihn rückte deine Hand -
Ja, ich meine, dein Lachen noch immer
Klingt wie ein Gruß durch das einsame Zimmer.

Und ich meine, dein flüsterndes Wort,
Und dein treues Gesicht ist noch dort.
Wie ich so einsam und sinnend stehe,
Fühl' ich um mich deine selige Nähe.

Höre den übermütigen Scherz,
Deine Stimme klopft an mein Herz -
Um mein ganzes Glück zu genießen,
Muß ich träumend die Augen schließen.


Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 14)

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Es sagt die Mythe

Es sagt die Mythe von den beiden Brüdern,
Die sich im Leben so gewaltig haßten,
Daß - als man sie zum Scheiterhaufen brachte,
Die Flammen züngelnd jeden einzeln faßten,
Die Asche trennend sorgsam von den Gliedern,
Als ob im Tod der Geist der Zwiespalt wachte.

So stark, Geliebter, war der Haß der Heiden,
Doch uns're Lieb sei stark in gleichem Maße,
Sei todesmächtig, daß - ob Zeit - ob Flammen
Uns trennen wollten - wir auf einer Straße
Doch Herz an Herz uns fänden, daß uns beiden
Die äuß're Trennung triebe mehr zusammen.


Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 15)

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Traum

In stillen Stunden und allein
Schließ ich dir leise auf die Pforte
Und grüße dich, wenn still du kommst,
Mit einem alten süßen Worte.
Rings um uns senkt der Dämmerschein
Der frühen Nacht herab den Schleier:
Ich fühle deiner Nähe Trost
Wie eine große Sabbathfeier.
Den alten Schlüssel geb' ich dir,
Der lang verrostet hat gelegen.
Nun kommt in Freiheit mir dein Herz,
Ein Strom der Liebe dir entgegen.
Und wieder bin ich so wie Gott
Mich wollte in der Schöpfungsstunde:
Vertrauend und voll Herzlichkeit
Und Wahrheit bis zum tiefsten Grunde.
All' deines Lebens Tiefe naht
Und trifft mit meiner stolz zusammen.
Das große Glück, das wir entbehrt,
Schießt lodernd auf in hellen Flammen.

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 16)

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Reine Liebe

Wenn um mein Sterbebette blutig rot
Giganten gleich des Lebens Sünden stehen,
Und wenn für mich in meiner letzten Not
Der Liebe weiße Engel Gott anflehen;
Wenn alle Schmerzen meiner langen Zeit
Aus tausend Wunden wieder quellend bluten,
Als wollten sie das Tor der Ewigkeit
Vor mir verschließen mit gestauten Fluten;
Wenn all mein Irrtum wider mich ersteht,
Mein eitles Tun und mein geschäft'ges Richten,
Mein leeres Wort, mein tönernes Gebet,
Die tote Treu, die unerfüllten Pflichten:
Wird auch die Liebe, die ich zu dir trug,
Aus ihrem Grab erstehn, auf daß sie schreite
Wie einst sie schritt mit ihrem Tränenkrug
Und ihrem weißen, unbefleckten Kleide.

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 17)

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Die Sphynx

Noch immer steht die große Frage da,
Die starre Sphynx im Wüstensand der Zeit:
Warum die stolze Liebe immerdar
Verblutend stirbt in kalter Einsamkeit,
Warum man ewig lächelnd sie verrät
Um Amt und Würde und um Geld und Stand,
Mit falschen Kronen seinen Scheitel schmückt
Und ihre Jugend halb begräbt im Sand?
Heiß liegt ihr Fluch auf unserem Geschlecht:
Verkrüppelt Kind und früh gealtert Weib,
Kein heißer Drang nach unverfälschtem Recht,
Und matte Seele in dem matten Leib.
Die Liebe nur zieht starke Kinder groß;
Aus ihrer Tiefe wächst das Heldentum:
Das schafft sich frei ein selbstgewähltes Los
Und kränzt sich Göttern gleich mit Macht und Ruhm.

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 18)

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Hort

Von dir zu mir! - O Gott - wie furchtbar weit!
Viel weiter als zum Lethe und zum Tod;
Ein breiter Golf, gefüllt mit Menschenleid;
Kein Steg führt drüber und kein Fährmannsboot.

Getrennt auf Erden! Und doch neulich sah
Ich deinen Namen meinem eng vereint:
Auf fremden Friedhofskreuze standen da
Die beiden. - Sieh, da hab' ich still geweint
In meiner Seel'. Lang stand ich heimlich dort -
Auf jenes Kreuzes ausgespannten Armen lag,
Was alles trennt, in einem sel'gen Hort.

Dort harr' ich deiner einst am jüngsten Tag.


Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 19)

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Geh schweigend

Geh schweigend von mir, wenn du scheiden willst!
Kein Wort wär' weich genug, nicht zu versehren
Dies arme Herz! O lasse dich beschwören!
Geh schweigend von mir, wenn du scheiden willst!

Man geht so leise, wo kein Toter liegt.
Und will der Kranken leichten Schlaf nicht stören.
O sei barmherzig! Lasse dich beschwören!
Geh schweigend von mir, wenn du scheiden willst!


Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 20)

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O halt sie auf!

Weit sind die dunklen Tore aufgetan!
Schon wandelt sie im Schattenreiche hin,
Die süße Liebe, die mein Leben war,
Die süße Liebe, die ich selber bin.
O halt sie auf, die still zum Sterben geht!
Vielleicht erreicht sie noch dein Sehnsuchtsruf!
Daß sie sich wendet und zum Leben kehrt
Auf dein Geheiß, das wonnig sie erschuf.
Vielleicht daß sie nur harret auf den Schrei
Der tiefen Angst, der um ihr Dasein wirbt,
Und daß sie nur, weil fern und kalt dein Herz,
Aus tiefem Heimweh stirbt.

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 20)

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Das Meer

Es möchte sein - und wird doch niemals werden!
Der Kranz des Glücks kann sich für uns nicht schließen.
Wir sind wie Ströme, die zusammenstreben
Und weit getrennt zum ewgen Meere fließen.

Und dort, wo alle Wasser sich vereinen,
Dort sind wir keine Ströme mehr, die wollen:
Dort sind wir Wellen, große Wasserwogen,
Die immerfort im Takt ans Ufer rollen.


Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 21)

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Jenseits der Liebe

Jenseits der Liebe fließt der Lethestrom,
Der dunkle Strom, der mir dein Bild nicht zeigt.
Jenseits der Liebe liegt das stille Land,
In dem die heiße Sehnsucht endlich schweigt.
Jenseits der Liebe wächst Cypressennacht;
Auf stummen Gräbern wohnt Verblichner Schar!
Das Schweigen lastet wie ein Marmorstein
Auf dem, was einst voll Lust am Leben war.
Jenseits der Liebe! Welch ein Wort voll Not!
Jenseits der Liebe! Ach, mein Herz versteint:
Dort sitzt auf einem schwarzen Thron der Tod,
Der bleiche Schatten, der nicht lacht noch weint.


Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 21)

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Stummer Abschied

1.
Nie werden deine Lippen mir des Scheidens herbe Pein versüßen
Mit einem letzten Lebewohl und einem letzten Abschiedsgrüßen.
Wir scheiden so wie zwei, die tot auf einem Kirchhof liegen:
Es kann kein heißes Liebeswort von einem Grab zum andern fliegen.
Wir lassen alles ungesagt. Wie schwer auch die Gedanken streiten,
Ob aller Tiefe lassen wir die hohe Flut des Schweigens gleiten.


2.
Ich weiß nicht, ob wir recht getan, doch weiß ich, daß wir schwer gerungen,
Eh wir das sehnsuchtsvolle Wort zu seiner starren Ruh gezwungen.
Nun flutet zwischen dir und mir ein Ozean von stetem Schweigen;
Nun sind wir Fremde, die sich nur noch ihres Lebens Maske zeigen.
Und ist dies eine Lüge nicht? Und war dies wirklich Gottes Wille?
Des Lebens höchste Hoffnung sank hinab zum Tod in ewge Stille.


Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 22)

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Die kleine Uhr

Die kleine Uhr, die du mir gabst,
Zählt eifrig laufend die Minuten,
Die wie des Lebens Funken sind,
Die aufwärts stieben und vergluten.
Sie zählt sie wie mein klopfend Herz,
Sie wachsen an zu langen Tagen,
Sie wachsen still zu Jahren an -
Die weiter mich ins Alter tragen.
Ich lausche, ob das Tick und Tack
Noch spricht von deiner Lieb und Treue,
Ob sie schon flattern hoch im Wind
Wie Herbsteslaub und Stroh und Spreue?
Ob in dem leisen Stundenschlag
Noch eine Sehnsucht nach mir riefe?
Ob du in stillen Nächten träumst
Noch über einem alten Briefe? -
Die kleine Uhr, die du mir gabst,
Zählt eifrig laufend die Minuten,
Die wie des Lebens Funken sind,
Die aufwärts stieben und vergluten.

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 24)

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Erinnerung

Durch dieses Abends sanftes Dämmerlicht,
Das mild durch die verhangnen Scheiben bricht:
Kommt die Erinnrung lächelnd her zu mir
Und spricht von dir.
Was je du Gütiges mir hast getan,
Wacht wieder auf und schaut mich herzlich an.
Ich lehne träumend mich in deinen Arm
So traut und warm.

Da weiß ich wohl, daß ich dich nie verlor.
Es steigt die alte Seligkeit empor,
Und wieder ist dein süßes Liebeswort
Mein Trost und Hort.
Versunken ist in einem tiefen See,
Was von dir kam: Das furchtbar bittre Weh.
Und meine Seele, die zu deiner will,
Wird froh und still.

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 25)

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Das fremde Gesicht

Einst kannt' ich dich. Dein Antlitz war ein Heim,
Ja, eine Heimat eng und süß vertraut.
In deiner Augen Tiefe fand ich Glück
Und Trost in deiner lieben Stimme Laut.
Und wenn ich in Gedanken einsam war,
Schien es, als dränge deine Lieb zu mir:
Die Muttersprache der geheimsten Stund,
Die tiefste Sehnsucht trug ich dann zu dir,
Als ob dein Blut in meinen Adern ging,
Als ob mein Geist dir inniglich verwandt.
Und jeder Nerv in meiner Hülle schlug
Hoch auf, wenn mich berührte deine Hand.

Nun tast' ich mich durchs Dunkel nah zu dir
Und komme fragend und verzagt von fern.
Und steh zur Nacht an deines Herzens Tor
Und sehne mich nach deiner Augen Stern,
Und hoffe auf den alten, süßen Klang,
Auf mildes Wort und frommes Trosteslicht -

Da überkommt es mich wie wilde Heimwehqual:

Ich schaue in ein fremdes Angesicht.

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 26)

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Lang ist's her

Einst saßen du und ich in seliger Verschollenheit
Am Hügelrand, wie zwei, die ganz und gar allein
Von allen auf der Welt geblieben sind. Ringsum
War Licht und Wärme, sel'ge Sonnenschein am Rain,
Schnittreifes Korn im Feld und roter Sommermohn,
Und weit hinaus ein Tal voll Segen, ein gelobtes Land.
Unendlich fern die Grenze, wie Verstehn, das nimmer aufhört,
Dein Herzensschlag war nah an meinem, und ich hörte fast
Das Rollen deines Bluts in deinen Adern. Lang ist's her . . .
Einst saßen du und ich in seliger Verschollenheit.


Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 27)

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Der Traum

In meiner Seele liegt ein toter Traum,
Ein Traum von dir - und jüngst, in tiefer Nacht,
Zog er den Schleier von dem Angesicht
Und sah mich an und war vom Tod erwacht.

Da war's, als ob der Frühling auferstand'.
Die dürren Zweige wurden jung und grün,
Die roten Rosen, die gestorben sind,
Erschlossen sich zum Duften und zum Blühn.

Und meine Hand ward in der deinen warm.
Dein liebes Lächeln kam mit seinem Glück,
Und meine Seele wurde frei und rein
Und unbekümmert unter deinem Blick.

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 28)

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Illusion

Mit allem, was das Leben Schönes hat,
Schmückt' ich dein Bild. Mit jeder Blume, die
In meiner Seele jemals aufgeblüht,
Umkränzt' ich es. Du aber warst es nicht:
Es war mein Selbst, dem ich den Himmelstraum
So strahlend um das arme Herz gehaucht -
Du warst es nicht. Denn als du endlich kamst,
Warst du ein andrer, und mein Herz zerbrach
An deinem Stolz, und meine Blume flog
Verwelkt davon. Doch schöner als dein Bild,
Geliebter, warst du doch in Wirklichkeit.

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 28)

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Bekenntnis

Vergessen dich? O frag den Baum,
Der Leben hat, ob er vergißt,
Daß es im Frühling Zeit zum Blühn
Und neuem Sprossentreiben ist.
Vergessen dich? O frag den Strom,
Der niederbraust mit Allgewalt,
Ob es in seinem Willen liegt
Sich zu gebieten: Steh und halt!
Vergessen dich? Wohl kann mein Fuß
Fern von dir wandern, mein Verstand
Aufrichten, mühsam, und doch fest,
Unsichtbar, eine Scheidewand.
Vergessen dich? Für eine Zeit
Scheint es mir fast, daß es gelang -
Da läutet plötzlich durch die Nacht
Des Domes Glocke schwer und bang;
Da weht mir jach der Frühlingswind
Um Wang und Stirn; da tönt ein Lied,
Das du geliebt - mit jähem Sprung
Zerbirst das Eis und sproßt das Ried,
Und wieder braust's mit Ungestüm
Durch all mein Wesen - schüttelt mich
In tiefster Seel' der laute Schrei:
Ich liebe dich, ich liebe dich.

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 33)

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Ganz still

O sei nur ganz still! Dafür hast du mich ja!
Die Rede für alle - für mich nur das Glück.
Das Glück deines Schweigens, das Glück deiner Ruh,
Des Drucks deiner Hand! Und für mich nur der Blick,
Der leuchtende Blick, der die Liebe bekennt,
Der gütige Blick, der so warm mich umhegt,
Die Treue des Herzens, die feierlich still,
Der Seele das Siegel des Friedens auflegt.
Bei mir ist dein Heim, wo du sprichst, wie du denkst,
Wo du schweigst, wenn du willst, wo du weinst, wenn dir weh.
Dein großes Vertrauen sinkt tief in mein Herz,
Auf ewig bewahrt im krystallenen See.

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 34)

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Liebe

Die Göttin warst du, die im Rauch zerfloß,
Wenn meine Hände deine Schleier rührten.
Ein Traumbild nur, zu dem mich nimmermehr
Des Lebens steile, gerade Wege führten.

Ach, nimmermehr mit grauer Wirklichkeit
Konnt ich des Herzens tiefen Hunger stillen.
Ich gab des Lebens sattes Mittagsmahl -
Um deiner nie geschauten Schönheit willen.


Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 36)

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Lieb und Leid

Einst saßen Lieb und Leid, zwei Königinnen,
Auf ihrem Thron, den ihnen Gott gebaut,
Und lächelnd sprach die Lieb: "Ich muß von hinnen,
Geliebtes Leid, denn siehe, ich bin Braut."

Da hob sich hoch und riesengroß das Leiden,
Und heiß von Tränen hat es leis gesagt:
"Geliebte Schwester, ach, ich kann nicht scheiden
Von deiner Treu! Ich folge dir als Magd."

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 38)

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Opfer der Liebe

Ein Pfad von rotem Blut führt übers Land
Zum Fluß hinab, der träg die Welle schiebt.
Es ist die Spur von denen, die zu sehr -
Zu sehr, zu heiß und hoffnungslos geliebt,
Die ihre Herzen gaben ganz und gar
Für einen hin, der nie danach begehrt,
Die das Phantom der ird'schen Leidenschaft
In tausend Gluten brennend aufgezehrt.

O weint um sie! Sie sind der Tränen wert.
Geht nicht vorbei in kühler Schweigsamkeit!
O denkt der Qual! Sie fragten Tag und Nacht,
Und keine Antwort war für sie bereit.
Sie wollten Brot und fanden einen Stein,
Sie wollten glühend pressen ihren Arm
Um einen, der sie kühl und stolz verwarf.
Sie litten Schmerz und unermeßnen Harm -
Vielleicht auch war der Dorn der Lieb zu scharf.
Vielleicht auch flohen sie vor Schand und Not
Von dem Verräter, der ihr Liebster war,
Aus der Verzweiflung in den kalten Tod.
Denn wärmer als die Welt ist noch der Tod
Für die Gesunkne, die verfiel der Schmach -
Und aus der Nacht, in der sie weinend liegt,
Führt sie kein Weg mehr je der Ehre nach.
Steht still und betet, daß wir friedlich gehn,
Daß uns die Gnade ihre Tröstung leiht,
Daß wir nicht folgen wild und ungestüm
Dem Strom des Bluts, dem wilden Zug der Zeit.


Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 56)

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In stiller Nacht

Rings ist so stille Nacht. Ein leises Klagen
Kommt fern vom Strom. Da schickt mein Herz sich an
Und will sein letztes Lebewohl dir sagen.
Wir schieden längst. Kein Auge traf das andre.
Doch nie konnt ich's der Seele noch versagen.
Daß sie zu dir die alten Gänge wandre.
Vom langen langen Suchen ward sie müde.
Sie kam zur Nacht vor deines Hauses Stufen
Und fand dich nicht und fand nicht deine Güte.
Du hörtest nicht ihr bittend leises Rufen,
Und weinend kehrte sie mir oft zurück,
So tief verweint wie kranke Seelen weinen.
Sie kannte dich nur als der Erde Glück
Und wollte alles andre kalt verneinen.
Nun hab' ich meinem alten Stolz gesagt:
Halt auf die Seele, daß sie nimmer gehe
Den alten Weg, die unvernünftge Magd,
Die sich verzehrt in nutzlos heißem Wehe,
Und für die Lieb' sagt dir mein Stolz: "Leb wohl!"
Und löscht die Kerzen, die noch immer brannten
Vor deinem Bild, und tritt die Worte tot,
Die dich das Heiligste auf Erden nannten.


Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 57)

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Abschied

So lebe wohl! Ich steh am Tor der Schmerzen,
Wo weite Gassen sich verloren dehnen,
Wo keine Heimat winkt dem müden Herzen,
Wo Nächte lang ich wandern werd' voll Sehnen -
Wo du nicht bist! Du wirst zu andern eilen,
Die dich nicht lieben, die dich nur verbrauchen.
So einsam wie ich selber wirst du weilen,
Wo sie gleichgültig deinen Namen hauchen,
Den Namen, dessen Formel mir erschlösse
Ein Paradies voll tiefer Seligkeiten,
Den Namen, der für mich ein Licht ausgösse
Auf alle Tage, die nun einsam gleiten.
So lebe wohl, man kann das Glück nicht zwingen!
Laß mich noch einmal dir ins Auge schauen,
So tief und lang, als sollte uns durchdringen
Ein lebenslanges, seliges Vertrauen.


Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 59)

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Der rote Mohn

Traumselig steigt empor der rote Mohn,
Aufsprühend hell mit seinen Feuergarben,
Als zög er jubelnd aus des Sommers Herz
Der Liebe Glut, nach der die Menschen darben.

In meinen Händen sammle ich die Glut.
So reiche Schönheit, soviel tiefe Güte,
So lichte Freude, soviel reines Glück,
Und soviel Treu aus innigstem Gemüte,
Und - soviel Schmerz und baldiges Verwehn!
So schneller Tod, so bitt'res Abschiednehmen!
Grellroter Sehnsucht blut'ge Leidenschaft -
Ein leerer Traum und eine Flut von Tränen -

Was Lieb auch gibt! O Sommerherrlichkeit,
O roter Mohn, der du von allen Blüten
Die schönste bist, auf der von Lieb und Tod
Geheimnisvoll die heißen Küsse glühten.

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 60)

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An deinem Grab

An deinem Grab, wo ich zuhause bin,
Stand ich allein und in mich selbst verloren
Und schaute auf den blauen Blumenflor,
Den über dir die dunkle Gruft geboren.
Rings lag der Frühling scheu und zögernd noch,
Hab müd' und ohne Kraft zum starken Werden,
Wie einer, der noch mit dem Leben ringt
Und seinen tausendfältigen Beschwerden.
Und kleine Mägdlein gingen hin und her,
Den teuren Gräbern Wasserflut zu spenden.
Und greise Frauen standen tief gebückt
Am alten Kreuz, den Rosenkranz in Händen.
Da ging mir durch die Seele tief und bang
Ein Frühlingslied, das du mir einst geschrieben,
Ein stilles Lied von lichtem Heimatglück,
Ein tiefes Lied von grenzenlosem Lieben.

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 73)

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Da warst du mein

Da warst du mein, als dich der Tod ergriff,
Als nächtelang du fiebernd lagst und bang,
Als mit dem Allbezwinger hoffnungslos
In wilden Träumen deine Seele rang,
Da warst du mein. Kein andrer stand bei dir.
Jedweder Trost des lauten Lebens schwand;
Von Menschenhänden, die dir je genaht,
Blieb in der deinen nur noch meine Hand.
Da war mein Antlitz ganz allein dein Stern,
Da durft' ich sein, was ich so heiß erfleht:
Dein treues Weib, das still und unentwegt
Mit dem Geliebten in den Hades geht.
Da warst du mein - ach, nur so kurze Zeit!
Du schwandest schnell. Nun steh' ich fern - allein,
Und doch - durch deine schwere Todesqual
Kommt's wie ein Trost: "Ach, damals warst du mein!"

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S.76)

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 Noch einmal

Noch einmal durch die endlos lange Zeit,
Die deinen Tod von meinem Leben trennt,
Komm' ich zu dir und bringe meine Palmen,
Die nicht der Ruhm mir gab, doch wohl das Leid.
Durch diesen Regen, der herniederfällt,
Durch diesen Herbstesnebel komm' ich her
Und grüße dich am Tage aller Seelen,
Der du so lang schon gingst aus dieser Welt.
Stets war ich fern von dir. Ich war so jung,
Als von der Höhe deiner Wissenskraft
Du zu mir neigtest deine stolze Seele,
Und fern bist du auch der Erinnerung,
Und doch so nah! Was feurig in mir loht,
Hast du entfacht! Was je ich ringend schuf,
Erwecktest du mit deinem mächt'gen Odem,
Und deshalb lebst du mir und bist nicht tot,
Und deshalb bring ich dir den Rosenstrauß,
Mit meinen Palmen. Und ich klopfe an,
Wie ich so oft an deiner Tür getan,
An dein zerfall'nes ödes Totenhaus -
Und sage leis: "Ich wußte damals nicht,
Nicht wer du warst. Ich kann dich heut verstehn.
Vergib mir meine Blindheit, wo du weilst,
Und geh nicht streng mit mir in das Gericht."


Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 77)

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Ich fror

Da ich dich verlor, war ich allein,
Und mir graute, so für mich zu sein,
Ach, ich fror im Herzen zum Erbarmen,
Und ich wollte wiederum erwarmen.

Ging im Trotz vorbei an meinem Schmerz,
Sprach zu mir: Ich will aufs neu ein Herz,
Will ein Herz, das sich dem meinen neiget,
Wie das andre, das auf ewig schweiget.

Und mich trieb's hinfort von Haus zu Haus,
Auf die Straßen zog ich weit hinaus.
Tastend sucht' ich in der bunten Menge
Stets nur dich im dichtesten Gedränge.

Setzte weit hinaus den Wanderstab,
Bis ich wieder heimgefunden hab'
An den Ort, wo still in Gottes Garten
Deine süßen Augen auf mich warten.

Aus: Einsamkeiten Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Fünfte und sechste Auflage
Köln am Rhein Verlag und Druck von J. P. Bachem 1913 (S. 78)

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Dem toten Gatten

I.
Ich gehe die Welt wohl auf und ab
Und finde mich stets zurück an dein Grab.
Nichts Bessres könnt ich erwerben
Als bei dir sterben.


II.
Du rufst mich nicht. Du liegst so still.
Kein Trostwort geht von dir zu mir.
Du brichst das große Schweigen nicht,
Und weinend kehr ich mich von dir.

Mit dir sind alle andren tot,
Und keine Stimme hat mehr Klang.
Seit deinem letzten Seufzer sprach
Kein Mensch ein Wort, das zu mir drang.

Aus: Einkehr Neue Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Dritte Auflage Regensburg
Druck und Verlag von J. Habbel 1930 (S. 6)

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Gedenken

Wenn ich dich einst vergessen hab,
Dann wird es stiller sein als heute,
Dann stört uns kein Gerede mehr,
Das müßig sich erdacht die Leute.

Und die Gedanken, die an dich
Sich festgeklammert, wehn zerstoben,
Und der Gebete Pilgrimschar
Fleht nicht mehr um dein Heil dort oben.

Das Herz, das wie ein Heilgenschein
Dich treu umschloß, im Grabe modert,
Und in der Asche bleibt kein Hauch
Der Flamme, die für dich gelodert.

Aus: Einkehr Neue Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Dritte Auflage Regensburg
Druck und Verlag von J. Habbel 1930 (S. 7)

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Traum

Das Dunkel war so tief und schwer,
Daß alle Hoffnung jäh entwich;
Der Kummer wogte wie ein Meer,
In Nacht und Schweigen weilte ich.
Auf meiner Stirne lag ein Traum
Und tief im Schlaf sucht ich nach dir.
Verloschen waren Zeit und Raum -
Ich wußte nur, du warst nicht hier!
Ich wußte nur, ich war allein
Und rief nach dir in Angst und Not
Und schrie nach dir in Sehnsuchtspein
Und hatt vergessen deinen Tod.
Da, durch der Liebe Allgewalt
Geweckt, sah ich dein Bild erstehn,
Sah ich die teuerste Gestalt
Fern, fern im Sonnenlichte gehn.
Am Bachesrand den Uferweg,
Den du geliebt, sah ich dich gehn.
Und auf das blühende Geheg
Entzückt im Wandern niedersehn.
Denn dich umflossen Glanz und Duft
Und blaue Sommerherrlichkeit.
Dir wob die gütge Sonnenluft
Ein weites, helles Feierkleid.
Da sagt ich mir: "Nein, ruf ihn nicht!
Es tut ihm wohl! Er geht so still
Wie jemand, der in Glanz und Licht
Sich bis ins Herze sonnen will.
Ruf ihn ins Dunkel nicht herab!
Laß ihn in goldner Ferne gehn!
Und lern ihn über Tod und Grab
Im reinen Licht des Himmels sehn!"


Aus: Einkehr Neue Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Dritte Auflage Regensburg
Druck und Verlag von J. Habbel 1930 (S. 8-9)

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Das Lied

Ich weiß ein Lied aus eines Dichters Buch,
Das hast du mir in alter Zeit gelesen;
Voll Wohlklang ists, voll Frühlingsduft, voll Liebe
Und alle Tage les ich jenes Lied
Mit heißem Herzen. Sieh, dann scheint es mir,
Als seist du nah, und deiner Stimme Klang
Berührt mein Herz mit jenem mächtgen Zauber,
Den eine böse, gute Fee dir gab,
Mich einzulullen in den süßen Glauben,
Du seist mein Glück, an deinem Herzen wohne
Mein irdisch Paradies. In dir vereinigt
Sei alles, was auf Erden groß und gut,
Was je mein Herz begeistert schlagen machte. -
O süßes Lied, das dich mir wiedergibt!


Aus: Einkehr Neue Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Dritte Auflage Regensburg
Druck und Verlag von J. Habbel 1930 (S. 10)

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Mild ist die Luft

Mild ist die Luft. Noch einmal glühen Farben
Voll roter Schönheit auf den Buchenwäldern
Und goldne Lichter spielen weit im Tal.
Schon eingeerntet sind die letzten Garben,
Der Sommer gibt ein festlich Abschiedsmahl.
Nun färbt sich purpurn wiederum die Ranke
Des Brombeerstrauchs, die kühlen Nächte kehren
Mit Reif und Frost, die letzten Rosen blühn.
O diese Zeit! Da reißt mich der Gedanke
Stets an dein Herz. Nicht kann ich mich erwehren
Der süßen Macht! Vergebliches Bemühn!
Noch einmal flammt die Leidenschaft der Seele
In mir empor! und deine Lieder tönen
So weich und nah wie ein gesprochnes Wort.
Dein bin ich ganz, und was an Menschenfehle
Uns je getrennt: ein feierlich Versöhnen
Löst alles auf zum innigsten Akkord.
Es war doch Liebe, Liebe ohne Ende,
Die uns verband. Wir haben uns verstanden
Im Blicke schon, im flüchtgen Druck der Hand.
Der Tod nur wars, der uns gespenstisch trennte:
Stieß dich ins Meer, ließ mich am Ufer stranden.
Doch wünsch ich nicht, hätt dich nie gekannt.
Es taucht mein Geist in deines Reichtums Fülle
Und jubelnd glaub ich mich empor getragen,
Wie in der alten, liebeselgen Zeit.
Mein ganzes Leben ist ja nur die Hülle,
Der Lieb zu dir. In meinen schlimmsten Tagen
Hat dein Gedenken heilig mich gefeit.
Es soll der Mensch sein Leben nicht verbringen
Ohn großes Glück. Er muß die Flamme spüren
Der Leidenschaft, muß seinen Himmel sehn,
Sein ganzes Sein zu mächtgem Brande schüren:
An Liebe glauben, oder nicht bestehn.
Den kann die Sorge nicht zu Boden zwängen,
Der starkes Schicksal an sich selbst erfahren,
Der eine Welt in einer Brust besaß.
Es kann das Leben nicht ein Herz beengen,
Das aus des Glückes Schiffruch sich zu wahren
Die Liebe wußte und sie nie vergaß.

Aus: Einkehr Neue Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Dritte Auflage Regensburg
Druck und Verlag von J. Habbel 1930 (S. 11-12)

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Nur wenig Tage zurück

Nur wenig Tage zurück,
Da warst du mein;
Da war noch die Welt voll Glück,
Die Luft voll Schein.

Glutrot ging die Sonne auf,
Ich gab ihr Gruß;
Zu selgem Lebenslauf
Hob ich den Fuß.

Nur wenig Tage zurück,
Da brach ein Band;
Da löste sich Blick von Blick
Und Hand von Hand.

Nun bist du ein Schatten bloß
Ich faß es kaum.
Traum wird oft wahres Los -
Leben zum Tram.


Aus: Einkehr Neue Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Dritte Auflage Regensburg
Druck und Verlag von J. Habbel 1930 (S. 13)

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Einst

Einst lebt ich in den Tag hinein
Von Stund zu Stund gedankenlos,
Und nahm die kleine Sorg und Lust,
So wie es kam aus Schicksals Schoß.

Wie zähl ich jetzt der Stunden Zahl,
Wie wäg ich sie nach Nacht und Licht!
Die Stunden, die du bei mir weilst -
Die, Heißgeliebter, zähl ich nicht.

Da zieht vorüber, wie im Rausch,
Die trunkne Zeit, die Uhr steht still,
Als ob das selge Glück in dir
Mein Herz unsterblich machen will.


Aus: Einkehr Neue Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Dritte Auflage Regensburg
Druck und Verlag von J. Habbel 1930 (S. 14)

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Vorüber?

"Vorüber", sagst du, "ist schon längst,
Was uns geeint in heißer Glut,
Vorüber jener Sonnenstrahl,
Der göttergleich erwärmt das Blut.

Vorüber all das große Glück,
Das hoch empor die Seele trug,
Und schützend vor dem Staub der Welt
In seine warmen Arme schlug."

Ich aber fasse deine Hand:
"Nein, es wird nie vorüber sein!
Wir waren unsres Glückes wert,
Und die Erinnerung ist rein.

Kein wilder Wunsch hat uns berührt,
Kein schwüler Traum hat uns erschreckt.
Auf unsrer Liebe Kindergrab
Das Kreuzlein der Entsagung steckt."

Aus: Einkehr Neue Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Dritte Auflage Regensburg
Druck und Verlag von J. Habbel 1930 (S. 15)

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Schnelles Wort

Lieb! Als ich jüngst dir weh getan,
Wie ward so ernst dein Angesicht,
Wie ward dein Auge trüb und fremd!
Du schwiegest, doch du zürntest nicht.
Das harte Wort war schnell gesagt
Und sagte mehr als ich gewollt.
So jäh es mir ins Herze trat,
Wars von den Lippen schon gerollt.
Gleich einem Stein, den achtlos rührt
Der Wandrer, der sich einsam glaubt
Am Bergeshang, - er schlägt im Sturz
Den liebsten Freund aufs treue Haupt -
So fiel mein schneller Zorn auf dich.
Ich bitte nicht: "Verzeih, vergib!"
Wir tun uns selbst das herbste Weh,
Wenn wir den treffen, der uns lieb.

Aus: Einkehr Neue Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Dritte Auflage Regensburg
Druck und Verlag von J. Habbel 1930 (S. 16)

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O Liebe!

Dich grüßte ich einstmals im weißen Kleid
Mit Kirschenblüten zur Maienzeit,
Ein süßes Lächeln auf roten Wangen
Bist du an mir vorübergegangen!
Vorübergegangen!

O Liebe!
Dich grüßte ich wieder, ein wissendes Weib,
Aufglühte in Flammen das Herz mir im Leib!
Ein schmerzlich Lächeln auf bleichen Wangen
Bist du bei mir vorübergegangen!
Vorübergegangen!

O Liebe!
Dich sah ich wieder am offenen Grab,
Die Schollen fielen rauh polternd hinab.
Die Seele bebte in angstvollem Lauschen,
Sie hörte dein schwindendes Flügelrauschen!
Dein schwindendes Rauschen!

O Liebe!
Dein Geist ist noch bei mir in seligem Glanz,
Noch wanderst du mit mir im dornigen Kranz.
Mit bebenden Lippen hör ich dich sagen:
Für andere mußt du das Leben ertragen,
Das Leben ertragen.


Aus: Einkehr Neue Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Dritte Auflage Regensburg
Druck und Verlag von J. Habbel 1930 (S. 17)

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Erwachen der Liebe

Tief unter der Not des Lebens begraben
Lag meine Liebe.
Sie schwieg und sie weinte.
Man hielt sie gestorben
Und sprach nicht von ihr.

Doch einst in der Nacht, als alle noch schliefen,
Ward ihre Seele
Voll Mut und voll Leben,
Zerriß ihre Fesseln,
Ging strahlend einher.

Als leuchtend die Morgensonne ihr tagte,
Stand diese Liebe,
Das Antlitz voll Lächeln,
Die Hände voll Rosen,
Und jauchzte: "Ich bin!"


Aus: Einkehr Neue Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Dritte Auflage Regensburg
Druck und Verlag von J. Habbel 1930 (S. 20)

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Die alte Liebe

O um die alte, alte Liebe,
Sie schlief so lang! Wer rief sie wach?
O Gott, es flüstern deinen Namen
Die Vögel wieder unterm Dach.
Ein süßer Duft weht von der Halde,
Die goldnen Wolken gehn so tief
Und wo ich geh und stehe, scheint es,
Als ob mir eine Stimme rief.
Ein Schatten fällt vor meine Füße,
Ein Schritt klingt hinter mir im Weg.
Mein Herz steht still, ich schaue um mich,
Und finde öde Feld und Steg.
Dann kommt die heiße Flut der Träume,
Der Sturm der Sehnsucht reißt mich fort
Und kaum zu tragen ist das Heimweh
Nach einem liebeselgen Wort -
Und kaum zu tragen ist das Heimweh
Nach selger Ruh an treuer Brust.
Ach, um die alte, alte Liebe
Und die Erinnrung toter Lust!


Aus: Einkehr Neue Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Dritte Auflage Regensburg
Druck und Verlag von J. Habbel 1930 (S. 23)

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Mut der Liebe

Glaube nicht, daß wenn ich liebe,
Blind ich sei für deine Schwächen -
Lieben will ich dich mit allen
Deinen Fehlern und Gebrechen.

Wärst du rein wie Gottes Engel,
Würd ich dich nicht lieben können.
Meine eigne Sündenschwachheit
Würde stets von dir mich trennen.

Was ich hoffe, was ich suche,
Ist ein Herz voll Lieb und Treue,
Dem entfernt von kaltem Hochmut
Kunde ward von Lieb und Reue.

Das nach Gottes Wegen eifrig
Sucht in Kampf- und Weltgewirre,
Das mich liebreich zu sich riefe,
Ging ich suchend in der Irre.

Das, gedächt es meines Unrechts,
Sich auch seines nicht verhehle.
Ja - ich suche zum Vertrauen
Solches Herz und solche Seele.


Aus: Einkehr Neue Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Dritte Auflage Regensburg
Druck und Verlag von J. Habbel 1930 (S. 25)

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Liebe

Trat zu Gott einst ein erlöster Geist.
Süßer Herr, den Erd und Himmel preist,
Herrlich wohl sind deiner Glorie Freuden,
Selig, heilig über alles Deuten.
Doch, da du mich riefst ins Paradies,
Weinte einer, den ich hinterließ,
Weinte einer, der mich liebt auf Erden,
Wie nur wenige dort geliebet werden.
Sieh, o Herr, in deines Himmels Saal
Folgt mir jammernd seiner Sehnsucht Qual.
Leih noch einmal mir des Leibes Hülle,
Daß ich tröstend seinen Kummer stille!
Über Jesu Antlitz ging ein Strahl,
Seine Augen wurden feucht zumal,
Süße Augen, die wie oft von Tränen
Überflossen um der Menschen Wähnen.
Und er sagte: "Armer, lieber Geist,
Du verscherzest dir dein Glück, du weißt,
Wer im Himmel nach der Welt begehrt,
Ist der ewgen Seligkeit nicht wert.
Kommst du von der Welt zum Himmel wieder,
Fällt vor dir das goldne Gatter nieder.
Drum erwäg! Willst du soviel entbehren,
Deinem Freunde Tröstung zu gewähren?"
"Süßer Herr, wie mir auch strahlt dein Licht!
Seiner Lieb und Treu vergeß ich nicht;
Seine Stirn nur möchte ich berühren
Mit den Lippen und ihn zu dir führen."
"So wie du willst, o Seele, solls geschehn!
Schlagt auf das Tor! Sie darf ihn wiedersehn.
Leb wohl, mein Kind!" Da stand sie auf der Schwelle
Des liebsten Freunds. In seinem Schloß war Helle
Und Jubel laut. Vor aller Gäste Schwarm
Hielt seine Braut er stolz und froh im Arm.
Die Seele, die ihn einst voll Treu besessen,
Sie war seit langer Zeit verschmerzt, vergessen;
Ach seine Liebe hatte nicht Gewalten
Ihr über Tod und Grab die Treu zu halten.
Da trat sie nicht zum Liebsten, Leise wand
Sie sich und ging allein durchs nächtge Land.
Fremd, unbekannt durchirrte sie die Straßen,
Den Tod im Herzen, ganz und gar verlassen,
In sich versunken still in Dunkelheit
Und ohne Hoffnung auf die Seligkeit.
"Mir kann im Himmel," sprach sie, "und auf Erden
Nicht fürder Heim und Gottes Frieden werden.
Der du für mich aus Lieb erlittst den Tod,
Wie wenig dacht ich deiner Wunden Not.
Nun weiß ich es, wie ich auch dich verloren;
In dir allein ward ewge Lieb geboren!"
Doch flutend tat sich auf der Himmelssaal,
Ihr weinend Antlitz traf des Lichtes Strahl;
Er öffnete für sie die Arme weit
Der ewige König der Barmherzigkeit.
"Denn größer als mein Wort ist meine Treue
Und meine Gnade! Seele, deine Reue
Bringt dich mir wieder. Und es leuchte dir
Das ewge Licht in Frieden für und für!"

Aus: Einkehr Neue Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Dritte Auflage Regensburg
Druck und Verlag von J. Habbel 1930 (S. 144-146)

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Biographie:

http://karl-may-wiki.de/index.php/Therese_Keiter

 

 


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